Im Kontext des anhaltenden Konflikts zwischen Israel und der Hamas wird häufig das Argument der menschlichen Schutzschilde bemüht. Israel behauptet, dass die hohe Zahl ziviler Opfer auf den Einsatz von Zivilisten als Schutzschilde durch die Hamas zurückzuführen sei. Dieses Argument hat besonders in westlichen Medien und politischen Kreisen großen Anklang gefunden. Es weist jedoch grundlegende Schwächen auf, sowohl in Bezug auf seine völkerrechtliche Grundlage als auch hinsichtlich der Realität vor Ort.
Das Prinzip der menschlichen Schutzschilde
Im Völkerrecht gilt der Einsatz von Zivilisten als menschliche Schutzschilde als schwerwiegende Verletzung der Genfer Konventionen. Schutzschilde sollen militärische Ziele vor Angriffen abschirmen, indem der Angreifer davon abgehalten wird, Gewalt anzuwenden, aus Furcht, Unschuldige zu treffen. Das Konzept basiert darauf, dass der Angreifer zögert, Zivilisten zu gefährden, was im Idealfall die Zerstörung oder den Angriff auf das geschützte Ziel verhindert. Wesentliche Merkmale für menschliche Schutzschilde sind, dass es sich um Zivilisten bzw. schutzwürdige Personen wie beispielsweise UN-Soldaten handelt, die vorsätzlich und gegen ihren Willen um militärische Ziele platziert werden. Militärisch gesehen ist es zudem eine Voraussetzung, dass der Gegner vor der Gewalt gegen Zivilisten zurückschreckt.
Im Fall Israels und des Gaza-Streifens, einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt, wird dieses Argument jedoch problematisch. Gaza ist kein typisches Schlachtfeld, auf dem Zivilisten gezielt als Schutzschilde um militärische Ziele platziert werden. Stattdessen leben die Menschen dort in einem dicht bevölkerten Gebiet, wo Zivilisten und militärische Ziele unweigerlich nahe beieinander existieren. Zivilisten haben kaum eine Wahl, dem Konflikt zu entkommen, da es keinen sicheren Rückzugsort gibt. Die hohe Bevölkerungsdichte macht es praktisch unmöglich, dass militärische Operationen durchgeführt werden können, ohne das Leben von Unbeteiligten zu gefährden.
Der Einsatz des Schutzschild-Arguments im israelischen Diskurs
Seit Beginn des aktuellen Konflikts wird von israelischer Seite das Schutzschild-Argument regelmäßig als Rechtfertigung für die hohe Zahl ziviler Opfer angeführt. Dies geschieht oft ohne konkrete Beweise, die die gezielte Platzierung von Zivilisten durch die Hamas bestätigen. Viele der Behauptungen stammen direkt von der israelischen Regierung oder dem israelischen Militär (IDF), ohne dass unabhängige Belege diese Einschätzungen stützen oder aussagekräftige Beweise vorgelegt werden.
Während der Konflikt andauert, wird zudem eine harte Rhetorik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung verwendet. Hochrangige israelische Politiker haben mehrfach erklärt, dass alle Palästinenser als Terroristen angesehen werden. Diese pauschale Darstellung delegitimiert die Zivilbevölkerung und schafft ein Klima, in dem die Tötung von Zivilisten leichter gerechtfertigt wird. Dadurch wird der Einsatz des Schutzschild-Arguments nicht nur fragwürdig, sondern auch entmenschlichend. Es erzeugt den Eindruck, dass die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen nicht nur passiv in Gefahr gebracht wird, sondern als legitimes Ziel angesehen werden kann, solange sie als Teil einer feindlichen Gemeinschaft betrachtet wird. Diese Haltung wird abermals in dem letzten Evakuierungsplan von Netanyahu deutlich, der am 13.10. bekannt wurde. Demnach hätten die Palästinenser eine Woche Zeit, um den Norden des Gaza-Streifens, inklusive Gaza City zu räumen. Alle Verbleibenden würden automatisch als Kombattanten – also Kämpfer – behandelt, die ihren zivilen Schutzstatus verlieren würden.
Der eigentliche Hintergrund der zivilen Opfer
Die traurige Realität zeigt, dass die absolute Mehrheit der Opfer Zivilisten sind, darunter vorwiegend Frauen und Kinder. In den letzten Ausbrüchen der Gewalt war ein erheblicher Anteil der Getöteten keine Kombattanten, sondern unbewaffnete Zivilisten. Das Schutzschild-Argument wird angesichts der hohen Zahl unschuldiger Toter zunehmend unhaltbar, insbesondere wenn man bedenkt, dass viele dieser Menschen schlichtweg aufgrund ihrer Wohnorte getötet wurden – und nicht, weil sie gezielt als Schutzschilde verwendet wurden.
