Gegen die Abweisung der Klage durch das Arbeitsgericht Bonn in erster Instanz wird Guérot in Berufung gehen. Darin sieht sie nicht nur ihre eigenen Interessen vertreten, vielmehr kämpft sie auch deshalb weiter, weil sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen möchte.
Ausgang der Berufung ist bedeutend für den Umgang mit deutschem Arbeitsrecht
Der Grund für die Kündigung ist grotesk. Man bezog sich auf ein populärwissenschaftliches Werk, das Guérot 20161 privat geschrieben hatte und das zunächst besonders in der kulturellen Szene gefeiert wurde, dann aber immer breitere Kreise zog aufgrund seiner positiven Kritiken.
Nachträglich wurde es von der österreichischen Donau Universität als Äquvalenz einer Habilitationsschrift anerkannt, welche in die Berufung zur Professorin aufgrund Habilitations gleichwertiger Leistungen mit einfloss.
2023, drei Jahre nach ihrer Anstellung an der Universität Bonn, kündigte man ihr aufgrund dessen, dass man 1,5% unsaubere Stellen gefunden habe, also aufgrund von Plagiatsvorwürfen.
Die Verhältnismäßigkeit oder der nicht gegebene Vorsatz blieben dabei unberücksichtigt. Die Wahl der Mittel war keine Abmahnung, geschweige denn, dass das Gespräch mit ihr gesucht wurde, sondern gleich die Entlassung. Würde ein solches Vorgehen auch in zweiter Instanz legitimiert werden, beträfe das das Arbeitsrecht insgesamt.
„Wenn sich das Urteil durchsetzen würde, […] dann wäre das natürlich so, dass im deutschen Arbeitsrecht, […] wo der Chef feststellt, […] dass du sieben Jahre vor der Einstellung da und da einen Fehler gemacht hast, [sagen kann…]: Du bist jetzt ohne Abmahnung einfach draußen. Das wäre eigentlich die Konsequenz. […] Mir hat ein Arbeitsrechtler gesagt, […] wenn diese Kündigung durchgeht, dann ist das deutsche Arbeitsrecht geschreddert. Jeder Fehler, den man in der Vergangenheit findet, kann dann ohne Abmahnung, ohne Rüge auch zur Kündigung führen. […] Deswegen hat das auch eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung.“
Ulrike Guérot im Interview mit HAINTZ.media (21:50)
Universitäten sollten diskursfähig bleiben
So kann immer ein Grund gefunden werden, um jemanden zu entlassen und hierbei geht es noch nicht einmal um private Unternehmen, sondern um eine öffentliche Institution. Eine Universität dient dem Diskurs, brachte in der deutschen Geschichte zahlreiche kritische Geister hervor, lehrte das Hinterfragen.
„Wenn wir jeden Text, der nicht in einem wissenschaftlichen Kontext steht […] und Professoren, die ja auch verpflichtet sind, eben weil sie öffentlich angestellt sind, der Gesellschaft einen Rat und eine Expertise zu geben und wenn die dann einen Fehler machen, wer ist denn ohne Fehler? [Wenn das zu Kündigungen führt,] dann hätten wir eine schweigsame Professorenschaft, die außerwissenschaftlich am Diskurs nicht mehr teilnimmt. Das können wir doch als Gesellschaft nicht wollen und auch deswegen halte ich das fast für meine Pflicht, das Verfahren nochmal vors LAG [Landesarbeitsgericht] zu bringen.“
Ulrike Guérot im Interview mit HAINTZ.media (24:20)
Öffentliche Diffamierungskampagne ausschlaggebend
Nach Herausgabe ihres Essays „Wer schweigt, stimmt zu“2 im März 2022, in dem sich Ulrike Guérot kritisch dem herrschenden Narrativ bzgl. der Corona-Maßnahmen gegenüber äußert, begannen bereits Anfeindungen, sie wurde jedoch zu dem Zeitpunkt noch zu Interviews bei Welt oder der NZZ geladen.
Die öffentliche Diffamierungskampagne startete erst richtig, als sie sich bei Lanz zudem kritisch zum Ukrainekrieg äußerte, losgetreten durch Artikel in der FAZ. Diese erschienen kurz vor Eröffnung des europapolitischen Instituts an der Uni Bonn, wo sie die Leitung übernehmen sollte. Einer enthielt die Plagiatsvorwürfe bzgl. des Werks, weshalb ihr die Uni letztlich kündigte und weshalb sie Klage einreichte und nun in Berufung geht.
Gabriele Gysi analysiert die, wie sie es im Untertitel benennt, „Versuche einer öffentlichen Hinrichtung“ im „Fall Ulrike Guérot“3 im Einzelnen.
