Willkommen in „Apphausen“
»Etteln«, ein Ortsteil der Gemeinde Borchen in Nordrhein-Westfalen, ist im Rahmen der Internationalen Smart City-Konferenz der IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers), des Ingenieurverbandes für Elektrotechnik und Informatik, in Thailand Ende Oktober 2024 mit dem ersten Platz des Smart City-Wettbewerbs der IEEE ausgezeichnet worden. Ortsvorsteher Ahle erklärt: »„Die Transformation zum digitalsten Dorf in Deutschland hat vor 10 Jahren begonnen“. Zu den Gründen für die Auszeichnung gehört der flächendeckende Ausbau der digitalen Infrastruktur mit umfassendem Glasfaserausbau. Hervorgehoben wird auch, dass das Dorf, das in einem Hochwassergefahrengebiet liegt, mit Hilfe von Drohnen einen digitalen Zwilling des Dorfes erstellt, eine interaktive, webbasierte Kartenanwendung des Dorfes.
Die Gemeinde Borchen musste einen Großteil nicht selbst finanziell stemmen, sondern wurde unter anderem im Rahmen des Förderprogramms „Land.Funk“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) »unterstützt«. Davon wurden auch ein Elektro-Dorfauto und ein Elektro-Lastenrad angeschafft, mit dem Internet verbunden und für alle buchbar, sowie eine »digitale Informations-Stele« in der Dorfmitte mit einem interaktiven Berühr-Bildschirm errichtet. Bisher sind laut Bund der Steuerzahler Deutschland e. V. ca. 1,5 Millionen Euro an Fördermittel« in das Projekt geflossen, für etwa 1800 Einwohner wohlgemerkt.
Smart oder ressourcenschonend – beides geht nicht
Jedes Quäntchen mehr an Digitalisierung bringt einen höheren Ressourcenverbrauch mit sich. ChatGPT [Abfrage am 12.7.2025] antwortet, dass eine einzige (!) Google-Suchanfrage etwa 0,0003 kWh verbraucht. Genug, um eine kleine LED-Lampe 17 Stunden lang leuchten zu lassen. Bei einer Million Anfragen wären das 300 kWh. Zum Vergleich gibt ChatGPT aus, dass das genug Strom für einen durchschnittlichen Haushalt für 10-12 Tage bedeutet, alternativ 3750 Stunden Fernsehzeit, 210 Stunden Staubsaugen oder den Betrieb von 2 Kühlschränken für ein ganzes Jahr (»Verbrauch ca. 120 kWh pro Jahr«).
Eine Million Google-Anfragen hört sich zunächst viel an, wird aber schon erreicht, wenn einer von 80 Bundesbürgern eine Anfrage pro Tag macht. Und dabei sind die weiterführenden Klicks auf Webseiten dann noch gar nicht mitgerechnet. Selbst das „Daddeln“ auf dem Handy oder das Nichtlöschen von alten E-Mails verursachen Kosten, da jede einzelne E-Mail Speicherplatz auf den Servern braucht, die rund um die Uhr aktiv sind und gekühlt werden müssen. Diese Tatsache ist seit vielen Jahren bekannt. Aktuell weist die englische Regierung die Bürger sogar auf diese Zusammenhänge hin:
„Einfache, alltägliche Entscheidungen – wie das Zudrehen eines Wasserhahns oder das Löschen alter E-Mails – tragen ebenfalls sehr zu den gemeinsamen Bemühungen bei, den Wasserbedarf zu reduzieren und die Gesundheit unserer Flüsse und Wildtiere zu erhalten.“
»www.gov.uk«
Erneuerbare Energien reichen – ein Märchen?
