In einer Zeit erhöhter politischer Unsicherheiten und wirtschaftlicher Spannungen ist ein klarer, ehrlicher Dialog zwischen Regierungschef und Bevölkerung wichtiger denn je. Doch wie Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner neuesten Solo-Show im ARD-Interview bei Caren Miosga wieder einmal eindrucksvoll demonstriert hat, darf die deutsche Öffentlichkeit eine hübsch inszenierte Lüge genießen, die von den öffentlich-rechtlichen Medien offenbar völlig ungeprüft serviert wird. Diese haben ihre journalistische Prüfung vollständig zugunsten der Regierungserzählung aufgegeben.
Ein Blick auf die strukturellen und strategischen Komponenten dieses Auftritts legt offen, dass weder Scholz noch Miosga einer kritischen Betrachtung standhalten. Zugleich weist das Interview auf eine Medienlandschaft hin, die ihrem Informationsauftrag nicht mehr gerecht wird.
Ein Einstand ohne kritische Substanz: Wie Scholz die Bühne nutzt
Den Auftakt bildet ein Rückblick auf den Zerfall der Ampelkoalition, aber schon der Start des Interviews, mit dem Titel „Wie geht es weiter, Herr Bundeskanzler?“ lässt ahnen, wohin die Reise geht: Eine vermeintlich investigative Fragestunde verkommt zur gemütlichen Kaffeerunde, bei der Scholz seine Worte ohne Störung ausbreiten darf. Anstatt den Kanzler mit präzisen und durchdringenden Fragen wirklich in die Pflicht zu nehmen, begnügt man sich mit sanften, journalistisch belanglosen Streicheleinheiten, die eher wie eine mediale Wohlfühltherapie wirken, anstatt ihm wirklich auf den Zahn zu fühlen. Die Chance, den Kanzler zur Krisenlage in Deutschland zu befragen und ihn ernsthaft zur Verantwortung zu ziehen, wird vertan. Doch die Schuld für die verschenkte Gelegenheit eines spannenden Gesprächs trägt nicht Scholz – sie liegt vor allem bei Moderatorin Caren Miosga, die mit ihrer defensiven Moderation letztlich einen Raum schafft, in dem die Regierung unbehelligt ihre Narrative entfalten kann.
Finanzpolitik als Illusion: Das Trugbild einer kostenfreien Regierung
Ein Augenmerk des Inhalts lag auf der Finanzierung der Ukraine-Hilfen. Scholz kann es nicht lassen, erneut die öffentliche Bühne dafür zu nutzen, um gegen den ehemaligen Finanzminister auszuteilen. Diesmal wirft er Lindner vor, versucht zu haben, die geplanten Maßnahmen auf dem Rücken der Bürger durchzusetzen. Implizit soll hier vermittelt werden, dass die finanzielle Unterstützung für die Ukraine auf wundersame Weise ohne jede Belastung für die Bürger hätte realisiert werden können – eine Behauptung, die in keiner Weise mit der Realität staatlicher Haushaltsführung vereinbar ist.
Tatsächlich ist die Finanzierung öffentlicher Ausgaben immer in irgendeiner Form von den Bürgern zu tragen, sei es über Steuern, Einsparungen in anderen Bereichen oder durch die Aufnahme neuer Schulden, die letztlich auch die Steuerzahler bedienen. Dass Scholz hier die Augen vor diesen ökonomischen Grundprinzipien verschließt und stattdessen eine ideologisch geprägte Darstellung wählt, verdeutlicht seine Verweigerung, dem Bürger die Wahrheit zu sagen.
Die Strategie der Scheinopposition zur Verzerrung der Realität
In einem besonders unverhohlenen Beispiel politischer Umdeutung wirft Scholz seinem Koalitionspartner Christian Lindner vor, er habe die Renten kürzen wollen. Doch bei genauer Betrachtung stimmt dies schlichtweg nicht: Lindner hatte vorgeschlagen, das Wachstum der Renten anzupassen, nicht etwa tatsächliche Kürzungen vorzunehmen. Dennoch bleibt Scholz bei dieser Aussage (Min. 4:00) offenbar überzeugt davon, dass der symbolische Wert seiner Worte stärker wiegt als eine faktische Richtigkeit. Anstatt dies aufzuklären oder zumindest kritisch nachzufragen, nimmt Miosga die Erklärung hin – als wäre es die einzige Perspektive, die im Raum stehen könnte.
