Haintz.Media

Bild:
Wahleinspruch
Quelle:
KI-generiert

Wagenknechts Wahleinspruch – Sein oder Nichtsein

Bild:
Quelle:

Beitrag teilen:

Mehr aus der Kategorie:

Compact
elitäre Doppelmoral
BKA Aktionstag gegen „Hass und Hetze“
Eine kritische Analyse des Wahleinspruchs des BSW, der fordert, dass der Bundestag mögliche Auszählungsfehler und Mandatsrelevanz prüfen soll.
Zusammengefasst

Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages »hat sich konstituiert« und soll den Wahleinspruch der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zur Bundestagswahl 2025 prüfen. Für Wagenknecht ist das Verfahren politisch existenziell, nachdem das Bundesverfassungsgericht kürzlich ihre »Beschwerde als unzulässig verworfen« hatte. Derweil zweifelt das BSW öffentlich die »Legitimität der aktuellen Regierung« an. Der langjährige Mitarbeiter und vermutliche Nachfolger Wagenknechts Fabio De Masi will zudem Druck auf den Wahlausschuss ausüben. Verlangt wird eine Neuauszählung aller bei der Bundestagswahl abgegebenen Stimmzettel. Was ist passiert und wie begründet das BSW diesen schweren Vorwurf? Welche formalen Chancen, Stärken und Schwächen hat der Wahleinspruch?

BSW scheitert im Bundestagswahlkampf

Das BSW verfehlte bei der Bundestagswahl am 23.02.2025 nur hauchdünn den Einzug in den Bundestag: Lediglich 9529 Zweitstimmen fehlten zu den erforderlichen 5 %, entsprechend einer Differenz von 0,19 Promille. Im amtlichen Endergebnis erhielt das BSW 4,981 % der Stimmen – nach Korrekturen gegenüber dem vorläufigen Ergebnis ein Zuwachs von 4277 Stimmen. Vor diesem Hintergrund »reichte das BSW am 22.04.2025 einen Wahleinspruch« beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestages ein. Darin werden auf 45 Seiten methodisch-statistische Auffälligkeiten bei den Auszählungen aufgezeigt, regionale Besonderheiten diskutiert und die rechtliche Relevanz der entdeckten Abweichungen betont. Die Eingabe kritisiert ebenfalls die Transparenz der Datenlage.

Methodische und statistische Stringenz der vorgebrachten Auffälligkeiten

Systematische Anomalie-Analyse:
Der Wahleinspruch stützt sich auf eine umfangreiche Datenanalyse auf Wahlbezirksebene. Das BSW-Team identifizierte Kategorien von Auffälligkeiten, in denen das BSW ungewöhnlich wenige Stimmen erhalten hat, während benachbarte Kleinstparteien überproportional viele Stimmen erhielten. Insbesondere definiert der Einspruch folgende Anomaliekategorien:

  • Kategorie I (extreme Anomalien): Wahlbezirke, in denen das BSW = 0 Zweitstimmen aufweist, gleichzeitig aber eine Kleinstpartei > 0 Stimmen erzielt. Diese Kategorie wird weiter unterteilt in Ia (BSW = 0 Stimmen; Kleinstpartei > 0) und Ib (BSW nur 1–3 Stimmen; Kleinstpartei > 0). Beispiele für betrachtete Kleinstparteien sind Bündnis Deutschland (BD), MLPD, PdF, MERA25 und die WerteUnion – alles Parteien mit bundesweiten Zweitstimmenergebnissen von unter 0,3 %, die auf vielen Stimmzetteln in unmittelbarer Nachbarschaft von BSW standen.
  • Kategorie II (auffällige Minderzählungen): Fälle, in denen das BSW auffällig wenige Stimmen im Verhältnis zu anderen Parteien hat. Konkret wurde etwa definiert, dass BSW in einem Wahlbezirk nur 4–10 Stimmen bekam und damit (insbesondere in westdeutschen Ländern) unter 2 % lag, obwohl gleichzeitig Kleinstparteien in diesem Bezirk Stimmen erhielten. Solche Konstellationen deuten laut Einspruch ebenfalls auf Unstimmigkeiten hin, die weniger augenfällig sind als Kategorie I.

