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Privatstadt Telosa
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KI-generiert

Brave New Private I: Wenn Oligarchen unsere Zukunft bauen – Paradiesische Utopie oder neofeudale Falle?

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Milliardäre bauen Privatstädte: Paradies oder neue Herrschaft? Wie Oligarchen unsere Zukunft gestalten – und was uns in der schönen neuen Privatwelt erwartet.
Zusammengefasst

Von smarten Hightech-Utopien, die uns eine bessere Welt versprechen, über den schleichenden Rückzug demokratischer Institutionen bis hin zur Entstehung privater Herrschaftsformen: Mit der Serie „Brave New Private“ schauen wir uns an, was passiert, wenn Milliardäre und Konzerne die Kontrolle über unsere Lebensräume übernehmen.

In diesem Teil wird Telosa vorgestellt – geplant als die perfekte Privatstadt, geschaffen von Tech-Visionär Marc Lore, die Chancengleichheit und Nachhaltigkeit verspricht, dabei aber grundlegende Fragen nach demokratischer Legitimität und realen Machtverhältnissen aufwirft. Der Artikel Brave New Private II wird dann tiefer in das gesellschaftspolitische Experiment der Privatstädte eintauchen und der Artikel Brave New Private III wird den Blick auf mögliche Reaktionen und Folgen für die Gesellschaft und die Frage nach dem Erhalt der Freiheit richten. 

Telosa: Die Verheißung der perfekten Stadt

Wüstenhitze flimmert über futuristischen Wolkenkratzern, grüne Parks sprenkeln die Sandebene – mitten im Nirgendwo erhebt sich »Telosa, die Stadt der Zukunft«. Frisches Wasser wird vor Ort recycelt, Autos fahren autonom und emissionsfrei, alle wichtigen Ziele liegen im Umkreis von 15 Minuten. Die Vision klingt paradiesisch: Man werde „die nachhaltigste und resilienteste Stadt“ bauen, ein Modell für zukünftiges Leben, „offen, fair und inklusiv“ – kurz: „die offenste, fairste und inklusivste Stadt der Welt“. »Telosa soll« „so sozial und umweltfreundlich wie eine skandinavische und so frei und voller Möglichkeiten wie eine US-amerikanische Stadt“ sein. Niemand werde zurückgelassen; Gemeinschaft und Chancengleichheit stehen im Zentrum dieser neuen Metropole.

Equitism: Soziale Gerechtigkeit auf “Privatwirtschaftlich“?

»Hinter der Idee« steckt der Tech-Milliardär Marc Lore. Der frühere Walmart-Manager will über 400 Milliarden Dollar aufwenden, um auf 80 000 Hektar Wüstenland eine Stadt aus dem Nichts zu stampfen. Warum? Weil bestehende Städte seiner Ansicht nach in alten Strukturen feststecken. Eine neue Stadt biete einen „Blank Canvas“, einen leeren Zeichenblock, um alles besser zu machen. Mit Telosa, benannt nach dem griechischen Wort für „Ziel“ (telos), soll ein neues Gesellschaftsmodell erprobt werden: Equitism nennt Lore sein Wirtschafts- und Sozialkonzept. Das Land gehört anfangs vollständig einer gemeinnützigen Stiftung; steigende Bodenwerte fließen zurück in öffentliche Dienste wie Bildung, Gesundheit, Wohnen. Alle Bürger sollen am Wohlstand der Stadt beteiligt werden – „inclusive growth“, wie es im Telosa-Jargon heißt. Private Grundeigentümer wird es angeblich keine geben. Stattdessen investiere die Stiftung Pachteinnahmen in soziale Angebote. Gleichzeitig verspricht man maximale Mitbestimmung: Die Bewohner sollen »direkten Einfluss« auf politische Entscheidungen haben. Telosa präsentiert sich als Gemeinwesen 2.0, entworfen am Reißbrett: transparent, nachhaltig, sozial gerecht.

Wenn Visionen Realität versprechen

Bemerkenswert ist, wie offensiv das Projekt dem Utopie-Verdacht begegnet. Gleich auf »der FAQ-Seite« stellt man die Frage: „Is the goal to create a utopia? (Ist es das Ziel, eine Utopie zu schaffen?)“, um sie vehement zu verneinen. Keinesfalls wolle man einen perfekten Idealstaat erschaffen – man sei „fest in der Realität verankert“, wisse, dass keine Lösung perfekt ist, und setze auf ständige Verbesserung. Die Botschaft: Telosa ist Vision ohne Größenwahn, Fortschritt ohne Realitätsverlust. Doch während die PR-Abteilung das Wort Utopie scheut, bedienen die Versprechen genau diese Vorstellung: Telosa als irdisches Paradies, als heile Stadtwelt mit High-Tech-Anstrich. Eine PR-Formulierung sticht besonders hervor: This city is being built for everyone. This is not a private city. (Diese Stadt wird für alle gebaut. Sie ist keine Privatstadt.)“ Telosa für alle, kein exklusiver Club – so das hehre Versprechen. Aber kann eine von privaten Investoren finanzierte und geführte Stadt wirklich „für alle“ sein?

