Die bayrische Bundespolizei verhängte Ausreiseverbote gegen Extremisten, die an einem „Remigrationsgipfel“ im Ausland teilnehmen wollten – angeblich zum Schutz des internationalen Ansehens Deutschlands. Der Eingriff in Grundrechte ist juristisch fragwürdig und könnte langfristig autoritäre Maßnahmen legitimieren. Was heute Extremisten trifft, könnte morgen jeden kritischen Bürger treffen. Bahnt sich ein gefährlicher Präzedenzfall an?
Offizielle Bestätigungen und Hintergründe der Ausreiseverbote
Mehrere rechtsgerichtete Aktivisten aus Deutschland – offenbar Mitglieder der Identitären Bewegung – wollten am 17. Mai 2025 zum sogenannten “Remigration Summit 2025” in Mailand reisen. Doch wurde ihnen kurz vor der Abreise »die Ausreise untersagt«. Nach übereinstimmenden Berichten wurden am Flughafen München acht Personen von der Bundespolizei gestoppt. Zwei von ihnen saßen bereits im Flugzeug und wurden wieder »herausgeholt«. Die Betroffenen erhielten förmliche »Ausreiseuntersagungen«, die ihnen die Reise nach Italien sowie auch über Österreich oder die Schweiz untersagen. Dieses behördliche Verbot ist bis zum 17.05.2025 um 23:59 Uhr befristet – also exakt bis zum Ende des Gipfels. Laut einem Bericht wurden einige der Aktivisten für mehrere Stunden »in Gewahrsam genommen« und erst nach Mitternacht wieder freigelassen. Fotos der Behördenschreiben kursierten auf 𝕏; sie bestätigen die »Maßnahme und deren Begründung«. Eine offizielle Stellungnahme der Bundespolizei lag zunächst nicht vor, doch die Bundespolizeidirektion München wurde von Journalisten der »Jungen Freiheit« um Bestätigung gebeten.
Begründung: „Erhebliche Gefahr der Ansehensschädigung“
In den Schreiben heißt es sinngemäß,im Fall einer Ausreise deutscher Rechtsextremisten bestehe die erhebliche Gefahr einer Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland. Konkret wird den Betroffenen unterstellt, sie könnten durch ihre Teilnahme am Mailänder Treffen die transnationale Vernetzung der rechtsextremistischen Szene vorantreiben, für eine „menschenverachtende“ Ideologie werben und dieser mehr Reichweite verschaffen. Damit würden sie das Risiko einer weiteren Radikalisierung anderer Personen erhöhen und ihre Auslandsreisen eventuell zur Rekrutierung, Finanzierung und Unterstützung der Szene nutzen.
Besonders brisant: Aufgrund der deutschen Geschichte entstünde international der Eindruck, »„dass die Bundesrepublik Deutschland das auf der Veranstaltung offen verbreitete rechtsextremistische Gedankengut unterstützt oder zumindest nicht ausreichend dagegen vorgeht“«, so die Behörde. Mit anderen Worten: Deutsche Neonazis, die im Ausland auftreten, könnten Deutschland weltweit in ein schlechtes Licht rücken. Die Verfügung stellt explizit fest, es seien »„keine milderen Mittel“« ersichtlich, um dieses Ziel zu erreichen, und die drohende außenpolitische Schadwirkung sei höher zu bewerten als der persönliche Nachteil der temporären Reisebeschränkung. Zur Durchsetzung der Verbote ordnete man zudem an, dass die Betroffenen sich täglich zwischen 17 und 20 Uhr bei der örtlichen Polizei melden müssen – offenbar, um sicherzustellen, dass sie nicht doch über Umwege nach Italien gelangen. Für jedes Versäumnis dieser Meldeauflage droht ein Zwangsgeld von 100 Euro. Der gesamte Ton der Begründung ist formal-juristisch, aber der Inhalt – Schutz des „Ansehens“ Deutschlands vor seinen eigenen Extremisten – wirkt höchst ungewöhnlich.
