Erstveröffentlichung tkp: Dejan Lazić
„Der Staat bin ich!“ versus „Der Staat ist unser!“ – Ein Plädoyer für Bürgertribunale zur Aufarbeitung des Corona-Unrechts
Die Frage, ob der Staat der Regierung gehört oder den Bürgern, ist in Zeiten wachsender politischer Spannungen und gesellschaftlicher Spaltung von zentraler Bedeutung. Der Verfasser hat die Notwendigkeit, das Corona-Unrecht durch Bürgertribunale aufzuarbeiten, thematisiert.
Doch diese Forderung birgt Risiken: Sie könnte als „Delegitimierung des Staates“ betrachtet werden, wodurch Kritiker schnell diffamiert und kriminalisiert werden. Die aktuelle Entwicklung zeigt, wie westliche Regierungen zunehmend jede Form von Kritik unterdrücken und sich selbst mit dem Staat gleichsetzen, was im Widerspruch zu ihren eigenen demokratischen Grundprinzipien steht. Damit delegitimieren sie sich faktisch selbst.
In diesem tkp Artikel habe ich die Notwendigkeit betont, das Corona-Massnahmen-Unrecht durch Bürgertribunale aufzuarbeiten. Diese Idee entstand aus dem klaren Versagen von Justiz und Politik, das Unrecht als solches zu erkennen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen werden die Opfer und Kritiker verurteilt und kriminalisiert. Viele Leser haben mich daraufhin gefragt, was genau ich mir unter solchen Bürgertribunalen vorstelle. Gleichzeitig wurde auch Kritik laut: Die Forderung nach Bürgertribunalen, so warnen einige, könnte vom Inlandsgeheimdienst, dem sogenannten Verfassungsschutz, als „Delegitimierung des Staates“ eingestuft werden. Die Sorge ist berechtigt, dass solche Forderungen dazu führen könnten, dass man als Rechter oder sogar als Reichsbürger diffamiert wird.
Bevor ich in einem späteren Artikel detaillierte Vorschläge zur Ausgestaltung von Bürgertribunalen machen werde, ist es wichtig, zunächst diese realen Gefahren zu beleuchten. Denn es zeigt sich immer deutlicher, dass Kritik an der Regierung, selbst wenn sie auf der Grundlage demokratischer Prinzipien und Grundrechte erfolgt, schnell als Bedrohung dargestellt werden kann. Dies wirft grundlegende Fragen auf: Wie weit darf der Staat gehen, um sich gegen Kritik zu schützen, und wann wird diese Schutzfunktion selbst zur Gefahr für die Demokratie? Die jüngste Entwicklung zeigt, dass hier eine gefährliche Gleichsetzung von Staat und Regierung erfolgt, die die im Grundgesetz verankerten Abwehrrechte der Bürger untergräbt.
Die gefährliche Gleichsetzung von Staat und Regierung
Die berühmte Aussage „L’État, c’est moi!“ („Der Staat bin ich!“) wird Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, zugeschrieben und verkörpert das absolute Verständnis von Herrschaft, bei dem der Monarch seine Macht direkt mit dem Staat gleichsetzt. Diese Vorstellung von ungeteilter Macht führte letztlich zu einem System, in dem jegliche Kritik als Bedrohung für die Staatsordnung galt. Im Gegensatz dazu stand das Ideal der Französischen Revolution: „Der Staat ist unser!“ Hier wurde das Prinzip verankert, dass der Staat nicht einer Regierung oder einer Person gehört, sondern allen Bürgern gemeinsam. Dieses revolutionäre Verständnis bildete die Grundlage für moderne Demokratien, in denen die Macht von der Bevölkerung ausgeht und Regierungen nur auf Zeit legitimiert sind.
Doch in Deutschland und vielen anderen realexistierenden Demokratien erleben wir zunehmend eine gefährliche Rückkehr zu einer Denkweise, die dem Sonnenkönig näher steht als den Idealen der Französischen Revolution. Die Regierung beginnt, sich selbst mit dem Staat zu identifizieren und jede Form von Kritik als „Delegitimierung des Staates“ zu brandmarken. Diese Gleichsetzung untergräbt die fundamentalen Abwehrrechte, die das Grundgesetz jedem Bürger garantiert – das Recht, die Regierung zu hinterfragen, zu kritisieren und zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Regierung ist eine temporäre Institution, die durch Wahlen legitimiert wird und deren Macht durch das Grundgesetz begrenzt ist. Sie ist nicht der Staat selbst, sondern ein Teil davon, der vom Volk gewählt und jederzeit abwählbar ist. Der Staat hingegen ist die Gesamtheit seiner Institutionen und Bürger, ein dauerhaftes Konstrukt, das unabhängig von der jeweiligen Regierung besteht.