Empirische Befunde
Die Verfasser des Einspruchs belegten diese Kategorien mit konkreten Daten. Bundesweit wurden 714 Wahlbezirke mit Kategorie-I-Anomalien (BSW = 0–3 Stimmen bei gleichzeitigen Kleinstpartei-Stimmen) gezählt, was etwa 1479 potenziell fehlenden BSW-Stimmen entspricht. Zusätzlich fanden sich mit der enger definierten Kategorie II rund 2080 Wahlbezirke (ca. 2830 Stimmen) mit auffällig schwachem BSW-Resultat gegenüber Kleinstparteien. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass in mehreren tausend Stimmbezirken BSW-Stimmen möglicherweise nicht korrekt erfasst wurden. Ein besonders markantes Muster zeigte sich im Vergleich zu der neuen Rechtspartei Bündnis Deutschland (BD): In Bayern etwa fielen nahezu alle Stimmbezirke, in denen BD ein überproportional hohes Ergebnis über ca. 1,8 % (über dem 20-Fachen des BD-Bundesschnitts von 0,09 %) erreichte, mit solchen Bezirken zusammen, in denen das BSW angeblich nur 0 bis maximal 3 Stimmen erhalten haben soll. Diese Korrelation wird im Einspruch als Beleg dafür gewertet, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in jenen Bezirken BSW-Stimmen fälschlich anderen Parteien (hier BD) zugeordnet oder für ungültig erklärt wurden. Ein konkretes Beispiel nennt der Einspruch für den Wahlbezirk Raubling-Schulhaus Redenfelden (Bundestagswahlkreis 221 Rosenheim): Dort stehen im amtlichen Endergebnis 0 Stimmen für BSW und 16 Stimmen (4,9 %) für BD, was in Bezug auf BD ein Ausreißer nach oben ist. Solche extremen Auffälligkeiten bei BD und auch bei anderen Kleinstparteien (z. B. MLPD) in Kombination mit auffällig schwachen BSW-Ergebnissen werden als Indiz für Zähl- oder Übertragungsfehler zulasten des BSW interpretiert.

Stichprobe echter Neuauszählungen
Neben der digitalen Mustererkennung untermauert der Einspruch seine Thesen durch empirische Nachzähl-Ergebnisse. Das BSW-Team trug Informationen über bereits erfolgte komplette Neuauszählungen einzelner Wahlbezirke in verschiedenen Bundesländern zusammen (insgesamt 50 Wahlbezirke). Wichtig ist: Diese Stichprobe wurde so gewählt, dass keine der obigen Anomalien vom Typ I oder II vorab in den Bezirken erkennbar war – es handelt sich also um unverdächtige Bezirke, die aus anderen Gründen neu ausgezählt wurden (z. B. stichprobenartig oder aufgrund knapper Erststimmenergebnisse). Das Resultat ist dennoch bemerkenswert: In 39 von 50 neu ausgezählten Wahlbezirken wurde bei den BSW-Stimmen eine positive Abweichung festgestellt – sprich, das BSW hatte nach Neuauszählung mehr Zweitstimmen als ursprünglich protokolliert (in einigen wenigen Fällen blieb es gleich oder es ging eine Stimme verloren). Auf Grundlage dieser unabhängigen Stichprobe wurde hochgerechnet, dass bundesweit durch vollumfängliche Nachzählung aller Urnen- und Briefwahlbezirke zusätzlich rund 28.533 BSW-Zweitstimmen gefunden werden könnten. Diese Projektion ist natürlich mit statistischer Unsicherheit behaftet, doch sie fußt auf realen Befunden und gibt dem Anliegen eine empirische Basis. Zusammengenommen mit den direkt erkennbaren Anomalien (Kategorien I/II) ließe die Hochrechnung deutlich mehr Zusatzstimmen erwarten, als zum Überschreiten der 5 %-Hürde nötig wären. Die methodische Herangehensweise – die Kombination aus der Mustererkennung in den Wahldaten und der Stichprobe tatsächlicher Neuauszählungen – verleiht dem Einspruch insgesamt eine beachtliche statistische Untermauerung.

