Ein historisches Debakel erschüttert die deutsche Politik: Friedrich Merz, designierter Kanzler der CDU, ist im ersten Wahlgang im Bundestag kläglich gescheitert. Mit nur 310 Stimmen verfehlte er die notwendige absolute Mehrheit von 316 Stimmen. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Koalition aus CDU/CSU und SPD, die gemeinsam 328 Sitze hält. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik musste ein Kanzlerkandidat nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen eine solche Niederlage einstecken. Was bedeutet dieses Fiasko für Merz, die Koalition und die Stabilität der deutschen Demokratie? Ein kritischer Blick auf die Hintergründe, die politischen Machtspiele und die strukturellen Schwächen eines Systems, das Vertrauen verspielt hat.
Ein historischer Fehltritt: Merz’ Niederlage im Fokus
Am Montag noch hatten Merz und der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil vollmundig eine klare Mehrheit ihrer Fraktionen verkündet. Sonderfraktionssitzungen bestätigten: Alle Abgeordneten seien anwesend, die Unterstützung gesichert. Doch die geheime Abstimmung im Bundestag offenbarte eine andere Realität. Von 621 abgegebenen Stimmen entfielen nur 310 auf Merz und somit sechs zu wenig. Der Abgeordnete Friedrich Merz sei nicht zum Bundeskanzler gewählt, verkündete Bundestagspräsidentin Julia Klöckner mit nüchterner Präzision, die das Chaos nur unterstrich.
Die Sitzung wurde unterbrochen, die Fraktionen zogen sich zu Krisenberatungen zurück. Ein zweiter Wahlgang am selben Tag? Ausgeschlossen, wie CDU-Vize Silvia Breher klarmachte. Stattdessen könnte Mittwoch der nächste Versuch bringen.
Das Ergebnis ist nicht nur eine persönliche Niederlage für Merz, sondern ein Alarmsignal für die Koalition. Zusammen mindestens 18 Abgeordnete aus den eigenen Reihen von Union und SPD verweigerten ihre Stimme. In der CDU/CSU-Fraktion herrscht Schock, die Stimmung ist „frostig“. Merz verließ den Plenarsaal direkt nach der Verkündung.

Machtspiele und Misstrauen: Wer ließ Merz fallen?
Laut »BILD« kursiert ein böses Gerücht: SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken und einige ihrer Parteifreunde könnten aus Rache abtrünnig geworden sein, weil Esken kein Ministeramt erhielt. Die SPD-Fraktion weist das empört zurück: „Auf uns ist Verlass“, betonte ein Sprecher gegenüber dem »ARD-Hauptstadtstudio«. Das Mitgliedervotum mit 85 Prozent Zustimmung zur Koalition sei ein klarer Auftrag, den die Fraktion erfülle. Doch grundsätzliche Vorbehalte gegen Merz in Teilen der SPD sind kein Geheimnis. Sein wirtschaftsliberaler Kurs und seine rhetorische Schärfe stoßen bei vielen Sozialdemokraten auf Ablehnung.
In der Union selbst sorgte die Koalitionsvereinbarung für Unmut. Die Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und ein milliardenschweres Sondervermögen für Infrastruktur wurden von konservativen Hardlinern kritisch beäugt. Aus Fraktionskreisen heißt es:
„Die Union stehe hinter Merz, das sei die DNA der Union.“
»Tagesschau«
Im Fraktionssaal der Union sei Merz laut Carsten Linnemann mit minutenlangem Applaus bedacht worden, ein verzweifelter Versuch, Einheit zu demonstrieren. Doch die Risse sind unübersehbar.
