Wir schreiben den 8. Dezember 2024. Donald Trump ist designierter Präsident, jedoch vor dem 20. Januar 2025 noch nicht im Amt. Aktuell regiert die Biden-Administration in den USA, und viele Menschen befürchten in dieser Zwischenphase Eskalationen oder sogar den Ausbruch eines großen Krieges.
Das Ende des Assad-Regimes
Heute in den frühen Morgenstunden wurde der Machthaber Bashar al-Assad in Syrien gestürzt. Assad galt im Westen als brutaler Diktator. Die Meinung der Syrer war differenzierter. Der Tenor unter denjenigen, die 2015 nach Europa geflohen waren, war überwiegend wie folgt: Ja, Assad ist ein autokratischer Herrscher, aber man konnte sich recht gut arrangieren. Keiner mochte Assad wirklich, doch der Zustand eines autokratischen Regimes mit Religionsfreiheit, Frauenrechten, einem relativ guten bzw. zunehmend besser werdenden Lebensstandard und Ausbildungsmöglichkeiten wurde ebenfalls gewürdigt und dem folgenden Kriegschaos auf jeden Fall vorgezogen.
Es ist davon auszugehen, dass die Unterstützung für Assad in Syrien selbst deutlich stärker ausgeprägt war, denn offenkundig gab es viele, die nicht flüchteten.
Machtübernahme der islamistischen Hajat Tahrir al-Scham (HTS)
Heute übernahm Abu Mohammed al-Julani, der militante Führer der HTS, die Macht in Syrien. Die vollständige Machtübernahme dauerte nur wenige Tage und war von geringem Widerstand geprägt. Aleppo, Homs und schließlich Damaskus fielen ohne große Gegenwehr. Das Szenario erinnert unwillkürlich an die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Blitzschnell und wohl mit Absprachen im Hintergrund erfolgte damals der Machtwechsel.
Vom Saulus zum Paulus?
Ähnlich stellt sich die Lage nun in Syrien dar. Al-Julani ist bekennender Islamist. Er diente al-Qaida, war Teil der al-Nusra-Front – allesamt sog. Terroristen, die im Westen als terroristische, islamistische Organisationen eingestuft werden. Doch die westliche Presse berichtet nicht, wie eigentlich zu erwarten wäre, von der Übernahme durch Terroristen, sondern von der Übernahme durch sogenannte „Rebellen“ in einem Bürgerkrieg. Dass die US-Regierung al-Julani als „Specially Designated Global Terrorist“ einstufte und 2017 ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt hat, findet wenig Niederschlag in der aktuellen Berichterstattung.
@USEmbassySyria / 𝕏
Bemerkenswert ist auch, dass CNN erst vor zwei Tagen ein zehnminütiges Interview mit al-Julani ausstrahlte. Interviews mit gesuchten Terroristen zählen bei CNN nicht gerade zum Standardprogramm. Im Interview gibt sich der Islamistenführer gemäßigt und staatsmännisch.
CNN / YouTube
Diesem Tenor folgt auch die mediale Berichterstattung in den sogenannten Leitmedien. Es wird vorwiegend von feiernden Syrern und großer Freude im Land berichtet. Die Fluchtbewegungen, die dadurch ausgelöst werden, bleiben weitgehend außen vor. Sowohl in Syrien als auch im Exil auf den Straßen Deutschlands feiern Syrer den Sturz des Assad-Regimes.
Screenshot / DuckDuckGoSearch
Diese Reaktion ist bisweilen verständlich, doch ist zu befürchten, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Assad regierte autoritär. Er war bekannt für seine Foltergefängnisse. Insbesondere im Zuge des Krieges verschwanden zahlreiche Menschen, oft Familienmitglieder der hierher Geflüchteten. Dass man den Sturz des Regimes und die Befreiung der Häftlinge aus dem Moment heraus auf den Straßen feiert, ist verständlich.
Doch was kommt danach? Natürlich waren in Assads Gefängnissen viele Unschuldige eingesperrt. Andererseits saßen dort auch zahlreiche Islamisten. Unterschiedslos wurden Berichten zufolge viele freigelassen. Dass sich solche Aktionen als Fehler erweisen könnten, ist spätestens seit der Auflösung von Camp Bucca (2009) nach dem Irakkrieg klar. Aus den damals befreiten Inhaftierten formierte sich der IS.
