In den vergangenen Jahren hat die Integration sogenannter „verhaltensökonomischer Methoden“ in die Politikgestaltung weltweit an Bedeutung gewonnen. Die bewusste Beeinflussung des individuellen und kollektiven Verhaltens durch gezielte Anreize – bekannt als Nudging – wird dabei zunehmend systematisch und professionell eingesetzt. Doch welche ethischen, demokratischen und gesellschaftlichen Implikationen gehen mit dieser Entwicklung einher?
Von der Gesundheits- zur Klimapolitik: Eine Strategie im Wandel
Die globale Corona-Zeit hat die Anwendung verhaltensökonomischer Methoden auf dramatische Weise ins Rampenlicht gerückt. Maßnahmen wie Maskenpflicht, Schulschließungen und die Einführung des 2G-Modells wurden mit einer Rhetorik durchgesetzt, die Angst und Schuldgefühle gezielt adressierte. Der Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ illustriert dies exemplarisch: Wissenschaftlich unbelegt, diente er als Werkzeug zur gesellschaftlichen Spaltung und Verhaltenssteuerung.
Auch in der Klimapolitik finden diese Techniken Anwendung. So äußerte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Zusammenhang mit dem Gebäudeenergiegesetz, die gesellschaftliche Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen sei durch das Gesetz „getestet“ worden – ein Hinweis auf die bewusste Überprüfung der manipulativen Wirksamkeit politischer Entscheidungen.
Politik total / YouTube
Nudging als politisches Programm: Geschichte und Etablierung
Die systematische Nutzung verhaltensökonomischer Erkenntnisse begann bereits in den 2000er Jahren. Cass Sunstein, einer der führenden Vertreter des Nudging, wurde 2009 von der US-Regierung rekrutiert. In Deutschland gründete die Bundesregierung 2015 unter Angela Merkel die Initiative „Verhaltenswissenschaften und bürgerzentrierte Politik“. Das Ziel: Politische Vorhaben wie die Transformation der Gesellschaft im Zuge der Agenda 2030 sollen durch „wirksames Regieren“ besser umgesetzt werden.
Transformationsbericht der Bundesregierung / Bundestag
Ein zentrales Beispiel ist die Berufung von Bettina Rockenbach, einer Expertin für Verhaltensökonomie, zur Präsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Ihre Forschung zu kollektivem Wohlverhalten verweist direkt auf die Philosophie hinter Impfkampagnen und anderen Pandemiemaßnahmen, die mit moralischer Verpflichtung argumentierten.
Verhaltenssteuerung durch Angst: Ein historisches und aktuelles Machtinstrument
Die Erzeugung von Angst als Mittel der Massenbeeinflussung ist kein neues Phänomen. Edward Bernays, Begründer der modernen PR, schrieb 1928, Manipulation sei „ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie“. Der Sozialpsychologe Rainer Mausfeld betonte in seinem Werk Angst und Macht, dass Angst die kritische Reflexionsfähigkeit einschränkt und die Bevölkerung in einen Zustand gefügiger Folgebereitschaft versetzt.
„Das einzige Ziel der politischen Praxis ist es, die Bevölkerung permanent in Unruhe zu versetzen – und ihr Sicherheit zu versprechen -, indem sie immer wieder mit bösen Kobolden konfrontiert wird, die nur in der Phantasie existieren.“
H. L. Mencken / Der Nutzmensch
Während der Pandemie wurden diese Mechanismen besonders offensichtlich: Das Strategiepapier des Bundesinnenministeriums, mitunter auch „Panikpapier“ genannt, empfahl Schockbilder, um gesellschaftliche Konformität zu erzwingen.
Strategiepapier des Bundesinnenministeriums / FragDenStaat
„Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden: 1) Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend. 2) ‚Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden‘: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“
Strategiepapier des Bundesinnenministeriums
Der Soziologe Heinz Bude erklärte später, das Ziel sei gewesen, „Folgebereitschaft“ durch „wissenschaftsähnliche“ Botschaften zu erzeugen.
Die Illusion der Entscheidungsfreiheit: Offizielle und inoffizielle Narrative
Obwohl die Bundesregierung in einer parlamentarischen Anfrage 2019 erklärte, es gebe keinen umfassenden „Nudging“-Ansatz, zeigen viele politische Entscheidungen ein gegenteiliges Bild. So bekräftigte die Psychologin Cornelia Betsch, Mitglied des Corona-Expertenrats, die Notwendigkeit, verhaltenswissenschaftliche Expertise in die Ständige Impfkommission einzubinden, um Maßnahmen „kommunikativ besser zu begleiten“.
„Die Bundesregierung betont, dass es keinen übergreifenden „Nudging“-Ansatz der Bundesregierung gebe und daher keinen Anlass einer umfassenden Bewertung des „Nudging“-Ansatzes.“
Deutscher Bundestag
Geleakte RKI-Protokolle aus dem Jahr 2023 verdeutlichen, dass Entscheidungsprozesse zum Teil auf psychologische Steuerung und weniger auf wissenschaftliche Evidenz ausgerichtet waren. Die geplante Einstellung der Bewertung von Impfnebenwirkungen wurde als kommunikative Herausforderung beschrieben, um Reputationsschäden für das RKI zu vermeiden.
Verborgene Machtstrukturen: Die Rolle wissenschaftlicher Beratung
Die akademische Expertise in der Verhaltensökonomie wird zunehmend in politische Entscheidungsprozesse integriert, oft ohne transparente Kommunikation über deren tatsächliche Funktionen. Dies zeigt sich auch in der Gründung des „Instituts für planetares Gesundheitsverhalten“ der Uni Erfurt unter Leitung von Cornelia Betsch. Ihre Forderung, umfassende Verhaltensdaten für eine wirksamere Klimapolitik zu erheben, signalisiert die Erweiterung der Verhaltenssteuerung auf den ökologischen Sektor.