Bewertung der Stringenz
Die dargelegte Analyse im Wahleinspruch ist in weiten Teilen schlüssig und datengestützt. Insbesondere die Visualisierungen (Grafiken) zeigen klar, dass bestimmte Kleinstparteien außergewöhnlich häufig ausgerechnet dort stark abschneiden, wo das BSW extrem schwach ist – ein Muster, das kaum durch Zufall erklärbar scheint. Zudem belegen die bereits offiziell korrigierten Fehler (etwa +57 BSW-Stimmen im Wahlkreis Lahn-Dill durch Berichtigung eines Auszählungsfehlers) sowie die Nachzähl-Stichprobe, dass zahlreiche Fehlzuordnungen tatsächlich passiert sind und nicht bloß theoretisch denkbar wären. Allerdings ließe sich anmerken, dass sich der Einspruch primär auf BSW-nachteilige Auffälligkeiten fokussiert: Er sucht gezielt nach Mustern, bei denen BSW-Stimmen „fehlen“. Dieses Vorgehen ist nachvollziehbar (schließlich geht es um das BSW-Ergebnis), birgt jedoch das Risiko einer einseitigen Sicht. Statistisch wäre z. B. zu fragen, wie viele Null-Stimmen-Bezirke für BSW angesichts seines Stimmenanteils erwartbar gewesen wären – der Einspruch stellt die absolute Zahl solcher Bezirke (und ihr Zusammentreffen mit Kleinstparteistimmen) als ungewöhnlich dar, ohne einen expliziten statistischen Signifikanztest anzuführen. Trotz dieser kleineren methodischen Einschränkungen ist die Argumentation insgesamt stringent: Sie baut ein konsistentes Bild auf, wonach systematische Zählfehler zu Lasten des BSW erfolgt sein könnten, und untermauert dieses Bild sowohl qualitativ (durch Beispiele) als auch quantitativ (durch Hochrechnungen).

Differenzierung nach regionalen Parteistärken (BSW vs. SSW & Co.)

Ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung der aufgeführten „Anomalien“ ist die Berücksichtigung legitimer regionaler Hochburgen anderer Parteien. Hier stellt sich vor allem die Frage, ob der Wahleinspruch ausreichend differenziert zwischen echten Unregelmäßigkeiten und erwartbaren regionalen Besonderheiten.

Fallbeispiel SSW (Südschleswigscher Wählerverband) 

Der »Einspruch« listet als Auffälligkeit auf, dass es „allein 196 SSW-Stimmen in Schleswig-Holstein in Wahlbezirken [gibt], in denen das BSW gleichzeitig null Stimmen hat“. Dies wird vom Einspruch implizit als verdächtig dargestellt – untermauert durch den Hinweis, die Parteinamen BSW und SSW seien ähnlich, weshalb Namensverwechslungen bei der Ergebnisübermittlung „möglich und wahrscheinlich“ seien. Mit anderen Worten: Die Anwälte des BSW vermuten, dass Wahlhelfer in einzelnen Fällen BSW-Stimmen irrtümlich als SSW-Stimmen verbucht haben könnten, zumal das BSW und der SSW in Schleswig-Holstein beide auf dem Stimmzettel standen. Kritisch ist hierzu anzumerken: Der SSW ist als Partei der dänischen Minderheit traditionell sehr stark in Schleswig-Holstein verwurzelt, insbesondere im Landesteil Schleswig (z. B. Flensburg und Umland). So holte der SSW bei der fraglichen Wahl 4,0 % der Zweitstimmen in Schleswig-Holstein (76.126 Stimmen) und damit sein »bestes Ergebnis seit 1949«. Rund zwei Drittel dieser Stimmen kamen aus dem nördlichen Landesteil Schleswig und aus Kiel, was die tiefe regionale Verwurzelung des SSW unterstreicht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht per se ungewöhnlich, dass es zahlreiche Wahlbezirke in Schleswig-Holstein gibt, in denen einige SSW-Anhänger wohnen (und SSW folglich > 0 Stimmen erzielt), jedoch niemand BSW gewählt hat (BSW = 0). Flensburg etwa gilt als »„Hochburg der dänischen Minderheit“«, wo ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung traditionell den »SSW wählt«. Solche regionalen Konzentrationen bedeuten, dass SSW-Stimmen ohne BSW-Stimmen in Schleswig-Holstein erwartbar sind.