Im Fall Gaza kann die Platzierung von Zivilisten in der Nähe militärischer Ziele kaum als bewusste Strategie der Hamas gesehen werden, sondern vielmehr als das unvermeidliche Ergebnis der Lebensumstände in einem überbevölkerten, blockierten Gebiet. Die Tatsache, dass so viele Zivilisten sterben – trotz des Schutzschild-Arguments – deutet darauf hin, dass der Angreiferstaat, hier Israel, wenig Rücksicht auf die Anwesenheit von Zivilisten nimmt. Das lässt bezweifeln, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Schutz von Zivilisten im israelischen Vorgehen tatsächlich berücksichtigt werden. Zwar wird ständig darauf verwiesen, dass die Zivilisten in Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern vorab gewarnt und zum Verlassen des Ortes aufgefordert werden, jedoch wird – insbesondere im Falle von Krankenhäusern – keine Rücksicht darauf genommen, ob die faktische Evakuierungsmöglichkeit in derart kurzer Zeit überhaupt gegeben ist. Schwerstverletzte Patienten sind in der Regel zur Flucht nicht fähig. Zudem wird wenig Rücksicht auf die sichere Fluchtmöglichkeit aus den Gebäuden genommen. So kommt es immer wieder zu Angriffen auf flüchtende Personen. Zudem werden die Palästinenser von einer vorgeblichen Schutzzone in die nächste getrieben.
In der Debatte vernachlässigt wird auch die Tatsache, dass sich Hamas-Kämpfer oft im unterirdischen Tunnelsystem bewegen, das sich Schätzungen zufolge über 500 km erstreckt. Im Tunnelsystem wurden bereits große Waffenlager gefunden. Auch die meisten Geiseln werden dort vermutet. Die Behauptung, Schulen und Krankenhäuser würden als Waffendepots und Kommandozentralen dienen, macht vor diesem Hintergrund wenig Sinn. Auch die Behauptung, unter Krankenhäusern würde sich das Tunnelsystem erstrecken, rechtfertigt die Bombardierung derselben nicht, da dies das unterirdische Bunkersystem nicht beeinträchtigt und diese Tunnelsysteme regelmäßig mehrere Eingänge haben, selbst wenn auch im Krankenhaus bzw. in der betroffenen Schule ebenfalls ein Eingang auffindbar wäre.
Die realen Verhältnisse in Gaza zeigen, dass eine Verhältnismäßigkeitsabwägung in der Realität kaum stattfindet. Vielmehr deutet einiges darauf hin, dass gezielt systemrelevante Infrastruktur zerstört wird, um den Gaza-Streifen für längere Zeit unbewohnbar zu machen und eine Rückkehr der Palästinenser zu verhindern.
Ungeachtet der Sachlage steht Deutschland ungebrochen hinter Israel. So bekräftigt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in einer Rede, dass auch zivile, geschützte Orte ihren Schutzstatus verlieren würden, wenn diese von Terroristen missbraucht würden. Diese Einordnung ist völkerrechtlich kritisch zu bewerten, denn selbst bei direkter militärischer Nutzung von besonders geschützten Einrichtungen ist stets das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren.
Währenddessen kündigt Bundeskanzler Scholz weitere Waffenlieferungen an Israel an. „Es gibt Lieferungen und wird auch immer weitere Lieferungen geben. Darauf kann sich Israel verlassen“, sagte Scholz im Bundestag bei einer Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel. So bekräftigt er weiter, Israel könne sich auf die deutsche Solidarität verlassen, „jetzt und in aller Zukunft“.
3 Antworten
Sehr geehrte Frau Lyse!
Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es dermaßen überwältigendes Beweismaterial für Kriegsverbrechen und Völkermord wie vom ersten Tag an in diesem Konflikt. Sowohl die durch die Völkermordkonvention geforderte Absicht als auch die Tathandlungen der Politiker, der Streitkräfte und eines großen Teils der Bevölkerung Israels sind offenkundig. Kein Strafverfahren der Welt konnte jemals mit einer solchen Fülle an belastenden Beweisen aufwarten. Darüber hinaus stehen auch die Verschwörung zur Begehung von Völkermord, die unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord, die Teilnahme daran, sowie der Versuch, Völkermord zu begehen unter Strafe. Und das alles ist auch noch mit der völkerrechtlichen Verpflichtung an die Signatarstaaten versehen, diese Delikte verhüten zu müssen. Also mit einer Garantenstellung, die das Tor zum Speisesaal der unechten Unterlassungsdelikte weit öffnet. Jedem Juristen, der glaubt einer zu sein, sei „Guter Appetit“ gewünscht.