„Es gibt nicht viele andere Länder, die sich zutrauen, über 12 Milliarden Euro für die Unterstützung eines Landes, das sich im Krieg befindet, zu erwirtschaften und zu sagen, das machen wir aus dem Haushalt – wir haben das mehrfach versucht, und jetzt ist aber der Punkt erreicht, wo es auch nach den Plänen von dem früheren Finanzminister darum gegangen wäre, das zu finanzieren durch Rentenkürzungen.“
Olaf Scholz / Miosga (Min.04:00)
Diese Art der Darstellung unterstreicht eine Strategie der gezielten Verzerrung, die den Kanzler fast schon als oppositionellen Akteur innerhalb der eigenen Regierung erscheinen lässt, was freilich der Realität widerspricht. Scholz positioniert sich als Opfer von Entscheidungen, die er selbst getroffen hat, und suggeriert damit, dass er durchgehend im Interesse der Bürger handle. Die Wahrheit scheint ihm dabei auch an dieser Stelle nebensächlich zu sein.
Die Vertrauensfrage
Die Verzögerung der Vertrauensfrage ist ein weiteres Exempel dafür, wie Scholz versucht, sich die Regeln der parlamentarischen Demokratie zurechtzulegen. Er behauptet, diese Frage erst in Absprache mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz stellen zu wollen, als wäre es ein demokratisches Gebot der Rücksprache. Es liegt natürlich ganz allein im Ermessen des Kanzlers, wann er die Vertrauensfrage stellt – eine Tatsache, die zumindest einer Polit-Talkmasterin, die gerade das „wichtigste Interview des Landes“ führt, bekannt sein sollte.
„Die Frage ist, was ist der früheste Zeitpunkt der für uns wichtig ist, […] den wir gemeinsam wollen. Ich habe das schon gesagt, aus meiner Sicht ist es zwar formal der Kanzler, der das auslösen muss, wegen der Erfahrung, die wir mit den Kommunisten und Faschisten im Parlament der Weimarer Republic hatten, wo wir gesagt haben, so kann man das Spiel nicht weitergehen lassen, und in der Bundesrepublik eine neue verfassungsrechtliche Ordnung geschaffen haben. Aber ich sage ausdrücklich darauf, wo sich das Parlament verständigt: Die Abgeordneten von Regierung und Opposition, insbesondere die demokratischen Parteien, davon werde ich ausgehen und das möglich machen. Und dann muss man auch gucken, wie kann das ordentlich funktionieren, das ist ja alles nicht so einfach.“
Olaf Scholz / Miosga (Min. 26:00)
Die Aussage wirkt eher wie eine theoretische Rechtfertigung für politische Entscheidungen, die letztlich doch mehr von pragmatischen Erwägungen als von Prinzipien geleitet sind. Der Verweis auf die Weimarer Republik dient in diesem Kontext weniger als ernsthafte Warnung, sondern eher als ein rhetorisches Mittel, um den Eindruck zu erwecken, man agiere aus historischer Verantwortung. Dabei versucht er außerdem, seine zersetzende Verzögerungstaktik bei der Vertrauensfrage mit einem Verweis auf die Praxis seines Amtsvorgängers Gerhard Schröder im Jahr 2005 zu rechtfertigen. Schröder habe sich damals ebenfalls viel Zeit gelassen, nach seiner ersten Ankündigung zu handeln. Was Scholz jedoch entgeht – und was Schröder damals zweifellos hatte – ist eine parlamentarische Mehrheit, die hinter ihm steht. Für Schröder war die Vertrauensfrage ein strategisches Mittel, während Scholz sie eher als ein Werkzeug des verzweifelten Aufschubs missbraucht.
“Auf den Tag, wo es am besten ist, dass die Wahl stattfindet und die Bürgerinnen und Bürger auch sich selber Gedanken machen können, wen sie wählen wollen. Das ist nämlich mein Verdacht, dass das so ein bisschen untergeht in der gegenwärtigen Debatte. Nehmen wir mal das Beispiel 2005: Zur großen Überraschung hat der damals noch viel größere Vorsprung der Union damals nicht gehalten. Beinahe wäre Gerhard Schröder erneut gewählt worden.“
Olaf Scholz / Miosga (Min. 28:00)
Die Stärkung des Bundesverfassungsgerichts: Ein überraschender Konsens?