Der Wahleinspruch hätte an dieser Stelle stärker herausarbeiten können, ob die 196 Fälle wirklich über das normale Maß hinausgehen. Ohne zusätzlichen Kontext könnte der Eindruck entstehen, jeder Nullwert des BSW bei gleichzeitigen SSW-Stimmen sei ein Fehler. Tatsächlich dürfte ein guter Teil dieser Fälle schlicht Ausdruck der legitimen regionalen Stärke des SSW sein – also kein Hinweis auf Zählfehler, sondern auf lokale politische Realität. Dass der Einspruch solche Konstellationen pauschal als „Auffälligkeiten“ aufzählt, ohne näher auf die bekannte SSW-Hochburg-Situation einzugehen, schwächt die Beweiskraft dieser spezifischen Behauptung etwas. Hier wäre eine differenziertere Betrachtung wünschenswert gewesen, etwa ein Abgleich, ob die betreffenden Bezirke in SSW-Kerngebieten liegen (was viele vermutlich tun). Ähnlich könnte man bei anderen Kleinstparteien argumentieren: Einige könnten regionale Schwerpunkte haben – z. B. die MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands), die in bestimmten Städten traditionell etwas höhere Ergebnisse als im Bundesschnitt erzielt. Der Einspruch erwähnt zwar vereinzelt, dass er nicht alle möglichen Fälle analysieren konnte und dass weitere Untersuchungen nötig wären, dennoch bleibt festzuhalten: Die regionale Komponente wird eher als Fehlerquelle denn als erklärende Variable dargestellt. So wird etwa nicht geprüft, ob das BD (Bündnis Deutschland) in einzelnen Gemeinden (vielleicht durch lokale Kandidaten) überdurchschnittlich punkten konnte, sondern es wird vor allem die Hypothese verfolgt, dass BSW-Stimmen fälschlich dem BD zugerechnet wurden. Diese Fokussierung ist aus BSW-Sicht verständlich, doch methodisch wäre eine Absicherung gegen alternative Erklärungen (lokale Wählerpräferenzen) sinnvoll gewesen. Insgesamt mindert dieser Mangel an regionaler Differenzierung etwas die Stringenz des Einspruches – zumindest was die Interpretation mancher Anomalien angeht, die rohen Zahlen bleiben davon aber unberührt.

Andererseits hat das BSW-Team natürlich primär die Auszählungsintegrität im Blick. Sie unterstellen beispielsweise nicht, dass sämtliche SSW-Stimmen „gestohlen“ seien, sondern weisen auf die Gefahr von Verwechslungen hin. Insofern wird dem SSW nicht die Berechtigung seiner Stimmen abgesprochen, doch es fehlt eine explizite Anerkennung, dass viele SSW-Stimmen völlig legitim und erwartbar ohne BSW-Gegenstimme auftreten können. Hier hätte der Argumentation gutgetan, klar zwischen verdächtigen Ausreißern und normalen Hochburg-Effekten zu unterscheiden. Insgesamt bleibt dieser Punkt ein Schwachpunkt in der ansonsten datenorientierten Analyse: Bestimmte Auffälligkeiten könnten (teilweise) durch regionale Parteistärken erklärbar sein, ohne dass zwingend ein Auszählungsfehler vorliegen muss.

Rechtliche Relevanz der festgestellten Abweichungen

Ein zentrales Anliegen des Wahleinspruchs ist es, darzulegen, dass die angeführten Abweichungen mandatsrelevant sein könnten – sprich, dass sie mit plausibler Wahrscheinlichkeit Einfluss auf die Sitzverteilung im Bundestag gehabt haben. Hier überzeugt der Einspruch in der Sache, denn die numerischen Verhältnisse sind eindeutig: Bei nur ~ 9500 fehlenden Stimmen für das Überspringen der 5 %-Hürde befand sich das BSW extrem knapp unter der Eintrittsschwelle ins Parlament. Die Autoren betonen ausdrücklich, dass ein Überschreiten der 5 %-Hürde zu einer anderen Zusammensetzung des Bundestages geführt hätte – das BSW wäre als sechststärkste Kraft ins Parlament eingezogen, wodurch sich die Mehrheitsverhältnisse verschoben hätten. Tatsächlich stellt der Einspruch fest, dass die aktuell angestrebte schwarz-rote Koalitionsmehrheit (CDU/CSU und SPD) nur deshalb eine absolute Mandatsmehrheit erreicht habe, weil das BSW knapp draußen blieb. Wäre es im Bundestag vertreten, hätte diese Koalition ihre Mehrheit verloren. Die politische Brisanz der hauchdünnen BSW-Invalidierung wird damit deutlich herausgestellt.

