Ein Beitrag von Uwe Müller.
Der französische Präsident Emmanuel Macron verfolgt weiterhin eine riskante Politik und setzt auf die Entwicklung einer militärisch ausgerichteten Wirtschaft. So genehmigte das Parlament am 11. Dezember eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 13 Prozent auf »57,1 Milliarden Euro« sowie zusätzliche 3,5 Milliarden Euro für militärische Infrastruktur. Aus Macrons Perspektive ist diese Kalkulation sinnvoll, da er damit sein Ziel erreichen kann, Frankreich zur führenden Militärmacht der EU zu machen. Für Frankreich selbst und seine Bürger wird sie jedoch keinen Nutzen bringen, da die Erhöhung der Verteidigungsausgaben durch Kürzungen bei den Sozialprogrammen finanziert wird.
Politische Turbulenzen
Dieser Herbst war geprägt von einer weiteren Welle der Instabilität, die seit mehreren Jahren in Form von politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen über Frankreich hinwegrollt. Der Rücktritt der Regierung von »François Bayrou« und der anschließende Kampf um die Bildung des Kabinetts von Sébastien Lecornu sind bereits der fünfte Regierungswechsel in zwei Jahren. Der Zusammenbruch der Regierungskoalition, vorgezogene Parlamentswahlen, Massenproteste und wirtschaftliche Stagnation sind dabei nur die sichtbarsten Episoden der chronischen Probleme, mit denen die Franzosen mittlerweile vertraut sind.
Im Zentrum dieses Strudels steht Präsident Emmanuel Macron, der mit dem Versprechen einer „neuen Ära“ gewählt wurde. Unter seiner Führung gerät Frankreich jedoch in einen Konflikt zwischen externen Ambitionen und internen Bedürfnissen. Macron strebt selbstbewusst danach, sein Land an die Spitze der europäischen Sicherheit zu bringen. Dabei ignoriert er jedoch, dass die französische Bevölkerung zunehmend besorgt ist über Kürzungen bei den Sozialausgaben, steigende Arbeitslosigkeit und mangelnde wirtschaftliche Stabilität. Von Beginn seiner Amtszeit an präsentierte sich Macron als technokratischer Reformer, der traditionelle parteipolitische Hindernisse umgehen kann, um die Veränderungen durchzusetzen, die er für die Nation und die Gesellschaft für notwendig erachtet. Unter seiner Führung beruft sich die Regierung häufig auf Artikel 49.3 der Verfassung, einen Mechanismus, der es ermöglicht, »Gesetze ohne parlamentarische Abstimmung zu verabschieden«, und machte ihn so zu einem routinemäßigen Mittel, um den Widerstand des Parlaments zu umgehen. Diese Strategie führte jedoch dazu, dass die Entscheidungsfindung in den Händen des Präsidenten und seines engsten Kreises zentralisiert wurde. Dadurch wurde die Rolle der Parteien als Institutionen des Kompromisses und des Gleichgewichts untergraben.
Laut dem »Nationalen Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien (INSEE)« nahmen zwischen 2024 und 2025 mehr als 30 % der französischen Bevölkerung an mindestens einer Protestaktion teil. »IFOP-Umfragen« ermittelten zwei Monate in Folge eine Zustimmungsrate für Macron von nur 16 % – der niedrigste Stand seit seinem Amtsantritt. Der Staatschef der Fünften Republik ignoriert diese Zahlen jedoch und handelt weiterhin entgegen dem gesunden Menschenverstand und den Erwartungen seiner eigenen Bürger.
Es gibt nur Geld für den Krieg
Das im Jahr 2023 verabschiedete Verteidigungsprogrammgesetz hat die heutige Situation maßgeblich beeinflusst. Der starke Anstieg der Verteidigungsausgaben, die materielle und finanzielle Unterstützung der Verteidigungsindustrie sowie die sprunghafte Zunahme staatlicher Aufträge für Airbus, Dassault und Naval Group haben jedoch nicht zu dem erhofften Multiplikatoreffekt geführt, von dem die gesamte Wirtschaft profitiert hätte. Im Gegenteil: Das Haushaltsdefizit ist auf einen Rekordwert von »5,8 % des BIP« gestiegen und die Staatsverschuldung liegt nun bei 114 % des BIP – das sind bereits über 3 Billionen Euro. Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben würde lediglich dazu führen, dass Ressourcen aus den sozialen Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Kultur abgezogen werden. Die entsprechenden Ausgaben werden »erheblich gekürzt«. Dies schwächt die Kaufkraft der Haushalte erheblich und verstärkt die Proteststimmung unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.