Ethische und demokratische Dimensionen: Eine kritische Reflexion
Die Anwendung verhaltensökonomischer Instrumente wirft fundamentale Fragen nach der Vereinbarkeit mit demokratischen Prinzipien auf. Laut Rainer Mausfeld untergräbt die bewusste Manipulation durch Angst die Idee des mündigen Bürgers und blockiert die kritische Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungen.
„Denn es liegt in der Natur der Sache, dass die Machteliten nichts mehr fürchten als den mündigen Bürger. Folglich bemühen sie sich nach Kräften, eine politische Mündigkeit der Bürger zu verhindern. Dazu bedienen sie sich eines breiten Spektrums von Strategien und Methoden einer kognitiven und affektiven Manipulation der Bürger.“
Rainer Mausfeld / Demokratie-Management durch Soft Power-Techniken
Es bleibt die offene Frage, inwieweit der Einsatz solcher Methoden demokratische Grundsätze unterminiert. Wenn Regierungen durch „sanfte Stupser“ ihre Ziele durchsetzen, ohne dass sich die Bevölkerung der zugrunde liegenden Manipulation bewusst ist, stehen die Prinzipien einer transparenten und aufklärerischen Demokratie auf dem Spiel.
Ein unverzichtbarer Diskurs über Macht und Manipulation
Die zunehmende Verflechtung verhaltensökonomischer Methoden mit politischem Handeln verdeutlicht, wie subtil und gleichzeitig weitreichend gesellschaftliches Verhalten gesteuert werden kann. Die bewusste Erzeugung von Angst, die gezielte Instrumentalisierung wissenschaftlicher Begriffe und die schrittweise Etablierung eines manipulativen Politikverständnisses fordern eine kritische Debatte über ethische Grenzen und demokratische Kontrollmechanismen.
Die entscheidende Herausforderung besteht darin, gesellschaftliche Entscheidungsprozesse transparent zu gestalten, um politische Verantwortung und individuelle Freiheit in einer sich rasant verändernden Welt zu bewahren.
„Die mächtigste Waffe der Unterdrücker ist der Geist der Unterdrückten.“
Steven Biko / Der Nutzmensch
Eine Antwort
Danke für die schöne Übersicht!
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In beinahe allen vergangenen Epochen hat der Mensch neben konkreten immer auch abstrakte Idole geschaffen, sie mit erwünschten Werten aufgeladen und ihnen damit ersehnte Zwecke und Befehlsmacht zugeordnet. Wahrscheinlich geschieht das aus dem simplen Drang zur Auslagerung von Verantwortung, um den Fortbestand der Population nicht durch innere Widersprüche und Spaltung zu gefährden. Die Werte und Zwecke ändern sich im Laufe der Zeit, wie die Begriffe, mit denen auf diese Idole verwiesen werden kann, um sie phrasenhaft zu tabuisieren.
Heute erleben wir die Idolisierung der Demokratie, in einer Zeit, in der am allerwenigsten über ihren Inhalt und ihre tatsächliche Funktion gesprochen wird. Vielmehr ist der Begriff zum Schlagwort verkommen und kann daher mit allen Werten und Zwecken gefüllt werden, die einer scheiternden Machtbasis zu deren Erhalt nötig erscheinen. An die Stelle vergangener Opfergaben tritt heute die Beschneidung oder gar Abschaffung grundlegender Prinzipien des ursprünglichen demokratischen Zwecks.
Wenn die Rechtswissenschaft als Philosophie und tragende Säule dieses ursprünglichen Zwecks nicht mehr in der Lage ist, die Verfassungsprinzipien durchzusetzen, also diese den Gläubigen verständlich zu machen und dadurch ihren eigenen Fortbestand zu sichern, wird der Auflösungsprozess unaufhaltsam weitergehen. Und genau dadurch wird sich zum wiederholten Male das ergeben, was dem ursprünglichen Zweck diametral entgegensteht.
Wenn also nicht mehr vermittelbar ist, dass jegliches Nudging sowie alle Formen von Propaganda und Zensur die demokratische Willensbildung ersticken und damit einen unverzeihlichen Verfassungsbruch darstellen, wird das abstrakte Idol zwangsläufig seine Befehlsmacht einbüßen müssen.
Es war immer so und wird immer so sein, dass dem Menschen Mächte gegenüberstehen, die nicht seinem Belieben unterliegen. Wer also versucht, durch irgendeinen unmöglichen Manipulationsversuch an der Wirklichkeit, auf Biegen und Brechen seinen Willen erzwingen zu wollen, wird das heraufbeschwören, was er eigentlich bekämpfen wollte. Und das alles nur, weil derjenige nicht einsehen kann, dass Probleme (der eigentlichen Bedeutung des Begriffs folgend) nicht lösbar sind. Man kann sie nur umgehen. Und dafür stehen (freie) Wissenschaft und Kunst als Innovationsmotoren bereit, ganz im Gegensatz zu Ideologie, Gehirnwäsche und Parteiengehorsam. Kategorisch gehören diese Verirrungen zur (repetitiven) Kultur. Und dieser Kult, sofern auf Dritte gerichtet, ist die übelste aller Todsünden.
So gesehen ist es für den ursprünglichen Zweck des Idols notwendig, die Wandlungsfähigkeit seiner Hülle einzupreisen, um seinen eigenen Bestand sicherzustellen. Genau das geschieht derzeit nicht, weil der Zweck des Idols der Tabuisierung untergeordnet wird und damit die ursprünglich erwünschten Werte der Beliebigkeit anheimfallen. Deshalb regiert die Weltdiktatur der Demokratie.