Aus rechtlicher Perspektive ist dies entscheidend, da gemäß »Art. 41 GG« und dem Wahlprüfungsrecht ein Einspruch nur dann Erfolg haben kann, wenn festgestellte Wahlfehler das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten. Hier argumentiert das BSW mit dem Konzept der Mandatsrelevanz: Selbst scheinbar geringe Fehler können bei einem so knappen Scheitern an der Hürde wahlentscheidend sein. Der Einspruch verweist darauf, dass bereits eine einzige fehlgeleitete BSW-Stimme in jedem zehnten Wahlbezirk genügen würde, um die fehlenden ~ 9500 Stimmen aufzubringen. Angesichts der Vielzahl dokumentierter Fehler und Auffälligkeiten (s. o.) sei es keineswegs auszuschließen, sondern vielmehr sehr wahrscheinlich, dass in Summe genügend Stimmen falsch gewertet wurden, um das BSW-Ergebnis unter 5 % gedrückt zu haben. Der »Einspruch« nennt es „grob unlogisch“, anzunehmen, dass all diese Fehler in ihrer Gesamtheit keine Mandatsrelevanz haben sollen – insbesondere beim „historisch knappsten Scheitern“ an der Sperrklausel.

Tatsächlich unterstreichen die Autoren des Einspruchs die Fragilität von Wahlergebnissen mit Beispielen: So gewann etwa in einem Stuttgarter Wahlkreis eine Kandidatin mit nur 16 Stimmen Vorsprung ein Direktmandat; im Wahlkreis Köln III unterlag der prominente SPD-Kandidat Mützenich mit nur 390 Stimmen Differenz. Solche knappen Entscheidungen könnten durch wenige Stimmenfehler kippen. Übertragen auf die BSW-Situation bedeutet dies: Es ist juristisch gesehen nicht auszuschließen, dass das BSW ohne die aufgezeigten Zählpannen die 5 %-Hürde genommen hätte. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird vom Einspruch sogar als „hoch“ eingeschätzt, da zahlreiche unabhängige Hinweise auf Fehlzuordnungen vorliegen.

Insgesamt erfüllt der Wahleinspruch die Anforderung, mandatsrelevante Fehler geltend zu machen. Selbst konservativ betrachtet reichen die dokumentierten Unregelmäßigkeiten (Summe aus Kategorie I, II und den extrapolierten stillen Fehlzählungen) an die benötigte Stimmenzahl heran oder überschreiten sie deutlich. Damit ist zumindest ein prüfungserhebliches Szenario gezeichnet: Sollte auch nur ein Teil dieser vermuteten Fehlwerte zutreffen, hätte dies potenziell die Sitzverteilung verändert. Aus rechtlicher Warte heißt das, dass der Wahlprüfungsausschuss und ggf. das Bundesverfassungsgericht den Vorwürfen nicht mit dem Argument begegnen können, es handle sich um rein theoretische oder ergebnisirrelevante Mängel. Vielmehr drängt der »Einspruch« darauf, dass es sich um Fehler „von solchem Gewicht“ handelt, „dass der Fortbestand der in dieser Weise gewählten“ Organe in Frage steht. Diese Formulierung spielt auf die »Rechtsprechung des BVerfG« an, wonach erhebliche Wahlfehler eine Wahlwiederholung oder -korrektur rechtfertigen können, wenn sie das Wahlergebnis beeinflusst haben. Der Einspruch argumentiert überzeugend, dass diese Schwelle hier erreicht ist. Die rechtliche Relevanz der vorgebrachten Punkte ist somit gegeben und klar herausgearbeitet.

Transparenz und Datenlage: Kritik und Befunde

Der Wahleinspruch kritisiert auch die mangelnde Transparenz der verfügbaren Wahldaten, was sowohl die Analyse der Ergebnisse erschwere als auch generell die öffentliche Kontrolle behindere. Konkret wird vom BSW-Team bemängelt, dass ihnen kein konsolidierter, amtlicher Datensatz aller 95.109 Wahlbezirke mit detaillierten Zweitstimmenergebnissen zur Verfügung stand, bis die Einspruchsfrist ablief. Diese Information wurde ihnen sogar von der Bundeswahlleiterin bestätigt (per E-Mail vom 14.04.2025, Anlage E 11). Infolgedessen sah sich das BSW-Team gezwungen, die notwendigen Daten aus verschiedenen Quellen mühsam zusammenzutragen: Viele Ergebnisse wurden aus den dezentral veröffentlichten Angaben (z. B. über die VoteManager-Software der Kommunen oder CSV-Dateien der Landeswahlleiter) manuell extrahiert. Dieses Vorgehen war zeitaufwendig und lückenhaft – laut Einspruch konnten bis Fristende nur ca. 95 % der Wahlbezirke erfasst werden.

