Friedrich Merz, Bundeskanzler seit gerade einmal 70 Tagen, trat im ARD-Sommerinterview am Sonntag mit einem Ziel an: die Deutschen mit dem Gefühl in die Sommerferien zu schicken, dass seine schwarz-rote Koalition alles im Griff hat. Doch was er lieferte, war ein müder Versuch, die Realität mit Selbstbewusstsein zu übertünchen. Deutschland steckt in einem politischen Regen-Sommer, die Koalition aus Union und SPD wankt, und Merz’ Antwort auf die Misere? „Krise, welche Krise?“ Diese Leugnung ist nicht nur dreist, sondern entlarvt einen Kanzler, der Probleme lieber wegredet, als sie anzugehen.
»ARD Sommerinterview: Friedrich Merz«
Richterwahl-Debakel
Die jüngste Blamage der Koalition, das Chaos um die Richterwahl am Bundesverfassungsgericht, ist ein Paradebeispiel für Merz’ Unfähigkeit, seine Truppen zu bändigen. Am Freitag scheiterte die Wahl, weil die Unionsfraktion die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf massiv ablehnte, während die SPD sich düpiert fühlt. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach von einer Koalition, die sich „selbst beschädigt“ habe, und wies auf die geschwächte Autorität des Parlaments hin.
„Ich glaube, wenn man einen Blick in die Zeitungen vom Wochenende wirft, dann lernt man sofort, die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt. […] Es geht um die Autorität und Funktionsfähigkeit eines Verfassungsorgans, das zugleich unser höchstes Gericht ist“.
»Frank-Walter Steinmeier / Deutschlandfunk«
Merz’ Reaktion? Er bagatellisierte das Fiasko als „nicht schön“, aber keinesfalls als Krise. Stattdessen zog er die „Gewissensfrage“-Karte, ein Begriff, der im Parlament für fundamentale Entscheidungen wie die Ehe für alle oder die Hauptstadtfrage reserviert ist, nicht für eine Routine-Richterwahl. Dass Merz diese Karte ausspielt, um das Versagen seines Fraktionschefs Jens Spahn zu kaschieren, ist ein durchsichtiges Manöver. Spahn, der die Nominierung von Brosius-Gersdorf nicht mit der eigenen Fraktion abgestimmt hatte, bleibt für Merz „eindeutig“ der richtige Mann. Hier zeigt sich nicht nur Führungsschwäche, sondern eine gefährliche Loyalität zu einem Mann, der die Koalition ins Chaos stürzt.

Vertagen statt lösen: Merz’ Sommerpause-Strategie
Anstatt eine schnelle Lösung für den Richterstreit zu präsentieren, schiebt Friedrich Merz die Entscheidung auf die lange Bank. Bis September sind Parlamentsferien, und in der Union gibt es wenig Lust auf eine Sondersitzung, wie von den Grünen gefordert. Merz betont, es gebe „keinen Zeitdruck“, da das Bundesverfassungsgericht „arbeitsfähig“ sei. Diese demonstrative Gelassenheit ist nicht nur ein Affront gegen die Dringlichkeit der Situation, sondern auch das Eingeständnis, dass Merz keine Idee hat, wie er den gordischen Knoten durchschlagen soll. Seine Aussage, man werde „in Ruhe“ mit der SPD sprechen, klingt wie ein Vertrösten, nicht wie ein Plan, und er wiederholt sie gebetsmühlenartig gleich sieben Mal in nur 15 Minuten.
Selbst seine minimale Selbstkritik „Wir hätten den Unmut früher erkennen können“ bleibt blass und verpufft neben seiner demonstrativen Weigerung, konkrete Schritte zu benennen. Stattdessen verlegt sich Merz darauf, die Bedeutung des Konflikts rhetorisch kleinzureden. Die mediale Erregung um die gescheiterte Neubesetzung des Verfassungsgerichts möge, so der Eindruck, am einfachen Bürgerlein vorbeiziehen wie eine harmlose Gewitterwolke. Seine Haltung bringt er unverblümt auf den Punkt:
„Meine feste Überzeugung ist, dass große Teile der Bevölkerung das allenfalls aus dem Augenwinkel begleiten und an ganz anderen politischen Themen interessiert sind als an Richterwahlen.“
»ARD Sommerinterview: Friedrich Merz«
Es ist der Versuch, politischen Stillstand als ruhige Hand zu verkaufen und Ignoranz gegenüber einer institutionellen Krise als nüchterne Bürgernähe zu tarnen. Doch wer das höchste Gericht zur Nebensache erklärt, erklärt zugleich die Verfassung zur Fußnote.
Im #Sommerinterview sagt Merz, dass er davon überzeugt ist, dass der Bevölkerung die Wahl der VerfassungsrichterInnen egal ist. Nein Herr Merz die Überwachung der Einhaltung des Grundgesetzes ist dem größten Teil der deutschen Bevölkerung nicht egal. pic.twitter.com/Hf6RsoLKrO
— Frikadelle241 📯🇺🇦🏳️🌈 (@Frikadelle241) July 13, 2025
Bürgergeld: Sparansagen ohne Substanz
Friedrich Merz fordert im ARD-Sommerinterview eine grundlegende Reform des Bürgergeldes. Er sieht ein Sparpotenzial im zweistelligen Milliardenbereich, nennt aber keine konkreten Zahlen. Stattdessen kündigt er an, Wohnkosten zu deckeln, Wohnungsgrößen zu reduzieren und Leistungen zu pauschalieren. In Großstädten würden Bürgergeld-Empfänger teils 20 Euro pro Quadratmeter erhalten, das könne sich eine normale Arbeitnehmerfamilie nicht leisten.
