Die Bundestagswahl hat die Grünen aus der Bundesregierung katapultiert, doch wer glaubt, sie würden nun in der Bedeutungslosigkeit versinken, irrt gewaltig. Auch ohne Ministerposten haben sie nach wie vor entscheidenden Einfluss auf die deutsche Politik. »Der Bundesrat«, oft als Korrektiv der Bundesregierung gesehen, wird zum entscheidenden Machtinstrument der einstigen Regierungspartei. Die Ampel ist Geschichte, aber ihr krönender Abschluss sichert den Grünen eine Hebelwirkung, die selbst unter Schwarz-Rot nicht ignoriert werden kann.
Taktische Koalitionsspiele in Hamburg
Am Sonntag fanden in Hamburg die Bürgerschaftswahlen statt. Die SPD bleibt trotz Verlusten mit 34 Prozent stärkste Kraft. Hamburgs SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher deutet bereits an, welche Deals hinter den Kulissen laufen.

Er möchte die bestehende rot-grüne Koalition fortsetzen, weiß allerdings auch, dass eine mögliche Zusammenarbeit mit der CDU auf Bundesebene eine neue Realität schafft. Sein Plan ist geschickt: Wer mit ihm regiert, muss auch im Bundesrat auf Linie sein. Das heißt für die Grünen in Hamburg, dass sie eine schwarz-rote Bundesregierung nicht blockieren dürfen. Ein bemerkenswerter Schachzug, der das Spiel um Mehrheiten auf eine neue Ebene hebt.
Die geheime Währung der deutschen Politik: Bundesratsstimmen
Denn tatsächlich hängt jede große Reform der nächsten Regierung von den »Bundesratsstimmen« ab. In sieben Bundesländern sitzen die Grünen in der Regierung und kontrollieren insgesamt 32 von 69 Stimmen in der Länderkammer. Schwarz-Rot allein hat nur 16 Stimmen sicher in der Hand. Selbst mit den Stimmen aus Hamburg würde das für Merz und Co. nicht reichen. Wer also glaubt, dass die Grünen nur noch eine Nebenrolle spielen, ignoriert ihre entscheidende Position im politischen Machtpoker.

Sondervermögen? Nicht ohne uns!
Die Frage der Schuldenbremse und neuer Sondervermögen wird zur ersten Bewährungsprobe. Während Merz den Eindruck erweckt, er könne seine Agenda ohne große Kompromisse durchziehen, signalisieren die Grünen unmissverständlich: Ohne uns läuft hier nichts. Partei-Chef Felix Banaszak betont, dass die CDU ihre Basta-Politik ablegen müsse, wenn sie regierungsfähig bleiben wolle.
»Felix Banaszak / Pressekonferenz / BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN YouTube / Min. 13:55«
Auch die Frage, ob neue Schulden aufgenommen werden oder die Schuldenbremse reformiert wird, liegt nicht in der Hand der künftigen Regierung allein. Ohne die Zustimmung der Grünen und möglicherweise der Linkspartei gibt es hier keine Bewegung.
„Vielleicht kann man die CDU mit Basta führen, ein Land regieren kann man so nicht“
»Felix Banaszak / Pressekonferenz / BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN YouTube«
Grüne Ministerpräsidenten als politische Gatekeeper
Besonders spannend wird die Rolle der grünen Regierungsmitglieder in NRW und Baden-Württemberg. Diese einwohnerstarken Länder sind für jede Bundesratsmehrheit entscheidend.


NRW-Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur unterstreicht, dass angesichts der künftigen Zusammensetzung des deutschen Bundestages schnelles Handeln erforderlich sei, weil die AfD und die Linke im Bundestag eine Position einnehmen, die Moskaus Interessen entgegenkämen. Dies könnte insbesondere dann problematisch sein, wenn es um Entscheidungen zur Stärkung der deutschen Verteidigungsfähigkeit gehe.
„Hier muss schnell gehandelt werden. […] Darüber hinaus ist grundsätzlich immer klug und sinnvoll, wenn eine Bundesregierung bei bundesratsrelevanten Vorgängen vorab das Gespräch mit den Ländern sucht – unabhängig davon, wer dort die Regierung bildet“.
»Mona Neubaur / Ad Hoc News«
Ohne ernsthafte Gespräche mit den Grünen wird es in der Verteidigungspolitik keine Fortschritte geben. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt zudem klar, dass der Bundesrat kein reines Abnickgremium sei – die Länder müssten frühzeitig eingebunden werden.
Merz und die Realität des Regierens
Während CDU-Chef Friedrich Merz im Wahlkampf noch gegen die „Linken“ wetterte und erklärte, „Links ist vorbei“, wird er nun erkennen müssen, dass diese Personenkreise leider den Schlüssel zu seiner politischen Agenda in der Hand halten.
Der Bundesrat wird zur entscheidenden Arena, in der sich zeigt, wie viel politische Strategie Merz und seine Mitstreiter wirklich besitzen. Die ersten Sondierungsgespräche mit den Länderchefs laufen, doch auffällig ist, dass mit Schwesig, Rehlinger, Kretschmer und Söder bislang nur SPD- und CDU-Ministerpräsidenten am Tisch sitzen. Ein kühnes Zeichen oder eine riskante Fehleinschätzung?
Fazit: Wer wirklich regiert
Die Grünen haben es trotz Wahlniederlage geschafft, in den entscheidenden Schaltstellen der Macht zu bleiben. Ihre strategische Position im Bundesrat zwingt Merz und die SPD zu Zugeständnissen. Die Vorstellung, dass die Union und die SPD alleine durchregieren könnten, entpuppt sich als politische Illusion. Wer Deutschland in den kommenden Jahren wirklich lenkt, ist nicht allein im Kanzleramt zu finden, sondern auch in den Länderstuben der Grünen. Ein Neustart sieht anders aus.
2 Antworten
In Baden-Württemberg ist im Herbst eine Landtagswahl. Da können sich die Mehrheitsverhältnisse ändern.
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