Die Kritik an der Datenlage erscheint durchaus stichhaltig. In einer echten Demokratie sollte der vollständige, detaillierte Wahldatensatz zeitnah nach der Wahl öffentlich verfügbar sein, um unabhängige Überprüfungen zu ermöglichen. Dass das BSW zunächst „keine amtlichen, allgemein verbindlichen Datensätze“ erhielt und teils im Blindflug nach Auffälligkeiten suchen musste, legt einen undemokratischen Transparenzmangel offen. Dieser Mangel wirkte sich auch praktisch aus: So berichtet der Einspruch, dass die Erweiterung der unabhängigen Nachzähl-Stichprobe (s. o.) durch die fehlende Transparenz „sehr mühsam“ war und innerhalb der knappen Frist nicht mehr weiter vorangetrieben werden konnte. Hätte etwa frühzeitig festgestanden, in welchen Wahlkreisen flächendeckend neu ausgezählt wurde oder wo Unstimmigkeiten protokolliert sind, hätte man diese Informationen systematischer einbeziehen können. Stattdessen musste das BSW jedes Kreiswahlleiter-Ergebnis einzeln erfragen.

Hier muss das BSW-Team dringend nachliefern und die nun »veröffentlichten Wahldatensätze« auswerten. Meine eigene Auswertung dieser Daten lässt keine Hinweise auf eine systematische Benachteiligung des BSW erkennen. Die dargestellten „Auffälligkeiten“ entsprechen entweder erklärbaren regionalen Besonderheiten (wie im Falle des SSW) oder zeigen keine substanzielle Nähe zu einem relevanten Mandatsgewinn auf. Selbst wenn alle 1 256 Kleinstparteistimmen in Bezirken mit BSW = 0 tatsächlich dem BSW zugestanden hätten, fehlten der Partei immer noch gut 8 300 Stimmen zur 5-Prozent-Schwelle. Zählt man zusätzlich sämtliche Stimmen aus den 81 „≤ 3 BSW / > 10 Kleinstpartei“-Bezirken (zusammen ≈ 2 900), ergäbe das rechnerisch maximal ~4 100 potenziell fehlgeleitete Stimmen.

Positiv anzumerken ist, dass das BSW seine Quellen offenlegt (etwa via Anlagenverzeichnis) und damit transparent macht, woher die verwendeten Daten stammen. Die Bundeswahlleiterin selbst wird zitiert, was der Kritik zusätzliches Gewicht gibt. Es wird deutlich, dass dieser Einspruch auch einen Appell an die Verbesserung der Datenzugänglichkeit beinhaltet: Um Wahlfehler überhaupt erkennen zu können, braucht es zeitnah vollständige und verlässliche Daten. In der aktuellen Lage, so kann man herauslesen, sind engagierte Bürger oder Parteien gezwungen, detektivisch Informationen zu sammeln – was nicht im Sinne einer demokratischen Transparenz ist. 

Insgesamt ist die Darstellung der Datenproblematik korrekt und berechtigt: Der Einspruch hat die schwierige Datenlage treffend beschrieben und für die eigene Argumentation berücksichtigt (indem er z. B. darauf hinweist, wo Daten unvollständig sind). Dieser Punkt untermauert eher noch die Glaubwürdigkeit des Anliegens, da das BSW-Team offenlegt, unter welchen Einschränkungen es arbeiten musste, anstatt etwa falsche Gewissheit zu behaupten.

Gesamtwürdigung

In der Gesamtschau präsentiert der Wahleinspruch des BSW eine weitgehend konsistente und überzeugende Argumentation, weist aber auch einige potentiell schwächende Elemente auf. Auf der Habenseite steht eine sehr gründliche Aufarbeitung des Wahlergebnisses aus BSW-Sicht: Die Kombination aus statistischer Analyse (mit auffälligen Mustern bei Kleinstparteien) und konkreten Befunden (Berichtigungen und Nachzählungen einzelner Bezirke) ergibt ein stimmiges Bild. Insbesondere die Beispiele um BD/BSW in Bayern oder die nachgewiesenen Zählfehler in Lahn-Dill und anderswo untermauern den Verdacht, dass das BSW bei der Stimmenauszählung systematisch benachteiligt wurde – sei es durch Versehen, Verwechslungen oder methodische Schwächen im Auszählprozess. Die Argumentation ist kohärent: Sie zeigt den roten Faden vom Befund (viele kleine Auszählungsfehler) über die Summation (Hochrechnung der zusätzlich nötigen Stimmen) bis hin zur rechtlichen Implikation (mögliche Mandatsverschiebung). Auch werden plausible Ursachen für die Fehler benannt, z. B. Namensähnlichkeiten (BSW/SSW), der Umstand fehlender Erststimmenkandidaten (und dadurch mögliche Verwechslungen von Erst- und Zweitstimmenstapeln) oder generelle Ablaufpannen. Dieser Erklärungsrahmen gibt der Statistik erst die notwendige Glaubwürdigkeit – es wird nicht bloß auf Ausreißer gezeigt, sondern auch erläutert, warum gerade das BSW davon besonders betroffen sein könnte.