Grundsicherung statt Bürgergeld: Es könne nicht sein, dass Stütze-Empfänger in Großstädten 2000 Euro Miete für die 100qm-Wohnung vom Amt bezahlt bekommen, kündigt Kanzler Merz an. pic.twitter.com/NlTQh4NVYA
— Gr@ntlɘr 🥨🍺 (@oida_grantler) July 13, 2025
Merz betont, Hilfe solle gezielter jenen zugutekommen, die unverschuldet in Not geraten. Für sie seien sogar höhere Sätze denkbar. Doch bei Menschen, die arbeiten könnten, aber es nicht tun oder nur aufstocken, sei das System falsch. Er verweist auf zunehmende Schwarzarbeit und gezielte Teilzeitmodelle, mit denen Leistungen erschlichen würden.
Was Merz nicht sagt: Der größte Teil der Bürgergeldempfänger stammt aus dem Ausland oder hat nie in das System eingezahlt, während die Finanzierung auf den Schultern einer schrumpfenden Zahl arbeitender Steuerzahler lastet. Genau dieser soziale Spalt wird ausgeblendet – obwohl er der eigentliche Grund für wachsenden Unmut ist.
tja. Wer wirklich Bürgergeld bezieht….https://t.co/zlqS07SfT3 pic.twitter.com/vER9zSFcIG
— Roland Tichy (@RolandTichy) July 14, 2025
Falschaussagen und Ausflüchte: Merz’ Glaubwürdigkeitsproblem
Merz’ Umgang mit Fakten ist ebenso fragwürdig wie seine Krisenbewältigung. Seine Behauptung, die Vermögenssteuer sei verfassungswidrig, ist falsch. Das Grundgesetz nennt sie ausdrücklich als Einnahmequelle (Artikel 106) und das Bundesverfassungsgericht kritisierte 1995 lediglich die Bemessungsgrundlage, nicht die Steuer selbst.
„Die Vermögenssteuer kommt gar nicht, […] weil die Vermögensteuer in Deutschland einfach nicht erhoben werden kann, weil jede Form einer Vermögenssteuer gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.“
»Friedrich Merz / Tagesschau«
Ebenso irreführend ist Merz’ Behauptung, die Koalition habe den Koalitionsvertrag „punktgenau“ eingehalten. Tatsächlich wurde die versprochene Senkung der Stromsteuer für private Haushalte nicht umgesetzt, und von vier vor der Sommerpause geplanten Gesetzesentwürfen scheiterte einer, die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts. Merz’ Versuch, die Koalitionsbilanz aufzupolieren, wirkt wie ein Schönwetter-Tanz auf dünnem Eis, während »Alice Weidel im Bundestag auf den Punkt bringt«, was viele denken: „Ihre Kanzlerschaft geht als größter Wahlbetrug in die deutsche Geschichte ein.“ Merz hat seine Glaubwürdigkeit bei einem Großteil der Bevölkerung längst verloren.
Der Bumerang bei Wahlversprechen, die nicht eingehalten werden: #Merz wird den Titel #Lügenkanzler vermutlich während seiner gesamten Amtszeit nicht mehr los werden.
— Tom Bohn (@realTomBohn) July 9, 2025
Eine sehr bittere Hypothek. #Weidel #Bundestag pic.twitter.com/ociFOX5arJ
Merz’ Koalition aus Union und SPD ist keine „Liebesheirat“, wie er selbst zugibt, sondern eine fragile Arbeitsgemeinschaft. Schon 2024 warnte er als Oppositionsführer, öffentlicher Streit sei nicht die Lösung der Probleme.
„Wir sollten weniger Zeit mit Abscheu und Empörung verbringen. […] Die Lösung des Problems liegt darin, dass Sie die Probleme unseres Landes lösen.“
»Friedrich Merz / ZEIT«
Doch genau die gleiche Konfliktsucht sickert nun durch die Koalition. Die SPD, die nur knapp in die Regierung rutschte, weil die Union die AfD als Partner ausschließt, fühlt sich durch das Richterwahl-Debakel brüskiert. Merz’ Lob für SPD-Chef Lars Klingbeil („wirklich gute Arbeit“) wirkt wie ein zynischer Versuch, die Wogen zu glätten, während die Spannungen wachsen. Mit einem Satz, der an Realitätsverkennung grenzt, erklärte Merz kürzlich ausgerechnet seine Koalition zur besten Regierung seit Jahrzehnten, ein Ausbruch politischen Größenwahns, der offenbart, wie weit er sich von der Wahrnehmung der Bevölkerung entfernt hat.
Der Brüller zum Morgen! #Merz pic.twitter.com/pMjgArCGoa
— Dr. David Lütke (@DrLuetke) July 12, 2025
Ein Kanzler der zweiten Wahl
Merz’ Sommerinterview offenbart einen Kanzler, der weder seine Fraktion noch seine Koalition im Griff hat. Seine Leugnung der Krise, die selbst Parteikollegen wie Peter Müller als »eklatantes Führungsversagen« bezeichnen, ist ein Armutszeugnis. Seine Versprechen, von der Richterwahl bis zur Bürgergeldreform, sind so stabil wie ein rückgratloser Mensch. Merz mag sich als Schönwetter-Kanzler inszenieren, doch die Realität ist grau und stürmisch. Deutschland verdient mehr als einen Regierungschef, der Probleme mit verbalem Schönsprech überdeckt. Die Sommerpause mag eine Atempause bieten, doch die Herbststürme stehen bereits am Horizont und Merz scheint weder Plan noch Kompass zu haben.