Privatstadt oder Gemeinwesen: Der Realitätstest

Genau hier beginnt der Realitätstest. Telosa mag in bunten Animationen wie ein demokratisches Utopia erscheinen – doch es ist eine Stadtgründung in Privatregie. Allein die Tatsache, dass ein Einzelinvestor die Richtung vorgibt, verschiebt die Machtverhältnisse. Was früher Aufgabe gewählter Kommunalpolitiker und Stadtplaner war, übernimmt ein Unternehmer in Eigenregie. Telosa ist Teil eines größeren Trends: Die öffentliche Hand zieht sich zurück, das Kapital übernimmt. Immer öfter bauen Superreiche an ihren eigenen „Gemeinwesen“ – sei es bewusst als Stadt geplant wie Telosa oder eher zweckgebunden wie Elon Musks Firmencamp in Texas. In der Tat erleben wir, wie prominente Unternehmer zunehmend die Schalthebel der Macht bedienen. Westliche Oligarchen setzen sich selbst an die Stelle der staatlichen Macht. Der »klassische Berufspolitiker als Vermittler« zwischen Volk und Wirtschaft wird obsolet – stattdessen gestalten Tech-Milliardäre Politik und Gesellschaft direkt nach ihren Interessen. Demokratie wird zur Zuschauerkulisse, während privat finanzierte Projekte Fakten schaffen. Die vermeintlichen Heilsbringer inszenieren sich als bessere Staatslenker: Unternehmer, die nicht nur Firmen führen, sondern den Staat als Werkzeug ihrer globalen Ambitionen nutzen – natürlich zum Wohle aller Menschen.

Von Berufspolitikern zu Unternehmer-Oligarchen

Telosa fügt sich nahtlos in diese Erzählung ein. Ein Milliardär, enttäuscht vom „Versagen“ der bestehenden Systeme, will es selbst richten – zum Wohle aller, versteht sich. Marc Lore reiht sich damit in die Riege der Visionäre à la Gates, Musk oder Branson ein, die längst als Retter in der Not stilisiert werden. Doch was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn Innovation und Daseinsvorsorge in die Hände Einzelner übergehen? Demokratische Kontrolle – ob über Stadtbudgets, Stadtplanung oder Gesetze – droht zur Formsache zu verkommen, wenn die entscheidenden Weichen von privaten Akteuren gestellt werden. Es findet eine fortschreitende Privatisierung staatlicher Aufgaben statt, die zur Abschaffung restdemokratischer Beteiligung führt und den Staat zum bloßen Durchführungsorgan wirtschaftlicher Interessen degradiert. In Telosa soll zwar eines Tages eine lokale Demokratie stattfinden – doch die Spielregeln dieser Demokratie schreibt die Telosa-Stiftung. Die Bürger dürfen mitreden, aber der Rahmen dessen, worüber sie überhaupt entscheiden können, wird vorab von Lore und seinem Team definiert. Mit anderen Worten: neue Regeln, alte Machtfrage.

Diversität nach Drehbuch: Wer gehört wirklich dazu?

Hinzu kommt die Frage, wer in diesen Genuss der schönen neuen Stadtwelt kommt. »Telosa behauptet, „für alle“« da zu sein, doch der Start ist alles andere als offen zugänglich. Zunächst will Lore 50.000 handverlesene „Pioniere“ aufnehmen – Menschen mit „möglichst vielfältigen“ Hintergründen, soweit der PR-Plan. Diversität nach Drehbuch, könnte man spotten: eine Community aus Auserwählten, die das Experiment Telosa tragen. Wer auswählt, entscheidet auch, wer nicht dabei ist. Es ist absehbar, dass vor allem gut ausgebildete, unternehmerische, flexible Menschen angezogen werden – die Crème de la Crème der „Macher“, die bereit sind, ins Wüstenabenteuer aufzubrechen. Soziale Randgruppen, Arme, Kranke? Sie kommen in der Hochglanz-Broschüre nicht vor. Schon frühere Planstädte kämpften mit sozialer Selektion: »Masdar City in Abu Dhabi« etwa blieb eine Geisterstadt, weil kaum jemand außer einigen Spezialisten dort leben wollte. Telosa könnte ein ähnliches Schicksal drohen – oder aber es entwickelt sich zu einer blühenden, aber homogenen Blase, in der die weniger Produktiven keinen Platz haben. SozialeAusschlüsse wären die unausweichliche Kehrseite der schönen neuen Welt.

