Ein Post auf 𝕏, eine Geldstrafe, ein Eklat: Bernd Schreyer, Münchner Grünen-Politiker und einstiger Landeschef, hat mit seiner Behauptung, die Grünen würden in der Debatte um das Heizungsgesetz wie „neue Juden“ behandelt, die „ausgemerzt“ werden müssten, einen Sturm entfacht. Das rechtskräftige Urteil wegen Volksverhetzung ist nur die Spitze des Eisbergs. Dieser Fall enthüllt nicht nur die Leichtfertigkeit, mit der historische Tragödien immer wieder für politische Zwecke missbraucht werden, sondern auch eine beunruhigende Neigung der Grünen, sich wiederholt als Opfer in der Tradition jüdischer Verfolgung zu stilisieren, während sie gleichzeitig Antisemitismus in anderen Kontexten verharmlosen. Die Doppelmoral ist greifbar.
Schreyers Post: Ein rhetorisches Desaster mit Konsequenzen
Im Juni 2023 postete Bernd Schreyer, damals Stadtrat in München, »auf der Plattform X«, er habe sich die Flut an Kommentaren von sogenannten „bürgerlich konservativen“ und „rechtsextremen“ Meinungen angesehen. Obwohl es nie ein Heizungsverbot gegeben habe, sei es gelungen, so gegen die Grünen aufzuwiegeln, als seien sie die „neuen Juden“, die „ausgemerzt“ werden müssten, um Deutschland wieder alles Glück und Wohlstand zu bringen.

»Dieser Post wurde inzwischen gelöscht«
Diese Worte führten zu einer Anklage wegen Volksverhetzung. Bereits im April war Schreyer »vom Amtsgericht München zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt« worden. Er focht das Urteil vermutlich an, doch das Landgericht München I folgte im Ergebnis der Einschätzung des Amtsgerichts, setzte die Strafe jedoch niedriger an und verurteilte ihn zu 4200 Euro (60 Tagessätze à 70 Euro), wie die »WeLT berichtet«. Damals argumentierten seine Verteidiger vor Gericht mit Schreyers langjährigem Einsatz gegen Antisemitismus und der Begründung, der damals noch amtierende Stadtrat habe weder den Holocaust und die Verbrechen an den Juden verharmlost noch jemals eine entsprechende Gesinnung erkennen lassen.
„Gleich zu Beginn der Verhandlung betonte der Angeklagte, er habe sich schon in der Schulzeit gegen ‚die vorherrschende Verdrängung und das Verschweigen der NS-Zeit‘ engagiert. Zudem hätten Verwandte vor den Nationalsozialisten fliehen müssen, einer sei sogar im KZ Theresienstadt gewesen.“
»Jüdische Allgemeine«
Am 18. Juli 2025 wies das Bayerische Oberste Landesgericht seine Revision als unbegründet zurück, womit das Urteil rechtskräftig wurde.
Die Richter stuften die Äußerung als Verharmlosung des Holocausts ein, strafbar nach § 130 StGB, der die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung des Völkermords an den Juden unter Strafe stellt, wenn sie den öffentlichen Frieden stören kann. Das Landgericht betonte, der Vergleich sei geeignet, „das politische Klima zu vergiften“, da er „Würde und Ansehen der Überlebenden sowie insbesondere der Ermordeten und ihrer Angehörigen in einem für das Gemeinwesen unerträglichen Maß“ verletze. Das Oberste Landesgericht präzisierte: „Die Verfolgung und massenhafte Ermordung europäischer Juden entspricht in ihrer Ungeheuerlichkeit nicht einmal im minimalsten Ansatz den vom Angeklagten als Tatsache behaupteten Anfeindungen, denen sich Grüne gegenübersehen.“ Oberstaatsanwalt Andreas Franck, Antisemitismusbeauftragter der bayerischen Justiz, begrüßte die Entscheidung. Er unterstrich, dass unangemessene Holocaust-Vergleiche, die seit der Corona-Pandemie zugenommen haben, konsequent strafrechtlich verfolgt werden.
„Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. […] …im Rahmen eines Wertungsaktes [setze der Angeklagte] den Holocaust mit den Anfeindungen gegen die Grünen im Zusammenhang mit dem genannten Gesetz gleich. […] Die Verfolgung und massenhafte Ermordung europäischer Juden entspricht in ihrer Ungeheuerlichkeit nicht einmal im minimalsten Ansatz den vom Angeklagten als Tatsache behaupteten Anfeindungen, denen sich Grüne gegenübersehen. Deshalb ist die vom Angeklagten geäußerte Wertung, die Grünen seien die ‚neuen Juden‘ auch gänzlich unangemessen.“
»Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts / WeLT«
Schreyers halbherzige „Entschuldigung“
Schreyer, ein Grünen-Urgestein, das die Partei in München mitgründete, von 1986 bis 1990 und ab 2020 im Stadtrat saß und Ende der 1990er-Jahre Landeschef war, sah sich mit massiver Kritik konfrontiert, auch aus den eigenen Reihen.

Die Münchner Grünen-Fraktionsvorsitzende Mona Fuchs distanzierte sich „in aller Form“ von seinem Tweet, und Fraktionschef Dominik Krause zeigte sich „zutiefst entsetzt“.
„Wir verurteilten jede Form der Relativierung der Shoa aufs Schärfste.“
»Mona Fuchs / Bayrische Staatszeitung«
Schreyer legte sein Stadtratsmandat nieder und erklärte:
„Mit allergrößtem Bedauern entschuldige ich mich für meinen Tweet vom 11.6. zum Judenvergleich im Zusammenhang mit Aufwiegelung und Verschwörung gegen Grüne. Ich distanziere mich ohne Wenn und Aber von dieser Aussage, deren schreckliche Bedeutung mir zu spät klar wurde. Ich bedaure das aus tiefstem Herzen. Niemals wollte ich einen Vergleich mit dem Holocaust bzw. der Shoa zum Ausdruck bringen.
In meiner über 40jährigen Vita bei den Grünen und schon vorher in der APO habe ich immer mit großem Engagement gegen Faschismus, Antisemitismus, Sexismus, ein NIE WIEDER und für Solidarität in der Einen Welt, für eine bunte demokratische Gesellschaft der Vielfalt gekämpft.
Als Konsequenz aus diesem Fehler gebe ich heute mein Stadtratsmandat zurück“.
»Pressemitteilung / Die Grünen«
Er behauptete, er habe sich auf die Stigmatisierung von Juden im 18. und 19. Jahrhundert bezogen, nicht auf den Holocaust, und wollte vor „massiver Hetze“ gegen die Grünen warnen, die seit 2021 durch Fake-Kampagnen, Gewalt- und Mordaufrufe sowie antisemitische Verschwörungserzählungen über eine „global agierende Klima-Elite“ eskaliert sei.
„Ich wollte vor der massiven Hetze gegen grüne Politik warnen, die seit 2021 eskalierte: Fake-Kampagnen, Aufrufe zur Gewalt und Mord, antisemitische Verschwörungserzählungen über eine angeblich global agierende Klima-Elite.“
»Bernd Schreyer / WeLT«
Diese Erklärung wirkt jedoch wie ein Versuch, den Schaden zu begrenzen, ohne die volle Verantwortung zu übernehmen. Schreyer löschte seine Äußerung nach heftiger Empörung und erklärte zunächst lediglich, er habe „Verständnis, dass es fehlinterpretiert werden kann“. Eine klare Entschuldigung folgte erst unter Druck.
„Es gab eine Zeit in den 20ern, weit vor dem Holocaust. Aber lassen wir das. Sie verstehen mich schon. Aber ich habe Verständnis, dass es fehlinterpretiert werden kann, deshalb habe ich den Tweet gelöscht.“
»Bernd Schreyer / BILD«
Meinungsfreiheit oder strafbare Entgleisung?