Deutschland ist wirklich verloren wenn so ein Piefke irgendeine Relevanz hat. Hört Euch bitte diesen Carsten Linnemann an! pic.twitter.com/9XUHd1diUj
— Alexander Wallasch (@AlexWallasch) May 6, 2025
Vor allem die fehlenden Stimmen sprechen eine andere Sprache. Laut »Reuters« gibt es in beiden Fraktionen Unzufriedene, die bei der Regierungsbildung leer ausgingen. Das Scheitern legt offen, wie fragil die Loyalität in einer Koalition ist, die auf Kompromissen und Postengeschachere basiert.
„Die gescheiterte Abstimmung ist eindeutig ein Zeichen dafür, dass nicht jeder in der CDU mit der fiskalischen Kehrtwende einverstanden ist.“
»Reuters«
Opposition nutzt die Schwäche: Kritik von AfD bis Linke
Die Opposition wittert ihre Chance. AfD-Chefin Alice Weidel sprach auf 𝕏 von einem »schwachen Fundament« der Koalition, die aus einer „von den Bürgern abgewählten SPD“ und einer zerrissenen Union bestehe. Zudem fordert sie, den Weg für Neuwahlen freizumachen.
"Als AfD sind wir angetreten, dieses Land vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wir sind bereit für die Regierungsverantwortung. Und fordern dazu auf, Vernunft walten zu lassen. Herr #Merz sollte sofort abtreten. Es sollte der Weg geöffnet werden für Neuwahlen in unserem Land!" pic.twitter.com/gzZochF5p5
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) May 6, 2025
Die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner hingegen warnte vor einem Vertrauensverlust in „Unsere Demokratie“.
Die Lage in Deutschland und Europa ist ernst. Dieser Vorgang ist kein guter, denn er schwächt nicht nur die zukünftige Regierung sondern auch unser Land und das Vertrauen in unsere Demokratie. @_FriedrichMerz und @larsklingbeil müssen jetzt zeigen, dass sie es können, dass sie…
— Franziska Brantner (@fbrantner) May 6, 2025
Der Grünen-Politiker Andreas Audretsch machte deutlich, dass seine Partei Friedrich Merz keinesfalls unterstützen werde. Merz stehe für Polarisierung und gesellschaftliche Spaltung.
Merz hat polarisiert und gespalten. Das Land genau wie seine Koalition. Die Frage ist, ob er in der Lage ist, zu Einen.
— Andreas Audretsch (@AnAudretsch) May 6, 2025
Wir Grünen werden #Merz nicht wählen. Deutschland braucht eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit. #Bundestag
Auch die Linkspartei stellt in Frage, wie Merz überhaupt in der Lage sein solle, Vertrauen zu gewinnen. Statt Lösungen zu bieten, setze er darauf, die Gesellschaft weiter zu spalten.
„Wie soll er dann das Vertrauen der Menschen gewinnen, die mit den realen Problemen des Alltags kämpfen? […] Ihm gelingt es nicht zu verbinden, sondern nur zu spalten.“
»Jan van Aken / Tagesschau«
Die Co-Vorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, warf Merz vor, sich nicht klar genug von der AfD abgegrenzt zu haben, ein Vorwurf, der in der polarisierten politischen Landschaft schwer wiegt.
Ein System in der Krise: Was das Scheitern offenlegt
Merz’ Niederlage ist mehr als ein persönlicher Rückschlag. Sie entlarvt die Brüchigkeit einer Koalition, die auf wackeligen Kompromissen fußt. Die Schuldenbremse, einst heiliges Mantra der Union, wurde für milliardenschwere Projekte aufgeweicht und war ein Zugeständnis, das konservative Hardliner verärgert. In der SPD wiederum gärt die Unzufriedenheit über Merz’ Kurs, der sozialdemokratische Werte zu ignorieren droht. Doch über die parteiinternen Querelen hinaus zeigt das Ergebnis ein tieferes Problem: Die politische Kultur der Bundesrepublik ist zunehmend von Misstrauen und Fragmentierung geprägt. Wenn selbst eine Koalition mit klarer Mehrheit keinen Kanzler wählen kann, wie soll sie die drängenden Probleme bewältigen?
