Die Hamburger Aktivistin Nina Maleika gab dem Radio Berliner Morgenröte ein Interview zur Auflösung des Kongresses. Sie war zwar nicht selbst vor Ort, ist aber mit den Palästina-Aktivisten gut vernetzt.
„Umstrittener Redner“ führt zur Auflösung
Laut ZDF war Anlass der Auflösung der Redebeitrag von Salman Abu Sitta, dem „umstrittensten Teilnehmer“ der Konferenz, der in Deutschland ein politisches Betätigungsverbot hat. Die Übertragung wurde abgebrochen als er den „Völkermord in Gaza“ verurteilte. Daraufhin nahm die Berliner Polizei eine Neubewertung der Gefährdungslage vor und beendete den Kongress, wie die Pressesprecherin der Berliner Polizei mitteilte.
Begründung der Berliner Polizei auf X
Die Berliner Polizei begründete die Auflösung auf ihrem X-Profil wie folgt:
Rechtliche Einordnung
Die Begründung erscheint mir aus rechtlicher Sicht sehr fragwürdig, da es offenkundig mildere und verhältnismäßigere Mittel gegeben hätte als eine Auflösung der Versammlung und ein Verbot für die Weiterführung am nächsten Tag.
Gemäß § 22 des Versammlungsfreiheitsgesetzes Berlin darf eine Versammlung in geschlossenen Räumen nur dann beschränkt, verboten oder aufgelöst werden, wenn die unmittelbare Gefahr eines unfriedlichen Verlaufs mit der Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Personen besteht, oder, wenn aufgrund von erkennbaren Umständen davon ausgegangen werden muss, dass Äußerungen erfolgen, die ein Verbrechen (Mindestfreiheitsstrafe ein Jahr oder mehr im Grundtatbestand) oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen darstellen.
Ein Vergehen hat eine geringere Mindestfreiheitsstrafe als ein Jahr. Manche davon sind Antragsdelikte, beispielsweise Beleidigung oder Hausfriedensbruch und werden nur auf Antrag des Geschädigten verfolgt. Wenngleich es auch hier Ausnahmen gibt, beispielsweise, wenn eine Beleidigung auf einer Versammlung erfolgt und sich gegen ein Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt-und Willkürherrschaft richtet, § 194 Abs. 1 S. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Darüber hinaus gibt es Vergehen, bei denen die Staatsanwaltschaft das „besondere öffentliche Interesse“ annehmen und ohne Strafantrag ermitteln und vorgehen kann, beispielsweise bei § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) und 192a StGB (Verhetzende Beleidigung).
Andere Vergehen, wie die Belohnung und Billigung von Straftaten oder eine Volksverhetzung benötigen keinen Strafantrag.
Unter den obigen Voraussetzungen ist es nicht begründbar eine Versammlung sofort aufzulösen und zu verbieten, nur weil gemutmaßt wird, dass sich ein Redner antisemitisch bzw. gewaltverherrlichenden äußern könnte. Zunächst müssen die befürchteten Aussagen tatsächlich Straftaten darstellen, was längst nicht bei jeder Äußerung vorliegt, die beispielsweise als antisemitisch gewertet werden kann und auch nicht bei einigen, die als gewaltverherrlichend gewertet werden können (Anmerkung: was weder das eine noch das andere gutheißen soll).
Viel gewichtiger ist aber aus juristischer Sicht, dass die Berliner Polizei offenkundig nicht einmal versucht hat, mildere Mittel und Beschränkungen anzuwenden. Einzelnen Rednern hätte die Rede untersagt werden können. Dem Veranstalter hätte mitgeteilt werden können, welche Redeinhalte / Aussagen zu unterlassen sind. Dem Veranstalter hätte die Möglichkeit gewährt werden müssen, die Versammlung rechtskonform durchzuführen, zumal laut Medienangaben auch mehrere Rechtsanwälte des Veranstalters vor Ort waren, welche eine solche Situation ohne weiteres juristisch klären können. Die Berliner Polizei hat nichts dazu vorgetragen, was den Verdacht nahelegt, dass Beschränkungen nicht ausgereicht hätten, zumal sie sich nur auf die potentielle Rede eines Teilnehmers bezogen hat.
Teilnehmer reagieren mit Unverständnis
Teilnehmer vor Ort bewerteten und beschrieben die Auflösung als willkürlich, was sich beispielsweise aus dem nachfolgenden Video ergibt.
Ohne den konkreten Inhalt des Kongresses bewerten zu können oder wollen, drängt sich erneut der Eindruck auf, dass bei politisch missliebigen Versammlungen die Verhältnismäßigkeit von polizeilichen Maßnahmen nicht mehr überprüft wird und sofort juristisch fragwürdige und wohl rechtswidrige Verbote durchgesetzt werden, die dann später in einem langjährigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgearbeitet werden müssen, während vor Ort längst Fakten geschaffen wurden. Die Berliner Polizei ist dafür bekannt, dass sie die Versammlungsfreiheit häufig rigoros und unverhältnismäßig bekämpft, jedenfalls dann, wenn die Versammlung nicht in das politisch geduldete Narrativ passt. Eine vermeintlich „bedingungslose Solidarität“ Deutschlands mit Israel ist kein Grund, versammlungsrechtliche Grundsätze zu missachten.
Demonstration gegen das Verbot am Neptunbrunnen in Berlin, Sonntag, 14 Uhr
Aus Protest gegen das Verbot haben sich zur Stunde Sympathisanten der Palästinenser am Neptunbrunnen in Berlin versammelt, um gegen die Auflösung und das Verbot zu demonstrieren.