Deutschlands Wirtschaft steckt in einer Zange aus Rezession, Strukturkrise und politischer Kurzsichtigkeit. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im ersten Halbjahr 2025 meldeten 11.900 Unternehmen Insolvenz, ein Plus von 9,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und der höchste Wert seit einem Jahrzehnt. Diese Daten stammen aus einem »Bericht der Wirtschaftsauskunftei Creditreform« für das erste Halbjahr 2025. Besonders der Mittelstand, oft als Rückgrat der Wirtschaft gefeiert, gerät ins Straucheln. Während Politiker und Wirtschaftsverbände mantraartig von „Herausforderungen“ sprechen, zeigt die Realität: Die Krise ist kein vorübergehendes Tief, sondern ein handfester Warnschuss. Wer trägt die Verantwortung, und warum wird so wenig getan, um die Abwärtsspirale zu stoppen?

Mittelstand in der Zwickmühle: Wo die Pleitewelle am härtesten zuschlägt
Die Insolvenzstatistik der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zeichnet ein düsteres Bild. Während Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern weiterhin die Mehrheit der Pleiten ausmachen, über 80 Prozent der Fälle, zeigt der Mittelstand mit Firmen zwischen 51 und 250 Beschäftigten eine alarmierende Dynamik. Hier kletterten die Insolvenzzahlen zum Teil auf bis zu 16,7 Prozent.
„So stieg die Zahl der Insolvenzen in der Größenklasse von 51 bis 250 Beschäftigten überdurchschnittlich stark um 16,7 Prozent.“
»Creditreform«
Besonders betroffen ist das verarbeitende Gewerbe, wo die Pleiten mit 17,5 Prozent fast doppelt so stark stiegen wie im Gesamtdurchschnitt. Der Handel folgt mit einem Anstieg von 13,8 Prozent, getrieben von Kaufzurückhaltung und dem Wettbewerbsdruck durch Online-Giganten. Selbst das Baugewerbe mit einem vergleichsweise moderaten Anstieg von 1,7 Prozent erreichte eine Insolvenzquote auf Zehn-Jahres-Hoch. Der Dienstleistungssektor, der 58,5 Prozent der Pleiten ausmacht, bleibt das Epizentrum der Krise.

Warum trifft es den Mittelstand so hart? Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, nennt die Gründe:
„Unternehmen kämpfen mit schwacher Nachfrage, steigenden Kosten und anhaltender Unsicherheit. […] Rücklagen werden aufgebraucht, Kreditlinien nicht verlängert und immer mehr Firmen geraten in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten.“
»Patrik-Ludwig Hantzsch / WeLT«
Nach über zwei Jahren Rezession sind Rücklagen aufgebraucht, Kreditlinien gekappt, und die Finanzierung wird zum Drahtseilakt. Doch hinter diesen nüchternen Worten lauert eine unbequeme Wahrheit: Politische Fehlentscheidungen, von Energiepreisschocks bis hin zu bürokratischen Hürden, haben den Boden für diese Krise bereitet. Während die Regierung mit Symbolpolitik und Subventionsprogrammen hantiert, kämpfen Unternehmen ums nackte Überleben.
Finanzielle Blutung: Gläubiger und Arbeitsplätze im Fokus
Die wirtschaftlichen Kollateralschäden sind enorm. Creditreform schätzt die Forderungsausfälle im ersten Halbjahr 2025 auf 33,4 Milliarden Euro. Das sind vier Milliarden mehr als im Vorjahr und über 20 Milliarden mehr als 2023. Zum Vergleich: In fünf der vergangenen zehn Jahre lagen die Gesamtjahresschäden unter diesem Halbjahreswert. Über 90 Prozent dieser Forderungen, so zeigen Studien, sind unwiederbringlich verloren. Gläubiger, oft selbst mittelständische Unternehmen, geraten auf diese Weise in eine fatale Kettenreaktion.
