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Zwischen Krieg und Korruption
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Selenskyjs Machtgriff: Ukraine opfert Anti-Korruptionsinstitutionen

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Ein Präsident beruft sich auf den Kampf gegen Russland, während er unabhängige Institutionen ausschaltet. Wer Ermittlungen führt, landet im Visier des Geheimdienstes – ganz ohne Gerichtsbeschluss.
Zusammengefasst

Die Ukraine steht am Abgrund – nicht nur durch den Krieg mit Russland, sondern durch einen inneren Verrat an den Idealen, für die das Land seit der Maidan-Revolution 2014 kämpfte. Präsident Wolodymyr Selenskyj, einst gefeiert als Hoffnungsträger einer neuen Ära, hat mit der Unterzeichnung eines umstrittenen Gesetzes die Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden zerstört. Damit droht ein Rückfall in die finsteren Zeiten der Janukowitsch-Ära, als Korruption das Land fest im Griff hatte. Während die Frontlinien gegen Russland wanken, schützt Selenskyj offenbar seinen inneren Kreis und riskiert die Unterstützung des Westens. Ein Land, das für Demokratie kämpfen will, scheint seine eigenen Grundsätze zu verraten.

Ein Gesetz gegen die Demokratie

Am Dienstag verabschiedete »die Werchowna Rada«, das ukrainische Parlament, mit 263 Stimmen das Gesetz Nr. 12414, das die »Nationale Anti-Korruptionsbehörde« (NABU) und die Spezialisierte »Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft« (SAPO) dem Generalstaatsanwalt unterstellt. »Ruslan Krawtschenko« ist ein enger Vertrauter Selenskyjs, »der direkt vom Präsidenten ernannt wurde«.

„Heute wurde mit den Stimmen von 263 Abgeordneten die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung zerstört.“

»Semjon Krywonos / Chef des nationalen Anti-Korruptions-Büros / n-tv«

Beide Institutionen, seit ihrer Gründung nach der Maidan-Revolution Säulen im Kampf gegen Korruption, verlieren ihre Unabhängigkeit. Der Generalstaatsanwalt erhält weitreichende Befugnisse: Er kann Ermittlungen umleiten, Akten einsehen und Fälle schließen. Dies ist ein Freifahrtschein für politische Einflussnahme.

Anastasia Radina, eine Abgeordnete aus Selenskyjs eigener Partei, die gegen das Gesetz stimmte, sprach von einem Zerschlagen der Anti-Korruptions-Infrastruktur. NABU und SAPO würden zu »dekorativen Institutionen«, die vom Willen des Generalstaatsanwalts abhängen.

„Damit wird die Anti-Korruptions-Infrastruktur demontiert […] Aus unabhängigen Ermittlungsbehörden werden dekorative Institutionen, die vollständig vom Willen des Generalstaatsanwalts abhängen.“

»Anastasia Radina / Berliner Zeitung«

Der Kyiv Independent bezeichnete die Entwicklung als Verrat.

„Zelensky hat gerade die Demokratie der Ukraine verraten – und alle, die dafür kämpfen.“

»Kyiv Independent«

Im Zuge der Proteste 2014, wurde der als korrupt angesehene Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt. Damals begann die Ukraine, mit massiver westlicher Unterstützung unabhängige Kontrollinstanzen aufzubauen. Nun scheint dieses Erbe systematisch zerstört zu werden.

»Screenshot / SRF«

Selenskyj rechtfertigte das Gesetz mit dem Kampf gegen „russischen Einfluss“ und warf NABU und SAPO Ineffizienz vor. Doch seine Argumente klingen hohl. Die Anti-Korruptions-Infrastruktur werde weiterarbeiten, erklärte er in einer Videobotschaft.

„Die Antikorruptionsstruktur wird weiterarbeiten – aber ohne russische Einflüsse. Alles muss davon befreit werden.“

»Selenskyj / WeLT«

Gleichzeitig kritisierte er die Behörden für ausbleibende Fortschritte in Korruptionsfällen, insbesondere gegen Ukrainer, die ins Ausland geflüchtet seien. Kritiker sehen darin eine Schutzbehauptung, um die Macht über Ermittlungen zu sichern, die seinem inneren Kreis gefährlich nahekommen.