Ein smartes Haus ist energieintensiv, von Nachhaltigkeit und Ressourchenschonung kann keine Rede sein. Insgesamt kann der zusätzliche Stromverbrauch für ein Smart Home zwischen 200 und 330 kWh pro Jahr liegen. Zum Beispiel verbraucht ein Amazon Echo Dot (4. Gen.) im »Standby-Modus« 16,60 kWh jährlich, eine Philips-Hue-Color-E14- oder -E27-Glühbirne 2,63 kWH. Bei aktivem Einsatz steigt der Verbrauch natürlich. Eine einzige smarte Steckdose verbraucht in ausgeschaltetem Zustand 8,76 kWh, ein smarter IKEA-Stecker Zigbee etwa 3,8 kWh. Auf die Menge der Haushalte gerechnet ist es ein gigantischer Zusatzbedarf an Energie, der für „smartes“ Leben produziert werden muss.
Wenn eine Stadt sich rühmt, energietechnisch „Selbstversorger“ zu sein und allen Strom aus Wind und Sonne zu generieren, ist das Augenwischerei und meist eine Milchmädchenrechnung. Den Irrsinn an Umweltzerstörung in eigenen Land und der Raubbau in fernen Ländern für den Bau von Windkraftanlagen, die krankmachenden PFAS, SF6, Infrarotbelastung für das Herz, den Plastikabrieb, die energieintensive Entsorgung mal außen vor gelassen, ist das kein flächendeckend probates Modell. Die ganzen Problematiken von Solarpaneelen sollen hier auch nicht thematisiert werden, zu der ein neuer Aspekt hinzukommt, hochgiftige Gase:
Wegen der enormen Hitze brennen in Südspanien an zahlreichen Orten Sonnenkollektoren, selbst die, die an Laternen befestigt sind.
— Maik Pittel (@maikpi70) August 18, 2025
Die Hitze lässt ein chemisches Element entstehen, das im Kontakt mit Lithium eine kleine Explosion auslöst. pic.twitter.com/83syRmQhqi
Selbst wenn das Laden des Dorf-E-Autos und ähnlicher Strombedarf in einer Gegend, in der der Wind ausreichend weht und die Sonne häufig genug scheint, noch vor Ort generiert werden kann, die „versteckten“ Zusatzkosten am Ort der Server deckt das nicht. Und die modernen Datenzentren für KI benötigen ein Vielfaches mehr an Strom als klassische Rechenzentren. Da konventionelle erneuerbare Quellen wie Wind oder Solar dafür viel zu unzuverlässig sind, greifen Google & Co. auf Kernkraftwerke zurück.
Google schloss im Oktober 2024 ein »Geschäft mit Kairos Power« über die Lieferung von Kernkraftwerken der neuen Generation (SMRs, Small Modular Reactors) ab und gab bekannt, dass das erste Kraftwerk bis 2030 ans Netz gehen, weitere bis 2035 folgen sollen. Im Mai 2025 kündigte Google den Bau von »drei weiteren Atomstandorten« an. Auch Amazon kündigte 2024 drei große Atomabkommen an und setzt in großem Umfang auf Kernenergie, um dem steigenden Strombedarf der Rechenzentren gerecht zu werden. Die Bedenken gegenüber der Atomkraft – Sicherheit, Umweltbelastung und Gesundheitsrisiken durch Uranabbau und Urananreicherung (Mining und Enrichment) – bleiben trotz modernerer Anlagen bestehen.
Der tägliche Klick-Marathon, der tägliche App-Exzess
Die Zahl von 300 kWh ergibt sich aus einer Million Anfragen im Internet. Aber wie viele Bürger kommen auf mehr als eine Anfrage oder eine App-Nutzung pro Tag? Jedes Aufrufen einer App gibt ChatGPT mit denselben durchschnittlichen Kosten an. Für jede Lichtveränderung einer smarten Lampe, die ich digital steuere, verursache ich diese Stromkosten, auch mit jedem Banking-App-Aufruf, jeder WhatsApp-Nutzung usw. Etliche dieser Kosten wären vermeidbar wie die Nutzung z. B. der McDonald´s-App, während man schon vor Ort ist oder die Nutzung von Apps in Supermärkten oder Kaufhäusern, das mehrfache Vorzeigen eines digitalen Bahntickets bei längeren Reisen statt eines einmaligen Ausdruckes. Die Liste der zusätzlich verursachten Stromkosten und dem damit verbundenen, immer wieder ins Feld geführten CO2-Ausstoß – so sinnvoll oder sinnlos diese Kategorie auch sein mag – durch digitale Alternativen ist lang. Natürlich war analog „gestern“, kaum jemand wird dafür plädieren, das Internet gar nicht mehr zu nutzen, doch ein bewussterer Umgang ist möglich. Besonders ins argumentative Abseits stellen sich Aktivisten, die nicht nur mit der Hand auf der Straße, sondern 24/7 am Handy kleben. Ebenso Weltführer, die für eine Weltklimakonferenz eine kilometerlange Abholzung des Amazonaswaldes vornehmen, Politiker, die im Namen des Klimaschutzes intakte Märchenwälder zerstören, oder reiche „Langstreckenladies“, die in der Welt herumjetten, um allen anderen, die sich kaum einen Jahresurlaub leisten können, zu erzählen, sie sollen klimaneutraler leben.