„Die wirtschaftlichen Folgen der Insolvenzen sind erheblich: Die geschätzten Forderungsausfälle aus Unternehmensinsolvenzen beliefen sich im 1. Halbjahr 2025 auf rund 33,4 Mrd. Euro. Pro Insolvenzfall ergibt sich damit eine durchschnittliche Schadenssumme von etwa 2,8 Mio. Euro – deutlich mehr als in den Jahren 2022 und 2023.“
»Creditreform«
Noch gravierender ist der soziale Schaden. Rund 141.000 Arbeitsplätze waren im ersten Halbjahr betroffen, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders Großinsolvenzen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen trieben diese Zahl in die Höhe. Doch anders als 2024, als prominente Pleiten wie Galeria Karstadt Kaufhof oder FTI Touristik Schlagzeilen machten, sind es 2025 vor allem mittelständische Betriebe, die unter die Räder kommen. Namen wie Gerry Weber, Lilium oder Sausalitos stehen exemplarisch für eine Krise, die längst nicht mehr nur „irgendwo da draußen“ stattfindet, sondern die Lebensrealität von Tausenden prägt.

Automobilindustrie: Ein Schlüsselbereich am Abgrund
Ein besonders kritischer Blick fällt auf die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. Hier verschärft sich die Lage rasant. „Schwache Nachfrage, steigende Energie- und Rohstoffkosten sowie erschwertes Finanzierungsumfeld“ setzen vor allem mittelständische Zulieferer unter Druck, so Hantzsch. Die Branche, einst Stolz der deutschen Wirtschaft, kämpft mit einem Dreifachschlag: Überkapazitäten, geringe Nachfrage und die drohenden US-Zölle. Eine Studie des Kreditversicherers Atradius prognostiziert für 2025 und 2026 ein weiteres Produktionsminus.

Risikomanager Jens Stobbe warnt. Viele Hersteller leben von finanziellen Polstern der Vergangenheit, aber die Luft werde dünn.
„Deutschlands Autobranche hat die Talsohle noch nicht erreicht. […] Noch können sich die Hersteller diese Schwächephase durch das in der Vergangenheit aufgebaute finanziellen Polster leisten, doch die Luft wird dünner.“
»Jens Stobbe / WeLT«
Die Reaktionen der Branche ist Kurzarbeit, Gehaltsverzicht und Werksschließungen. Doch diese Maßnahmen sind laut Atradius nur Pflaster auf einer klaffenden Wunde. Zulieferer kämpfen mit sinkenden Margen und Zahlungsverzögerungen. Branchenriesen wie »ZF Friedrichshafen« reagieren mit härteren Bandagen: Statt kriselnde Lieferanten bedingungslos zu stützen, wird die Bonität der Partner stärker geprüft. Insolvenzen werden bewusst in Kauf genommen, um Lieferketten zu sichern, aber auch Arbeitsplätze fallen weg. Ein Zeichen für die neue Realität – Überleben statt Solidarität.
Politische Verantwortung: Wo bleibt der Plan?
Die Zahlen sind alarmierend, während die politische Reaktion blass bleibt. Hohe Energiepreise, bürokratische Überregulierung und geopolitische Unsicherheiten, all das wird von der Politik als unvermeidbar dargestellt. Doch ist es das wirklich? Die Corona-Hilfen sind ausgelaufen, und anstelle von gezielter Unterstützung für den Mittelstand gibt es vage Versprechen und teure Prestigeprojekte. Die Insolvenzquote im Baugewerbe, im Dienstleistungssektor und im verarbeitenden Gewerbe zeigt: Ohne strukturelle Reformen wird die Abwärtsspirale anhalten. Warum fehlt der Mut zu unpopulären, aber notwendigen Entscheidungen?
Die Verbraucherinsolvenzen, die im ersten Halbjahr um 6,6 Prozent auf 37.700 Fälle stiegen, unterstreichen die gesellschaftliche Dimension der Krise.
