Die neue, geheime Nuklearstrategie, bekannt als „Nuclear Employment Guidance“ soll die Vereinigten Staaten auf eine mögliche koordinierte nukleare Bedrohung durch Russland, China und Nordkorea vorbereiten. Diese Neuausrichtung erfolgt angesichts der intensiveren Kooperation zwischen Russland und China sowie der rasanten nuklearen Aufrüstung Chinas.
Bereits im März 2024 hatte Biden diese stillschweigend genehmigt, so die New York Times.
Im Gegensatz zu früheren Nuklearstrategien spiegelt diese die wachsende Besorgnis über die Zusammenarbeit dieser nuklear bewaffneten Gegner wider.
Öffentlichkeit wurde nur durch Reden zweier Sicherheitsbeamte aufmerksam
Das Weiße Haus hat die Genehmigung dieser neuen Richtlinie nicht öffentlich bekannt gegeben. Sie ist so streng geheim, dass nur wenige gedruckte Exemplare an hochrangige nationale Sicherheitsbeamte und Pentagon-Kommandeure verteilt wurden. Allerdings haben zwei hochrangige Regierungsbeamte in jüngsten Reden subtil auf diese Verschiebung hingewiesen, ohne dabei Details preiszugeben.
Vipin Narang, ein Nuklearstratege am MIT, der kürzlich nach seiner Zeit im Pentagon wieder in die Wissenschaft zurückgekehrt ist, erwähnte in einer Rede, der Präsident habe aktualisierte Richtlinien zur Anwendung von Nuklearwaffen herausgegeben, um den Anstieg der nuklearen Fähigkeiten Chinas zu berücksichtigen. „Der signifikante Anstieg der Größe und Vielfalt des chinesischen Nukleararsenals“ sei ein wichtiger Faktor bei dieser Aktualisierung gewesen, sagte er.
Ähnlich betonte Pranay Vaddi, der leitende Direktor des Nationalen Sicherheitsrates für Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, dass die neue Strategie darauf abzielt, Russland, China und Nordkorea gleichzeitig abzuschrecken. Dieser neue Fokus spiegelt die Besorgnis des Pentagon wider, dass diese Länder ihre nuklearen Drohungen koordinieren könnten – ein Szenario, das zuvor als unwahrscheinlich galt, aber aufgrund neuer Allianzen und militärischer Kooperationen zwischen diesen Nationen zunehmend plausibel erscheint.
China und Nordkorea in Kooperation mit Russland stellen wachsende nukleare Bedrohung dar
Chinas rasch wachsendes Nuklearprogramm löste in den USA Besorgnis aus. Unter der Führung von Präsident Xi Jinping hat China seine nukleare Aufrüstung weit schneller vorangetrieben, als es amerikanische Geheimdienste vor wenigen Jahren noch prognostiziert hatten. Das Land weicht offenbar von seiner bisherigen Strategie einer „minimalen Abschreckung“ ab und strebt nun danach, das nukleare Potenzial der USA und Russlands zu erreichen oder sogar zu übertreffen.
Das Pentagon schätzt, dass Chinas Nuklearstreitkräfte bis 2030 auf 1.000 Sprengköpfe anwachsen könnten und bis 2035 auf 1.500, was in etwa den aktuellen Zahlen der USA und Russlands entspricht.
Gespräche zwischen den USA und China über die Verbesserung der nuklearen Sicherheit und Kommunikation wurden jüngst eingestellt. Mallory Stewart, die stellvertretende Staatssekretärin für Rüstungskontrolle, Abschreckung und Stabilität im Außenministerium, äußerte Besorgnis darüber, dass China sich weigert, an diesen Gesprächen teilzunehmen. Sie bemerkte, dass Peking anscheinend eine Strategie ähnlich der Russlands verfolgt und bilaterale Spannungen als Vorwand nutzt, um Gespräche über Rüstungskontrolle und Risikominderung zu vermeiden.
Auch Nordkorea hat währenddessen unter Kim Jong-un sein Nukleararsenal erheblich ausgeweitet und trotzt damit den Erwartungen, dass es nach diplomatischen Begegnungen mit dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump abrüsten würde. Das wachsende nordkoreanische Arsenal, das nun auf über 60 Nuklearwaffen geschätzt wird, stellt eine komplexere Herausforderung dar, insbesondere wenn es in Zusammenarbeit mit Russland und China agiert.
Wiederaufleben des Kalten Kriegs
Ein Wettrüsten zwischen West und Ost in vergleichbarem Ausmaß kennt man aus Zeiten des Kalten Kriegs. Nun hat eine Neubewertung der amerikanischen Kriegspläne und Strategien stattgefunden.
Vipin Narang, früherer stellvertretender Verteidigungsminister für Weltraumpolitik, einschließlich Raketenabwehr, nuklearer Abschreckung und Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen, deutete an, dass die Zeit nach dem Kalten Krieg möglicherweise als „nukleare Pause“ betrachtet werden könnte. Nun befände man sich wieder in einer Ära erhöhter nuklearer Spannungen.
Präsident Biden, der lange Zeit ein Befürworter der nuklearen Nichtverbreitung war, hat nicht öffentlich darüber gesprochen, wie seine Regierung auf die Herausforderungen durch die ausgeweiteten nuklearen Fähigkeiten Chinas und Nordkoreas reagiert. Auch Vizepräsidentin Kamala Harris, die Kandidatin der Demokratischen Partei für die kommende Wahl, hat sich dazu nicht geäußert.
Die von Biden genehmigte geheime Nuklearstrategie ist eine deutliche Erinnerung daran, dass der nächste US-Präsident eine weitaus volatilere und komplexere nukleare Landschaft erben wird, als sie noch vor wenigen Jahren existierte.