Geheimdienst-Razzien als Machtdemonstration

Die Demontage der Anti-Korruptionsbehörden begann nicht mit dem Gesetz. »Bereits am Montag führte der ukrainische Geheimdienst SBU eine Welle von Durchsuchungen« bei NABU-Mitarbeitern durch – ohne richterliche Anordnung. Über 70 Razzien trafen 15 aktive und ehemalige Beamte, begründet mit vagen Vorwürfen wie „Verkehrsdelikten“ oder „Verbindungen zu Russland“. Einige Ermittlungen sollen sogar auf Personen aus Selenskyjs Umfeld abzielen. Der SBU bestreitet, NABUs Arbeit behindern zu wollen, doch die Zivilgesellschaft schlägt Alarm. Transparency International und die ukrainische NGO Anti-Corruption Action Center (AntAC) sehen darin einen gezielten Angriff, um unabhängige Institutionen zum Schweigen zu bringen.

»AntAC / 𝕏«

Ein weiterer brisanter Fall steht im Fokus. »Financial Times berichtet« von Ermittlungen gegen Oleksiy Chernyshov, ehemaliger Vize-Ministerpräsident und enger Selenskyj-Vertrauter. Chernyshov, der zeitweise als potenzieller Premierminister galt, wurde wegen Amtsmissbrauchs und illegaler Bereicherung angeklagt, ein historisch beispielloser Vorwurf gegen einen derart ranghohen Amtsträger während seiner Amtszeit.

Kurz nach den Anschuldigungen wurde er im Rahmen einer Kabinettsumbildung entlassen, die in Kiew als Versuch gewertet wird, Selenskyjs Macht zu konsolidieren. AntAC kommentierte auf 𝕏: „Die Razzien zielen darauf ab, NABU und SAPO zu übernehmen.

»AntAC / 𝕏«

Proteste gegen den Verrat an Maidan

Die Reaktion der ukrainischen Bevölkerung ließ nicht lange auf sich warten. Am Dienstagabend versammelten sich über 2.000 Menschen in Kiew vor dem Präsidentenbüro, um gegen das Gesetz zu protestieren – die erste regierungskritische Demonstration seit Beginn der russischen Invasion 2022.

»Ibrahim Naber / 𝕏«

Weitere Kundgebungen fanden in Städten wie Lwiw, Dnipro, Odessa und Sumy statt. Demonstranten, darunter viele junge Menschen und Soldaten, hielten Plakate mit Aufschriften wie „Korruption = Tod“ und „Selenskyj, veto das Gesetz!“. In Kiew sang die Menge die Nationalhymne, ein Symbol des Widerstands. „Die Ukraine ist nicht Russland!“, rief der 21-jährige Matthew, gehüllt in eine ukrainische Flagge.

„Ich habe große Angst, dass wir unsere Demokratie verlieren. Unsere Regierung hat heute die wichtigsten Institutionen abgeschafft, die gegen Korruption gekämpft haben.“

»Matthew / WeLT«

Die 36-jährige Marie brachte die Stimmung vieler auf den Punkt:

„Ich erwarte, dass er (Selenskyj, Anm. d. Red.) uns hört und dieses quasi-russische Gesetz zurücknimmt. Wir wollen unser Land gemeinsam aufbauen. Wir haben eine Stimme, und wir werden sie erheben.“

»Marie / WeLT«

Der Unmut richtete sich weniger direkt gegen Selenskyj, der in Umfragen weiterhin hohe Zustimmungswerte genießt, sondern gegen den Leiter des Präsidialbüros »Andrij Jermak«. Er gilt als »Schattenpräsident« und Strippenzieher hinter den jüngsten Maßnahmen.

Westliche Warnungen

Die internationalen Partner der Ukraine reagieren alarmiert. »Die G7-Botschafter« in Kiew erklärten, die Entwicklungen „sehr genau“ zu verfolgen und ihre Bedenken gegenüber der Regierung geäußert zu haben. »Die EU-Kommission warnte«, dass der Schritt die Beitrittsambitionen der Ukraine gefährde. „Finanzielle Unterstützung ist an Fortschritte bei Transparenz, Justizreform und demokratischer Regierungsführung geknüpft“, betonte ein Sprecher. EU-Kommissarin Marta Kos nannte das Gesetz einen „ernsthaften Rückschritt“. Die Financial Times berichtete, dass in Brüssel intensive Diskussionen über die Auswirkungen auf den EU-Beitrittsprozess geführt werden.

»Screenshot / FINANCIAL TIMES«

Die Ukraine ist auf westliche Hilfe angewiesen, doch die Entmachtung der Anti-Korruptionsbehörden könnte diese Unterstützung gefährden. Ein Abgeordneter aus Selenskyjs Umfeld gab zu: „Wir brauchen Geld.“ Dennoch drängte die Fraktionsführung der Regierungspartei auf eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes, das mit einer zweiten Abstimmung (246 Stimmen) sofort an Selenskyj zur Unterzeichnung weitergeleitet wurde. Unterstützung kam überraschend auch von der Opposition, etwa von Ex-Premierministerin »Julija Tymoschenko, die westliche Partner beschuldigte«, die Ukraine über NABU und SAPO kontrollieren zu wollen.