Unterstützung aus dem Ausland
Der Verlauf der aktuellen Geschehnisse legt nahe, dass dieser plötzliche Umsturz nicht ohne erhebliche Mithilfe von ausländischen Mächten erfolgte. Vorwiegend die USA, die Türkei und Israel stehen hier im Verdacht. „The enemy of my enemy is my friend“ ist seit Langem die offenkundige Strategie der US-Geopolitik. So werden aus gesuchten Terroristen ganz schnell gemäßigte Rebellen – oder umgekehrt.
Zu Syrien:
— henning rosenbusch (@rosenbusch_) December 8, 2024
Rebellen vs. Islamisten.
Freiheitskämpfer vs. Staatsdelegitimierer.
Wie man es eben gerade braucht.https://t.co/k2nsValCRk pic.twitter.com/3BZ3UNPBaB
@rosenbusch_ / 𝕏
Das Interesse der Türkei wird wohl vorwiegend die Kurdenfrage betreffen. Seit Langem wünscht sich Erdogan eine Pufferzone und das Zurückdrängen des kurdischen Einflusses. Dass Israel umgehend auf den Golanhöhen aufmarschierte, nach eigenen Angaben lediglich aus Sicherheitsgründen, lässt auch hier vermuten, dass die dahinterliegenden Interessen etwas anders gelagert sind.
Wunsch und Wirklichkeit
Was wird nun in Syrien passieren? Das ist die Frage, die sich stellt. Viele wünschen sich eine gemäßigte, demokratische Regierung, mit mehr oder weniger islamischer Tradition. Dass dies jedoch ein realistisches Szenario ist, ist zu bezweifeln. Viel eher ist zu befürchten, dass die neuen Machthaber einen islamischen Staat errichten werden – ob in den heutigen Grenzen Syriens oder ob sich die Türkei, Israel oder auch andere angrenzende Länder noch ein „Stück vom Kuchen abschneiden„, bleibt abzuwarten. Der Westen hat allem Anschein nach sein Ziel, Assad zu stürzen, erreicht. Die Lage in der Region wird durch diese Machtübernahme jedenfalls weiter destabilisiert.
2 Antworten
Es sind diese „Markierwörter“ ohne konkreten Inhalt, die nur die gewünschte Reaktion beim Leser bedeuten UND SONST NICHTS.
Was ist ein Autokrat, ein Rebell, ein Islamist ein Terrorist inhaltlich?
„Viel eher ist zu befürchten, dass die neuen Machthaber einen islamischen Staat errichten werden “
Wer befürchtet das denn und warum? Und geht es den Befürchtenden denn etwas an, wie die Bevölkerungen dieser fremden Ländrr ihr eigenes Leben gestalten? Die Gewöhnung der Übergriffigkeit zeigt den Gipfel der Hybris in ihrem Weltkriegsstreben: wer nicht ist wie wir, muss sterben ‚ die oder wir. Menschenrechte als Instrument der Tyrannei.
Wie die Bevölkerungen fremder Länder ihr eigenes Leben und Staatssystem gestalten, ist natürlich deren eigene Sache und nicht an westlichen Standards zu messen.
Eine Autokratie zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass die Bevölkerung nicht selbst bestimmt, welches System bzw. welche Herrschaftsform und welchen Herrscher sie wählen. Daher geht ein Machtwechsel idR mit einem Putsch einher. Das gehört quasi zum System dazu.
Problematisch wird es dann, wenn ausländische Mächte für Umstürze verantwortlich sind.
Wer befürchtet, dass es zu einem „islamischen Staat“ kommt?
Viele Syrer, vor allem auch Exil-Syrer. Wobei hier „islamischer Staat“ als streng erzkonservativ zu verstehen ist. Die Religion spielt zwar in dieser Region auch rechtlich – nach dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung – eine wesentliche Rolle, doch geht der Wunsch – meiner Erfahrung nach – nicht so weit, dass eine streng erzkonservative Auslegung in allen Lebensbereichen gewünscht ist.
Was die Begriffe „Rebell“, „Islamist“, „Terrorist“ udg. betrifft, so sind diese oft Synonym und nur davon abhängig, ob die aktuelle, westliche Berichterstattung bzw. die Machthaber die Gruppierung gerade als nützlich betrachtet oder nicht.
Dass „die Menschenrechte“ oft als Ausrede herhalten müssen, ist korrekt, und entlarvt sich schon allein dadurch, dass Saudi-Arabien oder Ägypten aktuell – trotz schwerster Menschenrechtsverletzungen – nicht in der Kritik stehen.