Interessanterweise scheint es laut Scholz inmitten des politischen Chaos zumindest einen gemeinsamen Nenner zu geben, der alle Parteien vereint: die geplante Gesetzesänderung bezüglich des Bundesverfassungsgerichts. Ein gemeinsames Gesetzesvorhaben, angeblich zur institutionellen Festigung dieser höchsten rechtlichen Instanz.
„Wir haben ein Konsens zwischen ziemlich vielen Parteien im deutschen Bundestag, einschließlich der Opposition […], dass wir das Gesetz zum Bundesverfassungsgericht ändern wollen, um das Bundesverfassungsgericht vor den Feinden der Demokratie zu schützen .“
Olaf Scholz / Miosga (Min.31:45)
Ist diese Einigkeit wirklich ein Ausdruck eines gemeinsamen Bestrebens, demokratische Prinzipien zu wahren, während diese von den selbsternannten Demokraten nach Belieben immer wieder neu ausgelegt werden? Tatsächlich stellt dieses Gesetz eine strategische Maßnahme dar, die gezielt gegen die AfD gerichtet ist. Auch an dieser Stelle versäumt es die Moderation, weiter nachzufragen, obwohl das Ausklammern der größten Oppositionspartei keineswegs im Einklang mit demokratischen Grundsätzen steht, da durch diesen Umgang ein erheblicher Teil des Wählerwillens ignoriert wird.
Scholz und die mediale Selbstinszenierung
Olaf Scholz scheint das Medium, in dem er spricht, für sich zu instrumentalisieren – sei es durch bewusste Verzerrung, durch die einseitige Darstellung politischer Positionen oder schlicht durch das Fehlen jeglicher selbstkritischer Reflexion. In einem demokratischen System, in dem sich politische Führung und Medien die Verantwortung für eine informierte Öffentlichkeit teilen sollten, gerät diese Entwicklung zu einer alarmierenden Tendenz.
Olaf Scholz inszeniert sich immer wieder als Opfer der Ampel-Koalition, als ob er die teils schwierigen und konfliktreichen Verhandlungen nur „für das Wohl des Landes“ ertragen hätte. Diese Selbstinszenierung lässt vermuten, dass er die Koalition eher als Last denn als partnerschaftliche Zusammenarbeit verstanden hat und die Verantwortung für das Scheitern oder die Probleme der Koalition auf die anderen Parteien abwälzt.
„Aber trotzdem sage ich: Ich habe es ertragen, dass ich für den Kompromiss und die Kooperation immer wieder, manchmal auch gute Miene zu einem ziemlich bösen Spiel gemacht habe, aber wenn es zu Ende ist, dann muss es auch zu Ende sein.“
Olaf Scholz / Miosga (Min.12:20)
Die gefährliche Nähe zwischen Medien und Politik: Kein Mehrwert für die Öffentlichkeit
Dieses Interview offenbart die Lücken und Schwächen, die in einem Informationssystem entstehen, wenn Medien und politische Eliten zu nahe aneinander rücken. Scholz nutzt diese Nähe gezielt aus, indem er nicht nur die Rolle des Kanzlers, sondern auch die Narrative, die ihn umgeben, nach seinen Vorstellungen formt – und das ohne nennenswerte Gegenwehr aus den Reihen der Journalisten. Diese Sendung ist der ultimative Intelligenztest, und Scholz scheint die Zuschauer für komplett geistig unterfordert zu halten. Anders lässt sich das nicht erklären. Während des Gesprächs lobt Scholz sogar die Moderatorin für die quasi angenehme Atmosphäre, als wäre dies das entscheidende Element eines Interviews, das sonst wenig Substanz bietet.
„Und ich finde auch, dass wir einmal uns ein bisschen zurücklehnen sollten, das unaufgeregt diskutieren – und es wäre schön, dass wir überall so…, wie es zwischen uns beiden ist.“
Olaf Scholz / Miosga (Min.29:20)
Dass diese wenig kritische Interviewführung dennoch öffentlich-rechtlich ausgestrahlt wird, zeigt die problematische Beziehung zwischen Medien und Staat. Die fehlende Bereitschaft, Scholz‘ Aussagen tatsächlich kritisch zu hinterfragen, wirkt umso bedenklicher, wenn man sich vor Augen führt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk über Rundfunkbeiträge finanziert wird, die letztlich der Information und nicht der Propaganda dienen sollten. Das Interview lässt daher Zweifel aufkommen, ob das öffentlich-rechtliche Fernsehen in seiner derzeitigen Form noch in der Lage oder überhaupt gewillt ist, seine zentrale Rolle als „vierte Gewalt“ auszufüllen.