Snailbrook: Private Stadt, private Spielregeln

Ein Blick auf Elon Musks aktuelles Projekt in Texas zeigt, wie exklusiv solche Privatstädte faktisch sein können. Der Tesla-Gründer kauft derzeit »Tausende Hektar Land« nahe der Stadt Austin, um seine eigene Siedlung, „Snailbrook“,  für Mitarbeiter zu errichten. Die Beschäftigten sollen dort günstig wohnen – allerdings nur, solange sie für Musk arbeiten. Wer den Job verliert, verliert auch das Zuhause. Verlässt jemand das Unternehmen (oder wird gefeuert), muss er oder sie das Haus »innerhalb von 30 Tagen räumen«. Das moderne Unternehmen als Vermieter und Gesetzgeber – eine Neuauflage der alten Konzern-Stadt. In Snailbrook, was wie Jailbrook klingt, entscheidet nicht ein Stadtrat über Mietpreise oder Kündigungsschutz, sondern der Firmenboss. Und offensichtlich ist Snailbrook keine Stadt „für alle“, sondern für die “Nützlichen“. Musk illustriert überspitzt, was auch Telosa implizit bedeutet: Zugehörigkeit auf Probe, Gemeinschaft nur für die Leistungsfähigen und Angepassten. Telosa gibt sich inklusiver, spricht von Gemeinsinn und will „niemanden zurücklassen“, doch wer wirklich Teilhabe hat, wird auch dort letztlich vom Betreiber abhängen. Private Stadt, private Spielregeln.

Neo-Feudalismus im modernen Gewand

Telosa verkörpert damit ein Paradox unserer Zeit: Die Zukunft der Stadt soll besser, grüner, gerechter werden – aber ausgerechnet, indem man sie privatisiert. Unten blinkt die Fata Morgana einer perfekten Community am Horizont, oben zieht ein Milliardär die Fäden. Das Projekt vereint hightech-urbanen Fortschrittstraum mit einem Gesellschaftsbild, das an Neo-Feudalismus erinnert: Der „wohlwollende“ Patron verteilt Land und Privilegien, setzt Regeln fest, verspricht Wohltaten – und behält die endgültige Kontrolle. 

Die Sprache ist modern und „woke“ – open, fair, inclusive –, doch sie kaschiert einen Machtanspruch, der so alt ist wie die Geschichte der Stadt selbst.  Bereits im antiken Mesopotamien wurden Städte von Königen gegründet, die Tempel und Kornspeicher bauten und den Untertanen Schutz wie Versorgung versprachen. Telosa knüpft an diese Tradition an, nur dass der König sich heute als gemeinnütziger Visionär geriert.

Wer entscheidet über unsere Zukunft?

Was bedeutet es also, wenn Visionäre wie Lore oder Musk eigene Städte bauen? Ist Telosa eine notwendige Innovationsinsel, um festgefahrene Systeme aufzubrechen – oder ein gefährlicher Präzedenzfall, der demokratische Prozesse umgeht und die Stadt der Zukunft Oligarchen überlässt? Der glänzende Slogan vom „City of the Future“ bekommt in diesem Licht Risse. Die perfekte, nachhaltige, gerechte Stadt – erkauft durch einen Machtwechsel hinter den Kulissen? Telosa ist Ausgangspunkt einer Debatte, die weit über dieses eine Projekt hinausgeht. Wenn Privatstädte wie Telosa Schule machen, steht mehr auf dem Spiel als ein urbanes Experiment. Dann geht es um die Frage, wer im 21. Jahrhundert das Sagen haben wird, wenn es um unsere Lebensräume geht: demokratisch gewählte Vertreter – oder doch Milliardäre, die meinen, es besser zu wissen. 

Doch während wir fasziniert oder erschrocken auf Telosa blicken, zeichnet sich längst eine tiefere Transformation ab: Die Privatstadt ist nur der sichtbare Teil einer Entwicklung, bei der private Konzerne und mächtige Oligarchen staatliche Funktionen übernehmen – in einem System, das bereits heute nur noch die Simulation einer Demokratie bietet. 

Im Artikel Brave New Private II werden wir uns genau dieser Entwicklung widmen: Was geschieht, wenn die gelenkte westliche Wert-Demokratie endgültig in die offene Herrschaft der Konzerne und ihrer Eigentümer übergeht?

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Dejan Lazić

Dejan Lazić ist Jurist und Sozialökonom. Gründungsmitglied des BSW. Als Autor schreibt er über Macht, Moral und Manipulation – und der Rolle von Parteien, "Medien" und Konzernen in einer gelenkten Demokratie.

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