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Patentanwalt wegen Beleidigung von Grünen-Politikern verurteilt

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Minengefahr (Symbolbild)
Screenshot Tagesschau 19.11
Boris Pistorius
Das Amtsgericht München verurteilte am 14. Juni Björn Otto wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 120 €, insgesamt also zu 6.000 € Geldstrafe. Bezüglich einer vermeintlichen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Strafgesetzbuch) aufgrund einer Videoaufnahme einer Polizeikontrolle wurde das Verfahren eingestellt.
Zusammengefasst

Nur Politiker der Grünen stellten Strafanträge

Annalena Baerbock, Robert Habeck und Anton Hofreiter fühlten sich durch die Botschaften, die am 8. Dezember 2022 auf einem LED-Bildschirm im Heck eines Münchner SUV verbreitet wurden, beleidigt und stellten Strafanträge gegen Björn Otto, der mit diesen und weiteren Botschaften seinen Unmut über die Corona-Maßnahmen-Politik ausdrückte.

Baerbock wurde auf dem LED-Bildschirm als „Blödbock“ betitelt, Habeck als „Hadreck“ und bezüglich Anton Hofreiter erfolgt der als Demoaufruf geäußerte Satz: „Wenn Du riechst wie Anton Hofreiter ausschaut, dann sehen wir uns auf der Straße!“.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner, Justizminister Marco Buschmann und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen wurden von Björn Otto adressiert. Scholz und Lindner stellten keine Strafanträge. Ursula von der Leyen antwortete auf die Frage, ob sie einen Strafantrag stellen möchte, nicht. Justizminister Buschmann teilte mit, dass er keinen stellen möchte, wie uns Björn Otto telefonisch mitgeteilt hat.

Die Staatsanwaltschaft München, die den Strafbefehl beantragt hat, hätte diese Fälle zwar auch ohne Strafanträge der zuletzt genannten vier Politiker aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses (§ 194 Abs. 1 S. 3 StGB) verfolgen können, hat hiervon jedoch abgesehen.

Strafbefehl und Urteil des Amtsgerichts München

Björn Otto hat uns den Strafbefehl zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Dieser lautete ursprünglich auf 90 Tagessätze (TS) Geldstrafe mit einer Tagessatzhöhe von 500 € (Gesamtgeldstrafe 45.000 €), die sich aus zwei Einzelstrafen, 70 Tagessätze für die Beleidigungen und 40 Tagessätze für die Videoaufnahme des Polizisten, dazu später, zusammengesetzt hat. Die Einzelstrafen werden hierbei nicht addiert, sondern es wird eine Gesamtstrafe gebildet, welche unterhalb der Summe der Einzelstrafen (hier 70 TS + 40 TS = 110 TS) liegen muss, § 54 Abs. 2 S. 1 StGB.

Das Amtsgericht München verurteilte den Patentanwalt aufgrund der drei obigen Aussagen zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 120 € (Gesamtgeldstrafe 6.000 €) wegen „einfacher“ Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen gemäß § 185 Strafgesetzbuch. Das Gericht ging dabei richtigerweise von lediglich einer selbstständigen Tathandlung aus, nicht von drei separaten Taten, welche höher bestraft worden wären.

Die Höhe des Tagessatzes, welcher sich am Einkommen bemisst, wurde durch das Gericht von 500 € auf 120 € deutlich reduziert. Björn Otto teilte uns mit, dass er in der kommenden Woche mit seinem Strafverteidiger die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil erwägen wird.

Normale Beleidigung statt „Politikerbeleidigung“

Während der Strafbefehl noch von einer „Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete[n] Beleidigung“ nach § 188 Strafgesetzbuch ausging, ein Straftatbestand der eine höhere Straferwartung hat, verurteilte das Amtsgericht München Herrn Otto nur noch wegen einer normalen Beleidigung.

Offenkundig war ein LED-Bildschirm im Heck eines Kraftfahrzeugs nicht dazu geeignet, das öffentliche Wirken von Robert Habeck, Annalena Baerbock und Anton Hofreiter erheblich zu erschweren, was aber gemäß § 188 Abs. 1 S. 1 Strafgesetzbuch Tatbestandsvoraussetzung ist. Im Strafbefehl wird die vermeintliche Eignung letztlich nur unterstellt und nicht ernsthaft begründet.