Die Korruption als Dauerproblem

Die Ukraine bleibt Europas korruptestes Land, nur Russland schneidet im Korruptionsindex (CPI) von Transparency International schlechter ab (Rang 104 im Jahr 2023, inzwischen 105 von 180 weltweit). Trotz Fortschritten in den Jahren nach Maidan, etwa durch den Aufbau von NABU und SAPO mit westlicher Hilfe, bleibt die Veruntreuung staatlicher Mittel ein massives Problem.

»CPI«

Ein Beispiel: »2023 geriet das Verteidigungsministerium in die Kritik«, als Verträge für die Verpflegung von Soldaten zu überhöhten Preisen abgeschlossen wurden, mit einem Schaden von rund 330 Millionen Euro. Sogar der damalige Minister Oleksiy Resnikow stand zeitweise vor dem Rücktritt.

»Ein weiterer Skandal« erschütterte den Obersten Gerichtshof. Der Vorsitzende Richter wurde wegen mutmaßlicher Bestechung in Höhe von 2,5 Millionen Euro seines Amtes enthoben. Semen Krywonos, Direktor von NABU, betonte:

„Es handelt sich um Korruption auf höchstem Niveau, um kriminelle Organisationen auf höchster Machtebene.“

»Semen Krywonos / Direktor des Nationalen Antikorruptionsbüros / tagesschau«

Doch der Krieg erschwert die Arbeit der Korruptionsjäger. Behörden halten Dokumente unter Verweis auf militärische Geheimhaltung zurück, was Ermittlungen behindert.

Selenskyjs gebrochene Versprechen

Als Wolodymyr Selenskyj 2019 gewählt wurde, »versprach er, die Korruption entschlossen zu bekämpfen«. Viele Ukrainer setzten Hoffnungen in ihn, aber die jüngsten Entwicklungen lassen Zweifel an seinen Absichten aufkommen.

Die Maidan-Revolution war ein Aufstand gegen Korruption und das bestehende System, doch Selenskyjs Maßnahmen, von den SBU-Razzien bis zur Entmachtung der Anti-Korruptionsbehörden, erwecken nun den Eindruck eines schleichenden Autoritarismus. Kritiker werfen ihm vor, die demokratischen Institutionen zu opfern, um seine Macht und die seines inneren Kreises zu sichern.

»Screenshot / Deutschlandfunk«

Die westliche Erzählung, die Ukraine verteidige „unsere Werte“ und „unsere Demokratie“, wirkt angesichts dieser Entwicklungen zunehmend fragwürdig. Wie kann ein Land, das nie wirklich korruptionsfrei gewesen ist, das nun seine eigenen Anti-Korruptionsbehörden entmachtet und unabhängige Ermittlungen sabotiert, als Bollwerk demokratischer Werte gelten?

Die Proteste in Kiew und anderen Städten zeigen, dass die ukrainische Bevölkerung diese Diskrepanz erkennt. Sie kämpft nicht nur gegen russische Aggression, sie kämpft auch gegen die Gefahr, dass ihre Regierung die hart erarbeiteten Errungenschaften der Maidan-Revolution verrät.

Ein Land am Scheideweg

Die Ukraine steht vor einer doppelten Bedrohung: dem Krieg im Osten und der Korruption im Inneren. Selenskyjs Entscheidung, die Kontrolle über NABU und SAPO zu zentralisieren, mag kurzfristig seine Macht festigen, doch sie riskiert langfristig die Unterstützung des Westens und die Hoffnungen der Bevölkerung. Die Proteste, die westlichen Warnungen und die Anklagen gegen hochrangige Amtsträger wie Chernyshov zeigen, dass die Korruption kein Problem der Vergangenheit ist, sondern eine akute Gefahr für die Zukunft der Ukraine darstellt.

Wenn das Land seine Ambitionen retten will, muss es die Unabhängigkeit seiner Institutionen wiederherstellen. Selenskyj muss beweisen, dass er mehr ist als ein Präsident, der seine Macht über die Ideale einer echten Demokratie stellt.

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Janine Beicht

Janine Beicht ist gelernte Kommunikationsdesignerin, arbeitet aber seit 2020 im Gesundheits- und Sozialwesen. Als Aktivistin engagiert sie sich besonders auf dem Gebiet der Psychologie unter dem Aspekt der jeweiligen politischen Machtinteressen.

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