Die Kritik der Opposition, insbesondere der Linken, deutet auf eine zentrale Schwäche: Merz’ Unfähigkeit, Vertrauen über die eigene Klientel hinaus aufzubauen. Seine Nähe zu wirtschaftsliberalen Eliten und seine zögerliche Abgrenzung von rechten Positionen machen ihn für viele der extremen Linken zum Symbol einer Politik, die polarisiert statt vereint. Doch die Verantwortung liegt nicht allein bei Merz. Die SPD, die sich als Juniorpartner in eine Koalition mit der Union gedrängt sieht, trägt ebenso zur Instabilität bei. Dass ihre Mitgliederbasis nur knapp für die Koalition stimmte, zeigt, wie tief die Skepsis selbst in den eigenen Reihen ist.
Wie es jetzt weitergeht
Die nächsten 14 Tage entscheiden über die politische Zukunft der Republik. Der Bundestag hat laut Artikel 63 des Grundgesetzes exakt zwei Wochen Zeit, um erneut einen Kanzler zu wählen, mit absoluter Mehrheit.

Innerhalb dieser Frist kann Merz erneut kandidieren, muss aber Stimmen mobilisieren, die ihm in der geheimen Abstimmung verweigert wurden. Auch neue Kandidaten können sich ins Rennen bringen. Doch die Karten sind neu gemischt, Loyalitäten bröckeln und die Fraktionen stehen unter massivem Druck.
Gelingt es innerhalb der Frist niemandem, die Kanzlermehrheit von 316 Stimmen zu erreichen, greift die nächste Stufe des Grundgesetzes: In einem letzten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Sollte sich auch dann keine stabile Mehrheit formieren, liegt die Entscheidung beim Bundespräsidenten. Er kann den relativ gewählten Kanzler ernennen oder das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen.
„Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält.“
»WeLT«
Was heute als Machtpanne begann, kann in wenigen Tagen zur Staatskrise eskalieren. Der Fahrplan steht im Grundgesetz, aber das politische Spielfeld ist offen. Die Uhr läuft und die Machtfrage ist drängender, als je zuvor.
Bis ein neuer Kanzler ernannt ist, bleibt Amtsinhaber Olaf Scholz geschäftsführend im Amt, ebenso wie das Bundeskabinett.
Ausblick: Stabilität oder Chaos?
Die kommenden zwei Wochen werden entscheidend sein. Merz steht vor der Herausforderung, seine Fraktion und die SPD zu einen oder einen neuen Kandidaten ins Spiel zu bringen. Doch wer sollte das sein? Die Koalition hat keine offensichtlichen Alternativen, und ein Wechsel würde das Chaos nur vergrößern. Sollte es zu einem Wahlgang mit einfacher Mehrheit kommen, könnte der Bundespräsident vor einer historischen Entscheidung stehen: einen schwachen Kanzler ernennen oder Neuwahlen riskieren.
Das Ergebnis ist mehr als eine persönliche Niederlage. Es ist die vorzeitige Implosion eines Machtprojekts, das nie auf Überzeugung beruhte, sondern nur auf Machtarithmetik. Die Selbstgewissheit der selbsternannten etablierten Politik hat sich im ersten Wahlgang selbst erledigt. Die Koalition steht, allerdings auf dem Papier. Im Parlament hat sie sich gerade entmachtet.
Nachtrag zur Kanzlerwahl: SPD-Fraktionschef Klingbeil bestätigt zweiten Wahlgang heute Nachmittag
Im Bundestag »wird heute Nachmittag« der zweite Durchgang zur Wahl des Bundeskanzlers stattfinden. Dies bestätigte der SPD-Fraktionsvorsitzende Lars Klingbeil. CDU-Chef Friedrich Merz wird erneut kandidieren, nachdem ihm im ersten Wahlgang sechs Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlten. Weitere Entwicklungen folgen.