Smart Cities – ein schöngeredetes System der Kontrolle
In Deutschland haben sich die ersten 50 Kommunen dem Smart-City-Diktat verschrieben. Das Konzept „bee smart city“ wirbt mit dem Slogan: »„Den Menschen in den Mittelpunkt stellen.“«. Hört sich gut an, dahinter verbirgt sich aber der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz, das lockende Stück Käse, mit dem man Mäuse in die Falle lockt. Hört sich doch gut an, der Mensch im Mittelpunkt. Möchten Sie sich zeitlebens im Mittelpunkt eines 15-Minuten-Gebietes aufhalten? Was das heißt, kann sich jeder schnell bildlich vorstellen: Streichen Sie alle Geschäfte, Aktivitäten und Freunde von Ihrer Liste, die weiter als 15 Minuten entfernt wohnen, und sie sehen, wie gut Ihnen dieser Lebensradius gefällt, selbst wenn Sie königsgleich im Mittelpunkt stehen würden. Dass es in diese Richtung geht, wird dezent versteckt immer mehr in die Diskussion gebracht. Die Stadt Landshut beispielsweise fährt eine große Kampagne, »„Entdecke Deine 15-Minuten-Stadt““«, „Gönn Dir … 15 Minuten Feierabend-Runde … und ab in den Supermarkt ums Eck!“. Zwei Warnzeichen sind versteckt: Zum einen wird „mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß“ als Maßstab angelegt. Nochmal eine Stunde abends an den See fahren oder zum Spazierengehen? Freunde im Nachbardorf besuchen? Nicht vorgesehen. Zum anderen sollen Ziele wie „Arbeitsplatz, Kinderbetreuungseinrichtung, Einkaufsmöglichkeiten, Arztpraxen oder Freizeitangebote innerhalb einer Viertelstunde zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein.“ Ihr Lieblingsfriseur in einer anderen Stadt? Das können sie jetzt vergessen. Das schöne Restaurant, wo sie sich mit Freunden treffen? Dort nicht mehr. Der jährliche Ausflug mit alten Freunden zur Berghütte? Nicht mehr für normale Bürger! Schlimmer noch: der Arbeitsplatz, die Arztpraxis? Soll jeder Bürger also in die Nähe des Arbeitsplatzes ziehen, sich einen Partner suchen, für den das dort auch möglich ist, und mit dem Arzt vorliebnehmen, der gerade vor Ort ist, egal, ob man zu diesem ein vertrautes Patientenverhältnis aufbauen kann? Das Ganze wird mit „Gönn Dir“ beworben, welch Hohn!
Jeder freie Mensch wird sich in so einer Situation wie in einer Massentierhaltung fühlen, egal, mit welchen Worten das schöngeredet werden soll. Die Europaabgeordnete Christine Anderson nennt die 15-Minuten-Städte »„ghetto“«, der Journalist Tom-Oliver Regenauer nennt sie »„Freiluftgefängnis“«. WEF-Vordenker Yuval Harari nennt die Bürger schon lange »„nutzlose Menschen“ (useless people), die „meaningless, worthless“ seien«, für die ihm als Beschäftigungstherapie Drogen und Computerspiele einfallen. Diese Geisteshaltung ist die Verachtung, die elitäre Menschen und Vereine freien Bürgern entgegenbringen, die sie nur mehr als dienende Verwaltungsmasse betrachten.