„Im Einzelnen befand sich neben den Darstellungen von und beleidigenden Äußerungen gegen zahlreiche weitere Bundes- und Europapolitiker hierunter u.a. ein Foto der Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, MdB, welches die Kommentierung ‚Blödbock‘ trug , ein Foto des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, MdB, welches die Kommentierung ‚Hadreck‘ trug, sowie ein Foto des Politikers Anton Hofreiter, MdB, kommentiert mit dem Schriftzug ‚Wenn Du riechst wie Anton Hofreiter ausschaut, dann sehen wir uns auf der Straße!‘
Hierdurch wollten Sie Ihre Missachtung gegenüber den genannten Politikern zum Ausdruck bringen und eine größtmögliche Öffentlichkeit Ihrer Botschaften auf Ihrem Weg durch das Stadtgebiet erzielen. Auf dem beschriebenen Weg herrschte zur Tatzeit noch reger Verkehr.“

Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 11.01.2024

Beleidigungen gegenüber Politikern unterliegen übrigens erst seit dem 3. April 2021 der höheren Strafandrohung des § 188 des Strafgesetzbuches. Die Änderung erfolgte im Rahmen des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität.
Nach der überzeugenden Mindermeinung der strafrechtlichen Literatur war die konkrete Tat überhaupt nicht dazu geeignet, um das Wirken der drei Politiker der Grünen erheblich zu erschweren, was letztlich wohl auch das Amtsgericht München eingesehen hat.

„In die Beurteilung der Frage, ob die Tat geeignet ist, das Wirken zu erschweren, bezieht die hM weder die Glaubwürdigkeit des Verbreiters noch die Art der Verbreitung und die Größe des angesprochenen Personenkreises (BGH bei Holtz MDR 1980, 455) ein, stellt vielmehr allein auf den Inhalt der Behauptung und deren abstrakte Eignung zu negativen Auswirkungen ab (BGH NJW 1954, 649; NStZ 1981, 300); das widerspricht jedoch dem Gesetz, weil das Eignungselement nicht an die ehrenrührige Behauptung, sondern an die Tat im ganzen anknüpft (mit Recht anders daher Hoyer, Die Eignungsdelikte, 1987, S. 146; Hilgendorf in LK-StGB Rn. 4; sowie Zieschang Gefährdungsdelikte S. 304, der ein konkretes Gefährlichkeitsdelikt annimmt).“

Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 188 Rn. 3

Keine „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“

Ebenfalls im Strafbefehl aufgeführt war eine vermeintliche Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 StGB, aufgrund einer 33 Sekunden langen Videoaufnahme. Björn Otto hat zu eigenen Dokumentationszwecken der Polizeikontrolle sich selbst in Abwesenheit des Polizisten mit dem Handy gefilmt, nachdem er von der Münchner Polizei aufgrund der LED-Leinwand angehalten wurde.
Im Rahmen dieser Aufzeichnung wurden auch einige Worte des Gesprächs mit dem Polizisten aufgezeichnet, als dieser nach einer Kontrolle des Kofferraums zur Fahrertür zurückkehrte. Auf Aufforderung des Polizisten wurde die Videoaufnahme umgehend gestoppt. Dennoch wurde das Mobiltelefon von der Polizei beschlagnahmt und wurde noch nicht zurückgegeben.

Grundsätzlich sind derartige Aufnahmen strafbar, siehe sogleich, wenn sie mit dem Vorsatz erfolgen, das nichtöffentliche Wort eines anderen aufzuzeichnen, was hier aber nicht der Fall war, da Otto nur sich selbst filmen wollte und die Aufnahme auf entsprechende Aufforderung umgehend stoppte.