Alleine die Tatsache, dass in keinem westlichen Land, dessen Machthaber offensichtlich der mutmaßlichen Beihilfe zu diesen Verbrechen schuldig sind, auch nur ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren in diese Richtung geführt wird, zeigt glasklar, dass in praxi weder demokratische Gewaltenteilung noch soetwas wie ein Rechtsstaat herrscht. Und das alles bezüglich der schlimmsten Verbrechen, die überhaupt denkbar sind. Diese auf Dauer angelegte Ausschaltung wesentlicher Teile sowohl des demokratischen Prinzips als auch des Rechtsstaatsprinzips erfüllt weiters die Tatbestandsmerkmale des Hochverrats in allen angesprochenen Staaten.
Jeder darf schimpfen oder lamentieren, für das eine oder andere demonstrieren und auch bis in alle Ewigkeit über das Haar in der Suppe streiten. Solange allerdings keine Ermittlungen, Beweiserhebungen und Strafverfahren mit verbindlichen Regeln durchgeführt werden, ist alles andere Makulatur. Denn das ist es doch, was dem „Pöbel“ seit langem als die Krone politischer und staatsrechtlicher Zivilisation verkauft wird. Und bis auf weiteres nicht zu unrecht, weil es derzeit der einzig gangbare Weg ist, für den es sich zu kämpfen lohnt. Dazu gehört auch kompromisslose und verständliche Aufklärung der allgemeinen Bevölkerung über das Strafrecht, das für sich genommen, im Gegensatz zu Verwaltungs- oder Steuerrecht, nun wirklich nicht besonders schwer verständlich ist. Andernfalls werden wir in Kürze tatsächlich in der modernen Form der Barbarei angekommen sein.
Traurige Grüße!
Liebe Anna Lyse! Deine Analyse ist nicht richtig. Du behauptest, das Schutzschild-Argument der Israelis sei fragwürdig, weil die Hamas keine Zivilisten „gezielt“ um ihre militärischen Stützpunkte platzieren würde. Das ist natürlich Unsinn. Die Hamas hat sogar Tunnel unter zivile Wohngebiete gebaut. Man kann sogar so weit gehen zu behaupten, dass Schulen, Moscheen, Krankenhäuser etc. in Wirklichkeit militärische Stützpunkte der Hamas sind, in denen AUCH unterrichtet, gebetet und behandelt wird. Das kommt den Fakten viel näher als deine Darstellung. Obendrein behauptest du, wegen der Bevölkerungsdichte sei es unvermeidbar, dass sich militärische Ziele in die Nähe von Wohngebieten befinden. Also damit stellst du die Verhältnisse völlig auf den Kopf: Wenn das so ist, dann darf Hamas eben keine Stützpunkte bauen, Punkt. Das sie es trotzdem tun, ist der schlagende Beweis, dass IHNEN ihre eigene Zivilbevölkerung völlig egal ist. ISRAEL hingegen ist es nicht egal. Gerade seine Bemühungen um Evakuierungen ist der Beweis, dass sie sehr wohl zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheiden. Sie mögen das vielleicht nicht mit der gewünschten Sorgfalt tun, aber immerhin tun sie es, während Hamas genau diese Unterscheidung zu verhindern sucht, indem sie sich als Zivilisten tarnt.
Insgesamt ist dieser Artikel ein Dokument der Täter-Opfer-Umkehr: Hamas darf alles, schließlich geht es um die angebliche „Befreiung Palästinas“; Israel darf nichts, schließlich sind sie die „Kolonialisten“! Pure linke, realitätsferne Umdeutung der Fakten. Schade!
Eigentlich lohnt es sich gar nicht, Ihre seichten Ausführungen zu kommentieren.