Dennoch gibt es Punkte, die die Glaubwürdigkeit der Gesamteinschätzung schwächen könnten, vor allem für außenstehende Beobachter: Wie herausgearbeitet, hätte eine bessere Differenzierung bei regionalen Ergebnissen (z. B. SSW in Schleswig-Holstein) den Einspruch noch wasserdichter gemacht. So aber entsteht der Eindruck, dass jede Abweichung zugunsten anderer Kleinstparteien als Indiz eines Fehlers gewertet wurde – was nicht immer zwingend ist. Einem mit den regionalen Gegebenheiten vertrauten Leser könnte dies als Überspannen des Bogens erscheinen: Wer weiß, dass der SSW naturgemäß im Raum Flensburg Stimmen holt, wird die pauschale Nennung der 196-SSW- vs. 0-BSW-Fälle mit Skepsis betrachten. Solche Aspekte bieten Angriffspunkte für die Gegenargumentation (etwa durch die Regierungsparteien im Wahlprüfungsausschuss), wonach manche „Auffälligkeiten“ auch einfach durch normales Wählerverhalten erklärbar seien.

Allerdings überstrahlen diese Schwächen nicht die Gesamtaussage. Die Menge und Vielfalt der aufgeführten Unregelmäßigkeiten – von falsch zugeordneten Stimmen über ungültig gewertete BSW-Zweitstimmen bis zu fehlerhaften Schnellmeldungen – zeichnen ein klares Bild, das durch objektive Befunde gestützt wird. Wichtig ist auch: Der Einspruch übertreibt nicht offensichtlich; er bleibt sachlich und verweist wiederholt darauf, dass weitere Aufklärung nötig ist und dass viele Auffälligkeiten nur Indikatoren für mögliche Fehler sind, keine endgültigen Beweise. Gerade diese nüchterne Haltung (trotz politischer Brisanz) macht die Argumentation überzeugend. Die Verfasser zitieren zudem rechtliche Autoritäten und frühere Entscheidungen (BVerfG-Rechtsprechung, Kommentarstellen) und zeigen dadurch, dass sie die juristischen Hürden kennen und adressieren.

Schlussfolgerung

Der Wahleinspruch des BSW vom 22.04.2025 ist in sich weitgehend stimmig und durch Daten untermauert. Er legt methodisch dar, warum das BSW gerade so knapp gescheitert sein könnte, und macht transparent, wo die Unsicherheiten liegen (fehlende Daten, begrenzte Stichprobe). Mandatsrelevanz und Neuauszählungsbedarf werden schlüssig begründet. Einzelne überzogene oder undifferenzierte Teile – etwa die Interpretation der SSW-Stimmen als Anomalie – mindern den Gesamteindruck nur geringfügig. Insgesamt bietet die Eingabe eine fundierte Grundlage dafür, zumindest in ausgewählten Bereichen Nachzählungen anzuordnen oder die Auszählungsregularien zu hinterfragen. Sollten sich die meisten der aufgezeigten Fehler bestätigen, wäre tatsächlich eine Korrektur des Wahlergebnisses geboten. Der Einspruch erreicht damit sein Ziel, erhebliche Zweifel an der vollumfänglichen Korrektheit des bekanntgegebenen Ergebnisses zu säen – in einer Ausführlichkeit und Substanz, wie sie bei Wahlanfechtungen in Deutschland selten zu sehen ist. Die übergreifende Argumentation bleibt trotz kleiner Schwächen überzeugend: Sie zeigt plausibel, dass das knapp verfehlte Bundestagsmandat für das BSW keineswegs auf eindeutigem Wählerwillen beruhen muss, sondern in der Tat durch häufbare Auszählungsirrtümer zustande gekommen sein könnte. Damit ist die Sache nun zu Recht Gegenstand des förmlichen Wahlprüfungsverfahrens.