"They're running out of time because more people are waking up."
— Wide Awake Media (@wideawake_media) January 26, 2025
German MEP Christine Anderson: The rushed agenda to roll out 15 minute cities, digital ID and CBDCs is a desperate attempt to "erect a totalitarian surveillance state" before too many people wake up.
"What they… pic.twitter.com/rWO27UiavE
Etteln & Co. als willige Erfüllungsgehilfen?
Freiheitsliebende Menschen, die sich nicht mit verlockenden Fassaden ködern lassen, sondern auch das böse Ende klar erkennen, stellen sich gegen diese Pläne, die weltweit vorangetrieben werden. Oxford kam durch „No Zoning [keine Einteilung in 6 Sektoren]“-Proteste ins Gespräch, die den Bürgern unter dem Mantel, Gutes für das Klima zu tun, Restriktionen erteilen:
„Wenn ein Fahrzeug zu bestimmten Tageszeiten den Filter passiert, liest die Kamera das Nummernschild und (wenn Sie keine Ausnahmegenehmigung oder eine Aufenthaltserlaubnis haben) erhalten Sie per Post eine Geldstrafe. (…) Einwohner von Oxford (und Bewohner einiger umliegender Dörfer) können eine Genehmigung beantragen, an bis zu 100 Tagen im Jahr durch die Filter zu fahren. Einwohner, die im Rest von Oxfordshire leben, können eine Genehmigung beantragen, bis zu 25 Tage im Jahr durch den Filter zu fahren.“
»Oxfordshire County Council«
Faktenchecker versuchen, den Fokus abzulenken mit dem Argument, dass Bürger den Sektor auch außerhalb der 100 Genehmigungen pro Jahr mit dem Auto verlassen dürfen, dann aber ganz außen um die Stadt herumfahren und durch ein Zugangstor in einen anderen Stadtsektor fahren müssen, auch wenn der Übergang von Sektor zu Sektor nur wenige Hundert Yards beträgt. Mit Umwelt lässt sich das nicht rechtfertigen, wenn der tägliche Weg zur Arbeit nach 100 Arbeitstagen riesige Umwege bedeutet. Aber das geht auch am Kern der Sache vorbei, denn alleine die Tatsache, dass den Bürgern solche Vorschriften überhaupt gemacht werden, egal wie „moderat“ die Einschränkungen sind, ist der Skandal. Die Fesseln sind der Angriff auf die Freiheit, und wenn sie noch so samtig und locker daherkommen.
I spoke with the @bbc today at the Oxford protest against 15 minute cities (let’s see how they edit the interview…). People are fed up with being told where they can and can’t go. None of this is about the climate or pollution. It’s about power and control. #Resist https://t.co/MrAy7b69XO
— Laurence Fox (@LozzaFox) February 18, 2023
Blind vor Stolz auf dem Weg in die digitale „App-hängigkeit“?
Die ausgebaute digitale Vernetzung, für die Etteln gewürdigt wird, mag manchen fortschrittlich erscheinen, andere sehen das nicht so euphorisch. Hinter der schönen Fassade erkennen Kritiker die Einschränkung und Aushöhlung bürgerlicher Freiheiten. Auch wenn die Abhängigkeit, oder zumindest das Angewiesensein auf funktionierende Apps, noch nicht jeden Lebensbereich des Dorfes durchdrungen hat, so ist die Marschrichtung klar hin zu immer größerer digitaler Steuerung und Kontrolle aller Lebensbereiche. Die Stadt selbst wirbt damit, dass sogar die Befüllung des Altkleidercontainers digital überwacht wird und:
In der Tat gibt es wohl kaum eine andere kleine Gemeinde weltweit, bei der alles so durch und durch digitalisiert ist und die Glasfaser, laut eines eigenen Werbeslogans, „bis zur letzten Milchkanne“ läuft.