Die Politikwissenschaftlerin äußert dazu, dass „die Leute, die sozusagen eine Hexenjagd auf [sie] machen, [ihr] persönlich bekannt“ sind. Gesprochen hat dennoch niemand mit ihr, weder vor öffentlicher Diskreditierung noch danach.
Sämtliche Artikel, die man in den sog. Qualitätsmedien zur Kündigung und dem Prozess findet, beinhalten immer diskreditierende Begriffe wie „umstritten“ und den Zusammenhang mit ihrer Haltung zu Corona und dem Ukrainekrieg. Alternative Medien wie Epoch Times, Manova, Die Achse des Guten allerdings berichteten sachlich neutral über die juristischen Zusammenhänge des Prozesses.
Guérot lies sich aber den Mund nicht verbieten. Ihre lange berufliche Geschichte zeigt, dass Europa ihr am Herzen liegt, so war es für sie entsprechend schwer erträglich, dass der eurasische Frieden kaum noch Bedeutung zu haben schien.
Es entstand das „Endspiel Europa”4, welches die Universität Bonn zum Anlass nahm, sich davon öffentlich zu distanzieren, worauf dann auch schnell die Kündigung folgte.
„Da hatte ich im Sommer 22 so einen ‚Jetzt-erst-Recht-Reflex‘. […] Ich konnte nicht anders. Ich musste dieses Buch schreiben.“
Ulrike Guérot im Interview mit HAINTZ.media (47:50)
Zuvor hatte man seitens der Hochschule noch geäußert, die Fehler seien ja Kleinigkeiten, mehr als eine Rüge habe sie wahrscheinlich nicht zu erwarten.
In dem Essay untersuchen Ulrike Guérot und Hauke Ritz die Entwicklung der Europäischen Union seit 1992 und erinnern an die ursprünglichen Werte und Ziele: ein souveränes Europa und eine kontinentale Friedensordnung. Sie analysieren die Ereignisse, die dem Ukraine-Krieg vorausgingen, und enthüllen dabei weitgehend unbekannte Aspekte. Guérot und Ritz plädieren für ein Umdenken hin zu einem unabhängigen Europa, das seine sozialen, kulturellen und friedenspolitischen Errungenschaften betont und als gleichwertiger Partner zu den USA und Russland agiert.
Dies kann aber nur möglich sein, „wenn wir offen über amerikanische Einflussnahme sprechen,” so Guérot.
PR-Agenturen und Think Tanks tragen entscheidend zur öffentlichen Wahrnehmung bei
Wir sprachen abschließend darüber, dass politische Bewegungen wie die Maidan-Proteste, mit denen der ukrainisch-russische Konflikt 2014 begann, ab einem bestimmten Punkt immer gelenkt werden. Über 150 amerikanische PR-Agenturen wurden beauftragt, „um Russland schlecht zu schreiben“, führt die Politikwissenschaftlerin an. (55:10)
Dadurch entstand ein Prozess, der über Jahre hinweg subtil das gesellschaftliche Bild bestimmter Akteure veränderte. Einmal ins Leben gerufen, kann eine Bewegung wie die um den Maidan, die nach dem Westen strebte, leicht übernommen werden. Zu jener Zeit gab es noch kritischen Journalismus, wie die legendären Beiträge der „Anstalt”. Sogar der Deutschlandfunk hatte das Newland-Zitat „Fuck the EU“ gebracht, das deutlich die Haltung der USA gegenüber Europa zeigt.
„Wenn wir noch die Diskussionskultur von 2014 hätten, dann wäre, glaube ich, auch mein Endspiel-Buch kein Problem gewesen.“
Ulrike Guérot im Interview mit HAINTZ.media (ab 1:00:00)
„Dass mit dieser aktuellen Frage dieses Ukraine-Kriegs […] wir vielleicht Interessen anderer Länder bedienen, die nicht unseren Interessen entsprechen. […] Das ist für mich die europäische Stunde auf diesem Kontinent. Das müssen wir diskutieren.“
Darin sieht Guérot die vielleicht letzte Chance für Europa, sich innerhalb dieses Kriegsgeschehens zu emanzipieren, wieder an der eurasischen Friedensordnung zu arbeiten und so anschlussfähig für Dialoge mit anderen Ländern zu machen.
Quellen:
- Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss. Bonn: Dietz 2016 ↩︎
- Ulrike Guérot: Wer schweigt, stimmt zu: Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen. Frankfurt a. M.: Westend 2022 ↩︎
- Gabriele Gysi: Der Fall Ulrike Guérot: Versuche einer öffentlichen Hinrichtung. Frankfurt a. M.: Westend 2024 ↩︎
- Ulrike Guérot, Hauke Ritz: Endpspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist – Und wie wir wieder davon träumen können. Frankfurt a. M.: Westend 2022 ↩︎