Schreyer »kündigte eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht an«, vertreten durch den »Anwalt Jerzy Montag«, ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter und Richter am bayerischen Verfassungsgerichtshof. Montag argumentiert, diese Aussage sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, und die Gerichte hätten den Sachverhalt „zurechtgebogen“, um eine Holocaust-Verharmlosung zu konstruieren. In seiner 52-seitigen, verworfenen Revisionsbegründung betonte er, Schreyer habe die Kritik am Heizungsgesetz nicht mit der Vernichtung der Juden in der NS-Zeit gleichgesetzt, sondern auf die Stigmatisierung durch „bürgerlich-konservative“ und „rechtsextreme“ Kommentare hingewiesen, die durch die Lüge eines „Heizungsverbots“ angeheizt worden sei. Montag legte Dutzende Gewalt- und Mordaufrufe gegen Grüne vor, etwa Postings wie „Diese elende grüne Sekte gehört verboten, ausgemerzt und verbuddelt“ oder „Ausgemerzt, herausgeschnitten gehört dieses Eklige, schmierige, grüne Geschwür“. Die Gerichte sahen jedoch keinen ausreichenden Zusammenhang, um den Vergleich zu rechtfertigen.
„Der Tweet von Herrn Schreyer ist von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt. Die Revisionsentscheidung ist nicht nachvollziehbar, berücksichtigt die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, und deswegen werden wir Verfassungsbeschwerde einlegen.“
»Jerzy Montag / WeLT«
Ein Muster der Selbstviktimisierung
Schreyers Vergleich ist jedoch kein Einzelfall. Carolin Emcke, eine vielfach ausgezeichnete Publizistin, die regelmäßig in der »Süddeutschen Zeitung veröffentlicht« und »mehrere Bücher« zur Identitätspolitik verfasst hat, sorgte bereits zuvor für einen Eklat: Auf einem Grünen-Bundesparteitag verglich sie Klimaforscher mit verfolgten Juden:
„Die radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, die zynische Ausbeutung sozialer Unsicherheit, die populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt werden bleiben. Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen oder die Virologinnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscherinnen.“
»Carolin Emcke / taz«
Diese Äußerung, die breite Empörung auslöste, wurde von vielen als geschichtsvergessen und verharmlosend kritisiert. Im Netz wurde Emcke zu Recht vorgeworfen, den Holocaust zu trivialisieren. Grünen-Politiker Cem Özdemir nannte den Vergleich „nicht angemessen“, während der Beauftragte der Bundesregierung für den Mittelstand, »Michael Kellner«, Emcke verteidigte und behauptete, sie sei „über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben“.
Unsere Demokratie wird von vielen Seiten bedroht. Das hat @C_Emcke in ihrer Rede sehr deutlich gemacht. An einer Stelle war das aber in der Rede unglücklich formuliert. Vergleiche mit dem Hass, dem Menschen jüdischen Glaubens ausgesetzt sind, sind nicht angemessen. https://t.co/V88KYWMN04
— Cem Özdemir (@cem_oezdemir) June 12, 2021
„Carolin Emcke ist über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben und hat in ihrer Rede die Logik der Demagogie aufgedeckt“
»Michael Kellner Emcke / Tagesspiegel«
Robert Habeck und Annalena Baerbock, die während Emckes Rede applaudierten, ließen den Vergleich ohne Widerspruch stehen, ein Verhalten, das Bände spricht.
Dieses Muster der Selbstviktimisierung zieht sich durch die Partei. Während die Grünen schnell Antisemitismusvorwürfe gegen andere, wie etwa »gegen die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin«, in den Raum werfen, scheinen sie ihre eigenen Entgleisungen zu bagatellisieren. Die Parallelen zu Schreyers Post sind frappierend: In beiden Fällen wird die unvorstellbare Tragödie des Holocausts für politische Zwecke instrumentalisiert, um Kritik an der eigenen Politik als existenzielle Bedrohung zu dramatisieren.
Doppelmoral im Antisemitismus: Die Grünen und die Resolution
Die Doppelmoral der Grünen wird besonders deutlich in ihrer Haltung zu einer Bundestagsresolution, die den wachsenden Antisemitismus in Deutschland verurteilt, der insbesondere „auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind“. Neun von 25 Bundesarbeitsgemeinschaften der Grünen wehrten sich gegen diesen Abschnitt, mit der Begründung, er diffamiere „ganze Personengruppen“ und verbreite „rassistische Narrative“ über muslimische Einwanderer. Unterstützung fanden sie bei Teilen der SPD-Fraktion.