»Dr. Joerg Hensiek / Haufe«
Wo soll die Kontrolle aufhören, wenn sie sich einmal einschleicht? Dass etwas, das digital registriert und überwacht wird, dann auch kontrolliert wird, ist die bekannte Konsequenz. Dann wird schnell nicht mehr nur registriert, dass ich sehr ausgiebig dusche, sondern vorgeschrieben, wie oft ich das künftig „zum Wohle der Gemeinschaft“ noch darf. Dann wird nicht mehr vermerkt, wie oft ich Fleisch kaufe, sondern bei zu häufigem Verzehr wird mit erhöhten Krankenkassengebühren o. ä. gedroht. Du bist in diesem Jahr schon einmal geflogen? Schäm dich, ab jetzt Lastenfahrrad!
Wo es Kontrolle gibt, gibt es auch die, die Kontrolle ausüben, und das meist mit grandios heuchlerischer Doppelmoral: „Tu, was ich sage, nicht was ich tue.“ Regeln gelten nur für Kontrollierte, das Verhalten, das ich anderen aufoktroyiere, lebe ich nicht vor. An unsere Regeln müssen sich alle halten – wir ausgenommen.
Naivlinge behaupten gerne: „Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Das bricht aber schnell in sich zusammen, wenn man dann bittet: „Dann zeig mal deinen Browserverlauf und deine letzten Chats“, „Und dass durch WiFi-Sensing wer auch immer quasi „durch die Wand“ aufdecken kann, mit wem Du wie und wie oft Sex hast, stört dich nicht?“ Was sie meinen, ist, dass sie keine „Verbrechen“ zu verbergen haben, aber ihre Privatsphäre möchten sie doch lieber privat lassen. Dieselbe Sachlage finden wir bei der Elektronischen Patientenakte (ePA), wo den meisten auch nicht klar ist, wer alles Zugriff auf privateste Daten hat und die dann doch lieber widersprechen. Und davon auszugehen, dass es keine Hackerangriffe und Leaks gibt, wäre mehr als naiv.
Von App-Junkies zu App-Sklaven?
Wie leicht tausche ich meine Freiheit gegen ein wenig mehr an Komfort ein? Will ich die Selbstbestimmung über meine Lebensführung „app“-geben? Es ist ein schmaler Grat dazwischen, dass ich mich noch freiwillig in die App-hängigkeit ergebe und dass ich kaum noch fähig bin, ohne die Krücke von Apps den Tag zu gestalten. Thomas Oysmüller beschreibt den Rückgang und Zerfall geistiger Fähigkeiten durch Smartphones als »Zombifizierung«.
Der Tag startet mit einem Blick auf meine smarte Kommandozentrale, damit ich mir die “Befehle“ für den Tag abhole: Wann muss ich wo sein, welchen Weg nehme ich? Wen soll ich anrufen? Wenn auch mein Gehirn immer weiter verkümmert, weil es – als Muskel, der es ist – nicht mehr benutzt wird, bin ich irgendwann nicht mehr in der Lage, ohne Navi vom Büro nach Hause zu finden, einzukaufen, ohne die App zu befragen, was ich kaufen soll, oder mir ohne einen Standortpin zu merken, wo ich auf einem großen Parkplatz mein Auto abgestellt habe. Lang- und Kurzzeitgedächtnis verkümmern. Die Kontrolle über das Leben abgegeben ans Endgerät: was als angenehme Gewohnheit begann, ist zur Fessel geworden. Der Mensch wird der Handlanger eines smarten Kästchens, die Nebenrolle in seinem eigenen Leben. Horrorszenario: kein Netz, Akku leer, technischer Ausfall. Manche haben weniger Angst davor, nicht mehr selbst über Aufenthaltsort, medizinische Behandlungsfreiheit oder Kaufentscheidungen entscheiden zu können, als davor, dass das Smartphone versagt (Nomophobie, engl.: no mobile phone phobia, die „Kein-Mobiltelefon-Angststörung“). Bin ich nur süchtig nach dem Smartphone und flimmerndem Input oder schon in dem Stadium, dass ich mich ohne nicht mehr zurechtfinde und unselbständig geworden bin? Ein Gefangener der Apps, hilflos ohne sie, Kompetenzen wie den Orientierungssinn, richtige Orthographie und Sinnhaftigkeit im Leben Finden ausgelagert und verkümmert?