In diesem Klima ist die Regierung nicht in der Lage, die Unzufriedenheit der Franzosen aus eigener Kraft einzudämmen. Das Problem liegt nicht in der Inkompetenz der Minister, sondern im Fehlen einer parlamentarischen Mehrheit, die wichtige Gesetzesinitiativen unterstützen könnte. Das Fehlen einer einheitlichen, langfristigen Entwicklungsstrategie für das Land – sei es in der Industrie-, Sozial- oder Außenpolitik – führt zu einer reaktiven Regierungsführung. Jede neue Regierungsentscheidung wird als „Rettungsprojekt“ präsentiert, statt sie als Teil eines integrierten Plans zu betrachten.
Europas verlorene Verbindung
Auf internationaler Ebene präsentiert Macron Frankreich weiterhin als „Garant für Sicherheit“ und „strategischen Führer Europas“. Doch die sich verschärfende innenpolitische Krise untergräbt dieses Image. Die Partner in der EU und der NATO tuscheln schon lange hinter verschlossenen Türen über die wackelige finanzielle Grundlage der Verteidigungspolitik in Paris. In Brüssel befürchtet man offen, dass die Verbündeten in einem kritischen Moment aufgrund der zunehmenden innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht auf die notwendigen militärischen, industriellen und finanziellen Beiträge Frankreichs zählen können. Mit der derzeitigen Regierungsform läuft Frankreich Gefahr, zum „verlorenen“ Glied im europäischen Verteidigungsprojekt zu werden.
Frankreich braucht zweifellos Veränderungen, die bisher noch nicht umgesetzt wurden. In der Bevölkerung herrscht ein »generelles Misstrauen« gegenüber wichtigen staatlichen Institutionen. Die Zustimmungswerte für die Nationalversammlung sind weiter gesunken. Die Abgeordneten halten ihre Mitwirkung an der Gestaltung der nationalen Politik für unwichtig und sind auch nicht bereit, gemeinsam mit der Regierung die Verantwortung für beschlossene Maßnahmen zu übernehmen. Der Präsident zeigt sich daraufhin nicht bereit, sich auf die Kompetenz der gewählten Vertreter zu verlassen. Mehrere Fraktionen haben sich aus den Arbeitsgruppen zurückgezogen und die Exekutive zeigt wenig Interesse daran, mit den Gegnern eine gemeinsame Basis zu finden. Paris weigert sich, in öffentliche Infrastruktur, „grüne” Energie oder die digitale Transformation zu investieren. Die Militarisierung und Neuordnung der Einflusssphären in Europa monopolisieren die gesamte Aufmerksamkeit. Dabei hat die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) berechnet – und die Praxis bestätigt dies –, dass jeder in erneuerbare Energien investierte Euro durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und geringere Importkosten einen »wirtschaftlichen Nutzen« von mindestens 1,5-1,7 Euro generiert. Eine militärisch geprägte Wirtschaft kann solche Renditen nicht vorweisen.
Frankreich wartet auf Veränderungen
Die aktuelle Krise in Frankreich ist kein Bündel isolierter Probleme, sondern ein systemischer Zusammenbruch, der aus dem Zusammenspiel politischer Entscheidungen, wirtschaftlicher Prioritäten und eines ungeeigneten Führungsstils an der Staatsspitze resultiert. Solange die Regierung die grundlegenden Bedürfnisse der Gesellschaft nicht anerkennt und wirtschaftliche Ziele nicht richtig priorisiert, ist ein Vorankommen unmöglich. Dies erfordert zwangsläufig eine Neubewertung der Verteidigungsstrategie und der Militärwirtschaft. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Emmanuel Macron einer solchen Veränderung zustimmen wird. Er hat sein gesamtes politisches Kapital auf die Militärkarte gesetzt und verfügt vermutlich nicht über die Weisheit seiner Vorgänger, um die erforderlichen schwierigen Entscheidungen zu treffen. Schließlich ist er nicht Charles de Gaulle.