„Auch bei den Privatpersonen setzt sich der Negativtrend fort: Im 1. Halbjahr 2025 wurden rund 37.700 Verbraucherinsolvenzen gemeldet – ein Plus von 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr (35.380 Fälle).“
»Creditreform«
Steigende Lebenshaltungskosten und Arbeitsplatzverluste setzen Privathaushalte unter Druck. Das Insolvenzgeschehen löse eine Kettenreaktion aus, betont Hantzsch. Während die Politik über „soziale Gerechtigkeit“ debattiert, ignorieren viele Entscheidungsträger die Wurzel des Problems, nämlich eine Wirtschaftspolitik, die den Mittelstand stranguliert, anstatt ihn zu stärken.
„Das anhaltend hohe Insolvenzgeschehen löst zunehmend Kettenreaktionen aus. Seit drei Jahren steigen die Fallzahlen bei Privatpersonen kontinuierlich“, ordnet Hantzsch ein. „Die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten sowie Arbeitsplatzverluste, insbesondere in der Industrie, setzen viele Haushalte massiv unter Druck.“
»Patrik-Ludwig Hantzsch / Handelsblatt«
Kein Licht am Horizont: Warum die Krise bleibt
Eine Entspannung ist nicht in Sicht, darin sind sich viele Fachleute einig. Jonas Eckhardt von der unabhängigen »Beratungsgesellschaft Falkensteg«, spezialisiert auf Corporate Finance, Restrukturierung und Insolvenzberatung, rechnet damit, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auch 2025 weiter steigt – und damit das vierte Jahr in Folge. Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie könnten sich die Fälle sogar verdoppeln.
„Eine Trendwende ist nicht in Sicht. […] Der Strukturwandel und die Konjunkturflaute insbesondere in den Schlüsselbranchen forcieren den Negativtrend bei den Verfahrensausgängen. […] Die deutsche Wirtschaft bleibt im Krisenmodus, denn die Entwicklung zeigt die angespannte wirtschaftliche Lage. Immer mehr Unternehmen droht das endgültige Aus.“
»Jonas Eckhardt / WeLT«
Besorgniserregend sei laut Einschätzung auch der rückläufige Anteil erfolgreicher Sanierungen. Gläubiger und Investoren zeigten zunehmend geringere Bereitschaft, Krisenunternehmen zu stützen. Der Strukturwandel und die konjunkturelle Schwäche forcierten den negativen Trend. Vielen Unternehmen gelinge der Neustart nicht mehr, sp dass ein endgültiges Aus drohe.
Selbst ein kleiner Hoffnungsschimmer wie die leichte Abschwächung der Insolvenzzahlen im Mai 2025 täuscht nicht über die Lage hinweg. Die amtlichen Zahlen des »Statistischen Bundesamtes« melden für das erste Quartal 5.891 beantragte Insolvenzen, ein Plus von 13,1 Prozent. Für das Gesamtjahr erwarten Auskunfteien noch höhere Zahlen als die 21.812 Fälle von 2024, die bereits einen Höchststand seit 2015 markierten. Die Politik mag von „Stabilisierung“ sprechen, aber die Realität verdeutlicht, dass Deutschlands Wirtschaft im Krisenmodus bleibt.
„Für das erste Quartal 2025 meldeten die Amtsgerichte nach endgültigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes 5.891 beantragte Unternehmensinsolvenzen und damit 13,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.“
»Handelsblatt«
Zeit für klare Kante
Die Insolvenzwelle ist kein Naturphänomen, sondern das Resultat von Versäumnissen: wirtschaftlich, politisch sowie strategisch. Der Mittelstand, die Automobilindustrie und die Gläubiger zahlen die Zeche für eine Politik, die lieber Symptome bekämpft als Ursachen. Wenn Deutschland seinen Status als Wirtschaftsmacht halten will, braucht es mehr als warme Worte. Es braucht eine radikale Kehrtwende: Entlastung statt Bürokratie, Investitionen statt Subventionschaos und vor allem den Mut, die Realität anzuerkennen. Sonst wird das Zehn-Jahres-Hoch der Insolvenzen nur der Anfang sein.