Persönliche Einschätzung

Ich persönlich halte das Argument der Mandatsrelevanz für formal solide. Entscheidend ist jedoch, wie der politisch motivierte Wahlprüfungsausschuss und gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht die methodischen Zweifel und Fehlerinterpretationen bewerten. Letztendlich handelt es sich beim Umgang mit dem Wahleinspruch aber um eine politische Entscheidung des Bundestages, nicht um eine rein formale juristische Abwägung. Aus diesem Grund dürfte der Bundestagsausschuss aus Eigeninteresse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ablehnen. Die Erfolgsaussichten einer anschließenden Verfassungsbeschwerde sind zwar nicht völlig aussichtslos, erscheinen mir aber mit großer Vorsicht betrachtet als ebenfalls höchst unwahrscheinlich.

Aus meiner Sicht wirft es ein bezeichnendes Licht auf die Motive hinter dem Einspruch des BSW, dass das Team bislang eine detaillierte Prüfung der inzwischen »vollständig verfügbaren Wahldatensätze« offenbar vermieden hat. Zudem besteht für das BSW nach »§ 2 des Wahlprüfungsgesetzes« die Möglichkeit, auch nach Ablauf der regulären Einspruchsfrist auf neu bekannt gewordene, amtlich festgestellte Unregelmäßigkeiten zu reagieren: Sollten dem Präsidenten des Bundestages später solche Umstände bekannt werden, die auf einen Wahlmangel hindeuten, könnte er innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden in amtlicher Eigenschaft selbst Einspruch einlegen. Dies könnte dem BSW die Chance bieten, zusätzliche Erkenntnisse auch nach Ablauf der ursprünglichen Frist noch in das Verfahren einzubringen. Möglicherweise möchte man sich durch diese bewusste Zurückhaltung nicht der Gefahr aussetzen, dass die veröffentlichten Zahlen die eigene Argumentation widerlegen könnten. Vielmehr scheint das BSW eher auf die ursprünglich fehlende Datenlage zu setzen, um politisch weiterhin von Zweifeln und Misstrauen gegenüber der Wahl profitieren zu können.

Aus parteiinternen Gesprächen ist mir bekannt, dass selbst Sahra Wagenknecht nicht überzeugt sei, mit diesem Verfahren tatsächlich den Einzug in den Bundestag zu schaffen. Vielmehr treibe das BSW den Einspruch primär aus politischem Kalkül voran – um Aufmerksamkeit zu erzeugen und zumindest den parlamentarischen Einzug als mögliches Ergebnis im Raum stehen zu lassen. Bis dahin gehe das BSW zumindest medial nicht unter. Die Parteiführung hoffe daher auf ein langwieriges Verfahren bis zur nächsten (vorgezogenen) Bundestagswahl. Bei einer von Krise zu Krise taumelnden Bundesregierung könnte dieses Kalkül aufgehen. Immerhin, das BSW liegt bei »einer aktuellen Umfrage« zur Bundestagswahl wieder bei 5 %. Für eine neue Partei ohne Basis, ist das erstaunlich und zeigt, dass Bedarf für eine echte Opposition besteht. Ob das BSW diese Lücke füllen wird, bleibt abzuwarten.

Anmerkung: Der Analyse liegen der »Wahleinspruch der BSW vom 22.04.2025« sowie begleitende Dokumente und Pressemitteilungen zugrunde. Sämtliche zitierten Passagen stammen aus dem Einspruchsdokument.

_________________________________________________________________________________
Transparenzhinweis
Dejan Lazić, Sozialökonom und Wirtschaftsjurist, Hochschuldozent für Staats- u. Migrationsrecht (2002–2022), Geschäftsführer einer internationalen Rechts- und Wirtschaftsberatungsgesellschaft.
Er ist Gründungsmitglied des BSW und machte sich vor allem als scharfsinniger parteiinterner Kritiker einen Namen: Ein „BSW-Rebell“ mit Prinzipien.
Lazić schreibt über Macht, Moral und Manipulation – und wie politische Parteien, Medien und Konzerne mit denselben Mitteln die Demokratie zur Fassade machen.

Beitrag teilen:

Unterstützen Sie uns!

Helfen Sie mit, freien Journalismus zu erhalten

5

10

25

50

No posts found
Picture of Dejan Lazić

Dejan Lazić

Dejan Lazić ist Jurist und Sozialökonom. Gründungsmitglied des BSW. Als Autor schreibt er über Macht, Moral und Manipulation – und der Rolle von Parteien, "Medien" und Konzernen in einer gelenkten Demokratie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

No posts found

Buch-Empfehlung

911