Effizienz statt Erfüllung – Gleichgültigkeit statt Glück?
Was bei digital durchstrukturiertem Leben fehlt, ist ein echtes Glücksempfinden. Wenn mir „Herrchen“ Smartphone den Tagesablauf vorgibt, alles vorgeplant ist und nur „abgehakt“ werden muss, ist das zwar effizient, aber nicht erfüllend. Es führt nicht nur dazu, dass die eigenen Kompetenzen mehr und mehr zurückgehen, sondern dass der Mensch in dem, was ihn ausmacht, verkümmert. Der Tagesablauf mag zwar optimal geplant, ohne Pannen und perfekt getimt ablaufen, das Übermaß an Struktur lässt aber keinen Raum für Spontaneität und Lebensfreude. Stress entsteht dadurch, dass man zwar Ziele und Vorgaben erfüllt, dass die nächsten aber schon aufgelistet sind und das Hamsterrad sich immer weiterdreht. Diese Fremdbestimmtheit führt auf Dauer zu einer latenten Unzufriedenheit. Einfach mal innehalten und den Moment genießen? Spontan alle Pläne ändern? Big Brother runzelt die digitalen Augenbrauen und sitzt mir im Nacken. Wenn das Leben nur noch aus dem Abhaken der digitalen To-do-Liste besteht, stellt sich eine innere Leere ein. Glückliche Momente kann man nicht per App einplanen. Sie entstehen spontan, durch plötzliche Inspiration und unerwartete Begegnungen und Ereignisse. Im „sinnlosen“ Genießen des Augenblicks, in Interaktion mit Mitmenschen, egal, ob diese 15 Minuten oder eine stundenlange Autofahrt von mir entfernt leben. Wo kein Platz für Spontaneität ist, ist auch kein Platz für Fehlentscheidungen, dumme Ideen oder kleine Missgeschicke, aus denen wir lernen und stärker hervorgehen.
Was sind unsere glücklichsten Erinnerungen? Die an Tage, an denen ich alles nach Zeitplan erfüllt habe, den 15-Minuten-Radius eingehalten habe? Wie gerne erinnere ich mich daran zurück, dass ich alle Termine perfekt eingehalten habe! Was für ein schöner Tag, an dem die App mich rechtzeitig daran erinnerte, dass ich noch Milch kaufen muss und ich nicht mein Müsli mit Wasser essen musste! Weißt Du noch, wie schön es war, dass wir wegen der Wetterwarnung der App perfekt auf den Regen vorbereitet waren?
Oder sind es doch die Reisen, die Treffen mit guten Freunden, die Ausflüge, die Unternehmungen? Sogar Missgeschicke können positive Wirkungen und Erinnerungen auslösen. Der Ausflug, an dem der Regenschauer alle erwischt hat und man fluchend und tropfnass nach Hause kam? Auch das hat man überlebt und was bleibt, ist der Gedanke, dass man es gemeinsam überstanden hat, und die Freude, dass so etwas nur selten passiert. Wer das Gewitter nicht erlebt hat, kann den ruhigen Himmel nicht schätzen. Ohne Misserfolge kann ich die Erfolge nicht schätzen. Ohne Hunger erlebt zu haben, kann ich es nicht schätzen, genug zu essen zu haben.
Solange die Menschen frei leben und entscheiden können, besteht die Chance auf ein fröhliches Miteinander, das Auslebenkönnen der Individualität und ein glückerfülltes Leben für alle. Wenn das Leben beschränkt, eingesperrt und kontrolliert wird – sei es, dass die Menschen sich freiwillig oder durch Zwang in die digitalen „Käfige“ begeben –, hört man nur noch die Push-Benachrichtigung, die Seele aber bleibt stumm.