Rechtliche Grundlage und kontroverse Bewertung
Rechtlich stützen sich diese Ausreiseverbote vermutlich auf das deutsche Passrecht und Polizeirecht. »§ 7 Abs.1 Nr.1« des Passgesetzes erlaubt der Bundespolizei, einen Pass einzuziehen oder dessen Gültigkeit räumlich zu beschränken, wenn der Reisende die innere oder äußere Sicherheit oder “sonstige erhebliche Belange” der Bundesrepublik gefährdet. Bereits ein früherer Bericht des Bundesinnenministeriums nannte die geplante Teilnahme an rechtsextremen Events im Ausland und die dadurch drohende „Ansehensschädigung der Bundesrepublik Deutschland” als häufigsten »Grund für Ausreiseuntersagungen«. Die Behörden bewegen sich damit formal innerhalb des gesetzlichen Rahmens – dehnen ihn hier aber auf den Bereich politischer Betätigung im Ausland aus. Fraglich ist, ob diese extreme Maßnahme in einem freiheitlichen Rechtsstaat wirklich verhältnismäßig ist. Zwar ist die Reisefreiheit kein ausdrücklich im Grundgesetz verankertes Recht, doch gilt sie als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit und wird auch durch EU-Recht (Freizügigkeit) geschützt. Eingriffe benötigen daher eine solide Gefahrenprognose. Normalerweise greifen derartige »Ausreisebeschränkungen« bei konkreten Sicherheitsgefahren – etwa wenn Personen in Kriegsgebiete ausreisen wollen, um sich terroristischen Gruppen anzuschließen, oder wenn Hooligans gewalttätige Ausschreitungen bei Auslandsveranstaltungen planen. Im vorliegenden Fall hingegen geht es um die Verbreitung von Meinung und Präsenz. Es wird zu klären sein, ob die abstrakte Gefahr eines Imageschadens und die Förderung rechtsextremer Vernetzung ausreichen, um derartige Grundrechtseinschränkungen zu rechtfertigen. Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) – selbst Befürworterin konsequenten Vorgehens gegen Rechts – bemerkte dazu bereits 2022, dass ein Blick in die Rechtsprechung zeige, »„auf welch wackligen Beinen“« eine Ausreiseuntersagung stehen könne. Gerade bei angeblich gewaltbereiten Fußballfans hätten Gerichte solche Verbote im Nachhinein immer wieder »kassiert«. Auch im aktuellen Fall haben mindestens fünf Betroffene angekündigt, per Eilantrag juristisch gegen die Verfügung »vorzugehen«. Ob ein Verwaltungsgericht diese Argumentation der Polizei teilt oder die Maßnahme als unverhältnismäßig kippt, wird mit Spannung erwartet. Es steht zu befürchten, dass – wie so oft – die richterliche Überprüfung erst erfolgt, wenn das Reiseverbot zeitlich schon obsolet ist. Doch der präzedenzielle Charakter bleibt: Die Frage, ob das internationale Ansehen Deutschlands als Schutzgut schwer genug wiegt, um Grundrechte temporär außer Kraft zu setzen, ist juristisch bislang kaum geklärt.
Präzedenzfälle: Extremsport auf dünnem Eis
Ganz neu ist das Instrument allerdings nicht. Bereits in der Vergangenheit hat die Bundespolizei mehrfach rechtsextreme Deutsche an Auslandsreisen gehindert, vor allem zu Neonazi-Events in Europa. Zwischen »November 2019 und Mitte 2022« wurden laut Innenministerium 49 Rechtsextremisten an der Ausreise gehindert. Typische Anlässe waren z. B. Neonazi-Konzerte oder -Gedenkmärsche wie der Lukow-Marsch in Bulgarien oder der sogenannte “Tag der Ehre” in Budapest. So stoppte man 2020 fünfzehn und 2022 drei Deutsche auf dem Weg zum Lukow-Marsch in Sofia; außerdem verhinderten Beamte mehrere Reisen zu rechtsextremen Aufmärschen in Ungarn. Auch Ausreisen von Neonazis Richtung Ukraine, wohl in der Absicht sich dort bewaffnet dem Krieg anzuschließen, wurden vereinzelt unterbunden. Die Begründungen lauteten stets ähnlich: Gefährdung wesentlicher deutscher Interessen – oftmals mit Verweis auf das drohende Ansehensproblem durch öffentlich sichtbare Neonazi-Aktivitäten im Ausland.
Bereits seit den 1990er-Jahren kennt man »polizeiliche Reiseverbote« gegen gewaltbereite Hooligans, um Randale bei Fußballspielen im Ausland zu verhindern. Sogar linken Globalisierungsgegnern wurde um die Jahrtausendwende die Ausreise zu G8-Gipfelprotesten verwehrt. Die Gerichte haben solche Eingriffe mal bestätigt, mal nachträglich als unverhältnismäßig aufgehoben – je nach Einzelfall. Ein wichtiges »Urteil des Bundesverwaltungsgerichts« von 2007 stellte klar, dass eine Meldeauflage und Passentziehung zulässig sein können, wenn konkrete Tatsachen die Gefahr begründen, dass der Betreffende im Ausland Straftaten begehen wird. Im aktuellen Fall liegt jedoch keine konkrete Straftatsabsicht vor, sondern eine politische Veranstaltung. Damit bewegt man sich auf juristisch neuem Terrain. Es gibt kaum vergleichbare Urteile, in denen allein die “Befürchtung einer Imageschädigung” Deutschlands zur Einschränkung von Grundrechten herangezogen wurde. Sollte ein Gericht diese Sichtweise billigen, wäre dies ein bemerkenswerter Präzedenzfall – mit ungewissen Folgen für die künftige Praxis.
