Nach dem Zweiten Weltkrieg und den damit verbundenen Jahren einer nationalsozialistischen Diktatur trat am 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Kraft und legte den Grundstein für die Entwicklung der Bundesrepublik zu einem freien und demokratischen Rechtsstaat.
Mit Beginn der sogenannten Coronapandemie haben die Menschen die massivsten Grundrechtseingriffe seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland erleben müssen. Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren, Zwangsquarantänen, Demonstrationsverbote und Schließungen von Versammlungsbereichen bis hin zu einer Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen – gerade das Grundgesetz hat die Aufgabe, die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu definieren und insbesondere die Rechte der Bürger zu schützen und sie vor einem übermächtigen Staat zu bewahren.
In der sog. Pandemie hat der Staat jedoch diese Freiheitsrechte quasi außer Kraft gesetzt und damit die Machtbefugnisse verschoben. Ausgerechnet jene, die zwei Jahre lang die Werte des Grundgesetzes missachtet haben und bisweilen weiterhin einige Grundsätze ignorieren, betonen nun in öffentlichen Ansprachen und ihren Social-Media-Kanälen die Bedeutung dieser Verfassung für die deutsche Demokratie.
Bundeskanzler Olaf Scholz, für den es während der Coronajahre keine roten Linien mehr gab, wandte sich mit einer Ansprache an die Bürger des Landes. Er ist der Ansicht, das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes sei ein Grund zum Feiern.
„In unserem Grundgesetz sind all die Werte und Regeln aufgeschrieben, die unser Land so lebenswert machen. Nach Diktatur, nach Krieg und Zerstörung. Diese Grundrechte, Regeln und Werte sind es, denen wir Freiheit, Frieden und Wohlstand verdanken. ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ ‚Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.‘ Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. ‚Eine Zensur findet nicht statt.‘ – Und zuletzt: ‚Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.‘ Das sind zentrale Sätze aus unserem Grundgesetz. Klar und eindeutig.“
Olaf Scholz Ansprache auf 𝕏
In seiner Rede betont Scholz, wie stolz es ihn mache, für ein Land zu arbeiten, in dem solche Werte gelten und verteidigt werden. Eine kritische Reflexion der jüngsten Vergangenheit bleibt jedoch aus. Stattdessen unterstreicht er, dass die Werteordnung unseres Grundgesetzes Zustände verhindert, wie sie in Diktaturen herrschen, wo Bürger als rechtlose Untertanen behandelt werden und keine anderen Meinungen außer die der Herrschenden zulässig sind.
Markus Söder, der Ministerpräsident des Freistaates Bayern galt als einer der vehementesten Befürworter der Corona-Maßnahmen und trieb drastische Einschnitte voran. In München war es nicht einmal erlaubt, alleine auf der Parkbank ein Buch zu lesen. Personen, die sich gegen eine Impfung entschieden und ihr Grundrecht darauf betonten, waren für Söder ein Ärgernis. Er erwog sogar einen De-facto-Lockdown für sie, indem er argumentierte, dass es sich schließlich um eine Pandemie der Ungeimpften handelt. Das 75 jährigen Bestehen des Grundgesetzes ist für ihn eine „Liebeserklärung an die Demokratie.“
Auch Markus Söder versäumt es, eine kritische Reflexion seiner eigenen Person und der Geschehnisse anzustoßen und die Erfahrungen aus der Zeit der Pandemie in die Diskussion über die Zukunft der demokratischen Grundordnung einzubeziehen. Ähnlich äußert sich Karl Lauterbach, welcher sich insbesondere durch sein Engagement für die umfassende Impfkampagne einen Namen machte und in zahlreichen Talkshows die Vorzüge von Impfstoffen ohne Nebenwirkungen hervorhob. Er war überzeugt, die Pandemie sei nur durch Impfungen zu überwinden und daher setzte er sich energisch für eine allgemeine Impfpflicht und für strengere Grundrechtseinschränkungen ein.
Lauterbach bekräftigt auf seinem Kanal auf der Plattform X, dass das Grundgesetz lebendiger ist als je zuvor. In einem eigens produzierten Video unterstreicht er, dass es eine herausragende Grundlage für eine gerechte Gesellschaft bildet, die allen gleiche Freiheiten und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung gewährt, so auch im Gesundheitssystem. Dieses habe den Anspruch, den Menschen zu jeder Zeit Sicherheit zu geben. Die Freiheitseinschränkungen und Ungleichheit der Menschen durch die 2G-Regel während der Coronajahre spricht er nicht an. Damit fügt er sich in die Reihen etlicher Politiker ein, die die eklatanten Einschränkungen der Grundrechte, welche sie selbst veranlasst und mitgetragen haben, übergehen.
Während der Coronazeit stand Sicherheit vor Freiheit und damit auch vor den Grundrechten. Ein übermäßiger Eingriff des Staates gefährdet nicht nur die Freiheit der Menschen, sondern auch die Demokratie. Gerade in Zeiten globaler Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche ist das Ausblenden der Ereignisse von 2020 im Hinblick auf die demokratischen Werte extrem fragwürdig. Stattdessen sollte es vielmehr von entscheidender Bedeutung sein, aus der Geschichte zu lernen und dabei auch jüngste Ereignisse miteinzubeziehen sowie ebenfalls offen zu diskutieren, wie die Prinzipien des Grundgesetzes künftig erfolgreich angewendet werden können, ohne erneute staatliche Eingriffe zuzulassen.