Dienstliche Äußerungen eines Beamten sind nicht deswegen öffentlich, weil der öffentliche Dienst einen ‚prinzipiell öffentlichen Charakter‘ hat, 79 selbst wenn er als Pressesprecher einer Behörde angerufen worden war.80 Auch Amtsträgern sind insoweit keine weiteren Einschränkungen ihrer Persönlichkeitsrechte aufzuerlegen, wenn sie mündlich oder telefonisch Auskünfte erteilen oder zu Anträgen Stellung nehmen.81 Gleiches gilt für polizeiliche Vernehmungen oder dienstliche Anhörungen, selbst wenn eine spätere Erörterung in öffentlicher Verhandlung in Betracht kommt,82 zumal eine umfassende wörtliche Niederschrift von Fragestellung und Beantwortung in aller Regel nicht stattfindet. Auch wenn der Amtsträger Kenntnis von der Aufnahme hat, dieser aber widerspricht, bleiben seine Äußerungen nichtöffentlich.83 Auch Medienvertreter haben insoweit keinen Sonderstatus und bedürfen zur Aufzeichnung der Einwilligung des Betroffenen.“

MüKoStGB/Graf, 4. Aufl. 2021, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 201 Rn. 14-19


Im Strafbefehl wurde diese vermeintliche Tat mit aufgenommen und mit 40 Tagessätzen bedacht. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Tatvorwurf aber nicht weiter erhoben und das Verfahren wurde – soweit wir informiert wurden – diesbezüglich eingestellt.

Kommentar zur medialen Berichterstattung im Strafrecht

Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es ziemlich sinnfrei ist, wenn Medien regelmäßig nur die Höhe der Geldstrafe angeben anstatt die Anzahl der Tagessätze und deren Höhe. Es macht einen riesigen Unterschied, ob jemand zu 100 Tagessätzen je 10 € (1.000 € Geldstrafe) verurteilt wird und damit vorbestraft ist, oder zu (lediglich) 10 Tagessätzen zu je 100 € (ebenfalls 1.000 € Geldstrafe).
Die Tagessatzhöhe bemisst sich am Einkommen, während die Anzahl der Tagessätze den strafrechtlichen Unwertgehalt bestimmt.

Die Bild-Zeitung berichtete über den Fall des Münchener Patentanwalts beispielsweise mit folgender Überschrift:

„‚Blödbock‘ und ‚Hadreck‘
Patentanwalt beleidigte Grüne – 6000 Euro Strafe“

Bild vom 15. Juni 2024

Leider ist eine derartige Berichterstattung kein Einzelfall. So titelte das Redaktionsnetzwerk Deutschland in einem vergleichbaren Fall wie folgt und sprach auch von einem Widerspruch gegen einen Strafbefehl, korrekt wäre ein Einspruch:

„6000 Euro wegen Beleidigung
Bayrischer Unternehmer vor Gericht: Schmähplakate gegen Grünen-Politiker“

„Much legte Widerspruch ein – und will den Fall nun in einer Hauptverhandlung am 21. März klären lassen.“

Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 19. Februar 2024

Die Schlagzeile des Focus zum selben Fall lautete:

„6000 Euro Strafe
Bayer verspottet Grüne auf Plakaten – Polizei durchsucht sein Haus“

Focus vom 19. Februar 2024

Bei Verurteilungen und vor allem dann, wenn Reporter vor Ort im Gerichtssaal sind, sollten Journalisten darauf achten, sich nicht nur die Höhe der Geldstrafe zu notieren. Die höchste Relevanz bei einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer Geldstrafe hat die Anzahl der Tagessätze, nicht die Tagessatzhöhe. In einer sauberen Berichterstattung ist daher, was nur selten erfolgt, die Anzahl der Tagessätze, die (einkommensabhängige) Tagessatzhöhe und die sich daraus ergebende Höhe der Geldstrafe in Euro anzugeben.

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Markus Haintz

Markus Haintz ist Journalist und Rechtsanwalt mit dem juristischen Schwerpunkt in den Bereichen Medien- und Äußerungsrecht. Journalistisch befasst er sich vor allem mit den Themen Meinungsfreiheit, Recht sowie Innen- und Außenpolitik.

2 Antworten

  1. Ich habe wegen einer weitaus harmloseren und unbewiesenen „Beleidigung“, die noch dazu privat und nicht öffentlich geäußert wurde 120 Tagessätze zu je 50 Euro erhalten. Die Staatsanwaltschaft hatte 30 Tagessätze gefordert, aber der Richter meinte dreckig grinsend, dass er möchte, dass ich vorbestraft bin. Warum wird über so ein Pillepallefall überhaupt berichtet?

  2. In diesem Zusammenhang ist das Urteil des OLG München

    PatA-St 1/16

    interessant, das mit dem Aktenzeichen im Interet zu finden ist und von der Bayerischen Staatskanzlei ins Netz gestellt wurde.

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