Reaktionen in Medien und Öffentlichkeit
Die Enthüllung dieser Ausreiseverbote sorgte sofort für lebhafte Debatten – insbesondere online. Auf der Plattform 𝕏 verbreitete sich die Nachricht rasant, begleitet von Fotos der Behördenverfügungen. Einer der Betroffenen spottete stolz, dies sei ein Höhepunkt seiner aktivistischen Karriere, da »„die BRD [ihn] nicht ausreisen lässt, weil [er] ihr Ansehen beschädigen könnte“«. Vergleiche mit der DDR-Praxis blieben nicht aus – die Szene sieht eine Bestätigung ihres Weltbildes vom autoritären „BRD-Regime“. Das Magazin Apollo News spricht von einem »„offenbar verhängten Ausreiseverbot“« gegen IB-Mitglieder und schildert detailliert den Vorfall am Flughafen München. Die rechtskonservative Junge Freiheit nennt die behördliche Begründung „brisant“ und prognostiziert, dass sie »„bald Gerichte beschäftigen“« werde. Dort wird auch berichtet, dass einige der Betroffenen bislang gar nicht öffentlich in Erscheinung getreten waren – was Mutmaßungen über Beobachtung durch den Verfassungsschutz nährt.
Alternative Medien und Blogs von beiden politischen Rändern nutzen den aktuellen und frühere Vorfälle zur Untermauerung ihrer Narrative: Die einen sehen einen rechtsstaatlichen Skandal und einen Dammbruch bei der Einschränkung von Grundrechten, die anderen monieren fast zynisch, dass der Staat erst handelt, wenn es um seinen Ruf geht, nicht aber konsequent genug gegen die Neonazi-Netzwerke an sich. Beispielsweise beklagte das antifaschistische Magazin »VVN-BdA« bereits 2022, dass solch eine Maßnahme wenig an der tatsächlichen internationalen Vernetzung der extremen Rechten ändere, solange sie allein mit Ansehenssorgen begründet wird.
In den sogenannten Leitmedien hielt man sich bislang zurück. Weder Tagesschau noch große Tageszeitungen hatten zum Zeitpunkt dieser Recherche ausführliche Berichte veröffentlicht. Möglicherweise scheut man sich dort, dem rechtsextremen Treffen durch eine Kontroverse zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Stattdessen dürfte das Thema zunächst in juristischen Fachkreisen und politischen Blogs weiter diskutiert werden. Von Seiten der Regierung ist kein offizielles Statement bekannt – gleichwohl fügt sich die Aktion ins bisherige Vorgehen des Bundesinnenministeriums ein, das »Reisen von Extremisten« gezielt zu unterbinden. Unterstützung für die Maßnahme wird sicherlich von einigen Politikern der selbsternannten demokratischen Parteien kommen. Wir können Argumente erwarten, wie der Staat habe nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Deutschlands Ansehen im Ausland zu wahren – gerade angesichts unserer Geschichte. Gleichwohl muss sich der „demokratische Rechtsstaat“ fragen lassen, welche Mittel legitim und effektiv sind. Grundrechte dürfen nicht leichtfertig geopfert werden, selbst nicht im Kampf gegen Feinde der freiheitlichen Ordnung. Hier prallen Schutzgüter aufeinander: der Kampf gegen als rechtsextrem eingestufte „Umtriebe“ einerseits und die hoch geschätzte bürgerliche Freiheit andererseits, zu reisen und sich zu versammeln.
Autoritärer Rechtsstaat wird zum Bumerang
Die aktuellen Ausreiseverbote gegen rechtsgerichtete Aktivisten mögen für manche politisch nachvollziehbar sein – juristisch und demokratiepolitisch sind sie jedoch gefährlich. Der Staat begibt sich auf einen schmalen Grat, wenn er zum Schutz seines internationalen Ansehens präventiv Grundrechte seiner Bürger einschränkt. Denn auch wenn der politische Gegner heute unbeliebt sein mag, ist doch zu bedenken, dass eine solche Rechtspraxis jederzeit auch gegen andere Gruppen gerichtet werden könnte.
In meinem Artikel „Der Bumerangeffekt“ warne ich eindringlich davor, dass autoritäre Maßnahmen, die zunächst unter dem Applaus weiter Teile der Bevölkerung eingeführt werden, irgendwann unweigerlich zurückschlagen könnten. Heute trifft es Rechtsextremisten – doch wer garantiert, dass morgen nicht andere kritische Stimmen mit ähnlicher Begründung mundtot gemacht oder ihrer Bewegungsfreiheit beraubt werden?
Indem die Staatsmacht mit solch drastischen Mitteln operiert, setzt sie das Fundament seiner „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ wieder einmal selbst außer Kraft. Mal ist es der Inlandsgeheimdienst mal, wie hier, die Bundespolizei. Das eigentliche Ansehen Deutschlands wird nicht durch ein paar Extremisten auf einem internationalen Gipfel gefährdet, sondern vielmehr durch einen Staat, der meint, seinen guten Ruf nur noch durch Grundrechtseinschränkungen verteidigen zu können. Wer Freiheit und Demokratie wirklich verteidigen möchte, darf sich nicht auf autoritäre Methoden verlassen – sonst opfert er am Ende genau jene „freiheitlichen Werte“, die er zu schützen vorgibt.
Eine Antwort
Manch einer könnte auch auf die vielleicht naheliegende Idee kommen, daß Freiheit und Demokratie hier gar nicht mehr verteidigt werden sollen und man sich auf immer mehr autoritäre Methoden gewöhnen soll als zukünftiger Normalzustand?