„Auf das Ergebnis blicken wir mit großer Sorge und wenden uns mit der eindringlichen Bitte an Euch, die Verhandlungen neu aufzunehmen oder gegen den erarbeiteten Vorschlag abzustimmen.“
»Die Grünen / regional Heute«
Diese Haltung ist atemberaubend heuchlerisch. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 tobt auf deutschen Straßen ein offener Antisemitismus, angeheizt von fanatischen Gruppen, darunter vor allem junge Männer arabischer Herkunft.
Plötzlich keine Parolen mehr. Keine Moral. Keine „Haltung".
— Boris Reitschuster (@reitschuster) February 2, 2025
Die Demo gegen Rechts trifft auf eine Juden-Hass-Demo von Palästinensern. Und das Schweigen der Selbst-Gerechten ist ohrenbetäubend.
Von wegen “nie wieder”! Darum ging es ihnen nie. Ihr ganzer Kampf, ihr ganzer Gratismut… pic.twitter.com/vuTkVAifmv
Die Vorstellung, dass Antisemitismus in Teilen der migrantischen Community ein Problem ist, wird von jedem bestätigt, der die Realität auf deutschen Straßen beobachtet, von antisemitischen Ausschreitungen bis hin zu Gewalt gegen Polizisten, etwa »durch Mitglieder eines Clans aus dem Gazastreifen« in Berlin. Die Erziehung in manchen Ländern des Nahen Ostens, wo Kinder von klein auf mit antiisraelischer Propaganda indoktriniert werden, trägt zu diesem Hass bei. Die Hamas und die Hisbollah haben eine Generation herangezogen, deren Vernichtungswille gegen Juden erschreckende Parallelen zur NS-Zeit aufweist.
Europa 2023: Worte auf einer Pro-Palästina-Demo in London – "Hitler wusste, wie man mit diesen Leuten umgeht." Das ist mehr als tiefer Antisemitismus oder gescheiterte Integration. Es ist ein kühner Versuch, die Geschichte und Werte des Landes zu untergraben. #Antisemitismus pic.twitter.com/VsoJfQT8Mr
— Ahmad Mansour 🎗️ (@AhmadMansour__) November 12, 2023
Die Grünen, die so schnell bereit sind, sich selbst mit verfolgten Juden zu vergleichen, scheuen sich, diesen importierten Antisemitismus klar zu benennen. Stattdessen werfen sie Kritikern „Rassismus“ vor, während sie die Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland bagatellisieren. Es ist absurd, eine Resolution, die diesen Missstand anspricht, als „antimuslimisch“ zu diffamieren, während die Wortführer auf den Straßen offen die Auslöschung Israels fordern, inspiriert von Hamas, Hisbollah und den Mullahs im Iran.
Opferrolle statt Verantwortung
Der Fall Schreyer und die Äußerungen von Carolin Emcke offenbaren ein Muster: Die Grünen neigen dazu, sich als Opfer historischer Dimension zu inszenieren, wenn sie mit Kritik konfrontiert werden. Dabei schrecken sie nicht davor zurück, die schlimmste Tragödie des 20. Jahrhunderts für ihre Zwecke zu missbrauchen. Gleichzeitig weigern sie sich, Antisemitismus dort zu benennen, wo er offensichtlich ist, wenn es politisch unangenehm wird. Diese Doppelmoral ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch gefährlich: Sie relativiert den einzigartige Schrecken des Holocausts und lenkt von der dringenden Notwendigkeit ab, Antisemitismus in all seinen Formen, ob importiert oder einheimisch, entschlossen zu bekämpfen.
Schreyers Verfassungsbeschwerde mag ein letzter Versuch sein, sein Gesicht zu wahren. Doch die eigentliche Frage bleibt: Wann hören die Grünen auf, sich als „neue Juden“ und »stetige Opfer« zu stilisieren, und übernehmen Verantwortung für eine Politik, die Spaltung und Polarisierung fördert? Die Antwort darauf könnte mehr über die Partei aussagen als jedes Statement auf 𝕏.
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