Doch Ihr Versuch, auf oberflächliche und uninformierte Weise die Analyse der Autorin in Zweifel zu ziehen, ist ein Paradebeispiel für den obrigkeitshörigen Deutschen, der sich ohne eigene Recherche und ohne alle Seiten angehört zu haben, jedes Feindbild einreden lässt, das der Herrschaft gerade in den Kram passt. Und mit diesem empathielosen Weltbild marschiert ihr dann regelmäßig in den Untergang, bis wieder die Zeit gekommen ist, von nichts etwas gewusst zu haben. Ihr ganzer Beitrag legt nahe, dass Sie es befürworten, eine Geiselnahme in einer beliebigen deutschen Bank dadurch „erfolgreich“ zu beenden, indem das Gebäude in Schutt und Asche gelegt wird. Denken Sie einmal darüber nach.
1. Der Text soll also „pure linke, realitätsferne Umdeutung der Fakten“ sein? Sie haben offenbar nicht die geringste Ahnung, worum es hierbei geht. Es hat weder etwas mit links oder rechts zu tun, noch obliegt die Beurteilung dieser Sachverhalte dem Geschmack oder der Willkür irgendwelcher Politiker, und auch nicht irgendeiner anderen ideologischen Ausrichtung. – Das ist ausschließlich eine Frage des Rechts. Und in dieser Sphäre sollte es verhandelt werden. Oder wollen Sie behaupten, dass die Gewaltenteilung plötzlich aufgehoben ist?
2. Die Tunnel der Hamas sind selbst israelischen Angaben zufolge dermaßen tief unter Gaza angelegt, dass von Anfang an keinerlei Aussicht darauf bestand, diese Tunnel durch die vollkommene und flächendeckende Auslöschung aller oberirdisch gelegenen Gebäude und Menschen (!) auch nur nennenswert zu beschädigen.
3. Bringen Sie Beweise dafür, dass „Schulen, Moscheen, Krankenhäuser etc. in Wirklichkeit militärische Stützpunkte der Hamas sind.“ Reine Behauptungen israelischer Völkermörder, die übrigens schon vielfach widerlegt wurden, sind aber kein Beweis und schon gar kein Fakt. Ist wenigstens das letztere unbestritten?
4. Ihre Behauptung, dass die Hamas keine Stützpunkte bauen darf, verstößt gegen internationales Recht. Werden Sie auch jammern, wenn der Iran eine Kaserne oder das Mossad-Hauptquartier treffen sollte, die sich in Israel neben Zivilgebäuden befinden? Und schwer bewaffnete Kibbuzim sind Horte der Friedlichkeit, nicht wahr?
5. Die „Bemühungen um Evakuierungen“ seitens Israels sind nichts wert, wie das seit Monaten offenkundigt beobachtet werden kann. Aber Sie rechtfertigen sicher auch noch die Massaker an den Evakuierten und die gezielten Schüsse in Kinderschädel, weil Sie sich das im Nachhinein mit Hamas-Mitgliedschaft schönreden.
6. Die Hamas tarnt sich nicht als Zivilisten, das können Sie unzähligen Stunden Videomaterial über die Kämpfe entnehmen. Nebenbei erwähnt: Auch ein verletzter Hamas-Kämpfer in einem Krankenhaus zählt nicht als Kombattant. Einen solchen zu töten, was Israel mehrmals getan hat, ist ein schweres Kriegsverbrechen, auf das lebenslange Freiheitsstrafe steht.
Außerdem sind Sie sicher auch so jemand, der an Vorgeschichts-Amnesie leidet. Selbst wenn man nur die israelischen Verbrechen an Palästinensern von Jahresbeginn 2023 bis zum 7. Oktober betrachtet, übersteigt das alles was der Hamas angedichtet wird. Schon mal was von Propaganda gehört, oder macht das auch immer nur Ihr Feindbild? Aber natürlich wissen Sie nichts von den tausenden palästinensischen Geiseln in israelischen Folterlagern, die ohne elementarsten Rechtsschutz dorthin verschleppt werden, auch Kinder. Und wenn Sie jetzt mit Ihrem infantilen Steinewurf-Argument kommen wollen, dann lesen Sie wenigstens zuvor die einschlägigen völkerrechtlichen Verträge über Besatzungsrecht, sowie die Stellen verbindlicher UN-Resolutionen, die den bewaffneten Kampf gegen den Aggressor legitimieren. Dann wird Ihnen auch klar werden, dass der Besatzer Israel seit Jahrzehnten Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes begeht, weil er eben nicht dazu legitimiert ist, eine wehrlose Bevölkerung zu knechten und abzuschlachten. Schließlich kann Ihnen dann auch klar werden, warum sich bewaffneter Widerstand bildet, wie auch immer er sich nennt.