Wenn die Regierung beginnt, sich selbst mit dem Staat gleichzusetzen, versucht sie, sich jeder Form von Kritik zu entziehen, indem sie diese als Angriff auf den Staat darstellt. Diese Gleichsetzung ist gefährlich und verfassungswidrig, weil sie die notwendige Trennung zwischen der Regierung als einer wechselbaren Führung und dem Staat als dauerhafter Struktur verwischt. Eine Regierung, die sich mit dem Staat identifiziert, neigt dazu, sich über die verfassungsmäßigen Kontrollen hinwegzusetzen. So werden Regierungskritiker schnell zu Staatsfeinden erklärt, um jede Form von Opposition zu unterdrücken und legitime Kritik an den Machtstrukturen zu delegitimieren.
Gewaltenteilung: Idee und Wirklichkeit
Das Grundgesetz, das die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland bildet, ist mehr als nur ein juristisches Dokument.
Das Grundgesetz ist ein Bollwerk gegen die Konzentration von Macht und die Gefahr des Machtmissbrauchs durch den Staat zu verstehen. Es postuliert eine klare Trennung zwischen den Staatsorganen – Legislative, Exekutive und Judikative – und sorgt dafür, dass diese sich gegenseitig kontrollieren und ausbalancieren. Dieses Prinzip der Gewaltenteilung soll verhindern, dass die Regierung sich selbst über das Gesetz stellt.
Doch in der Realität gibt es in Deutschland keine wirkliche Gewaltenteilung. Die Unabhängigkeit der Justiz ist nicht gegeben, da diese von der Exekutive und damit indirekt von der Regierung beeinflusst wird. Auch die Legislative ist nicht vollkommen unabhängig, da ihre Arbeit durch die Mehrheitsverhältnisse und die damit verbundene Regierungskoalition dominiert wird. Dadurch findet keine effektive Kontrolle und Balance der Gewalten statt, und die Regierung kann ihre Macht ohne ausreichende Kontrolle ausüben. Dies widerspricht dem Grundgedanken des Grundgesetzes, das die Machtkonzentration und den Missbrauch verhindern soll. Stattdessen zeigt sich, dass die Macht der Regierung sich unkontrolliert ausbreitet und die vermeintliche Gewaltenteilung in der Praxis weiter eingeschränkt wird.
Die Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat
Wichtig ist dabei die Rolle des Bürgers: Das Grundgesetz garantiert jedem Bürger grundlegende Abwehrrechte, die dazu dienen, ihn vor staatlicher Willkür zu schützen. Dazu gehören das Recht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5), das Recht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8) und das Recht auf Pressefreiheit (ebenfalls Artikel 5). Diese Rechte sind keine leeren Versprechen, sondern zentrale Elemente einer lebendigen Demokratie, die den Bürgern die Möglichkeit geben, ihre Regierung zu kritisieren, zu überwachen und im Zweifel abzuwählen.
Das Grundgesetz ist ein Schutzschild für die Rechte der Bürger gegen staatliche Übergriffe und Willkür. Es stellt sicher, dass die Regierung jederzeit durch das Volk legitimiert und kontrolliert werden kann. Doch diese grundlegenden Abwehrrechte geraten zunehmend unter Druck, wenn die Regierung, legitime Kritik als „Delegitimierung des Staates“ zu diffamieren versucht. Die Regierung setzt sich dem Staat gleich, stellt die Abwehrrechte des Bürgers auf den Kopf und wendet die Staatsgewalt zum eigenen Schutz gegen Dissidenten an. Das ist eindeutig verfassungswidrig, denn ein Abwehrrecht der Regierung gegen den Bürger sieht das Grundgesetz nicht vor. Die Ampel-Regierung handelt folglich selbst verfassungsfeindlich.
„Delegitimierung des Staates“: Ein gefährlicher Kampfbegriff
In den letzten Jahren hat der Begriff „Delegitimierung des Staates“ eine beunruhigende Verwendung gefunden. Er wird genutzt, um jegliche Kritik an der Regierung als Bedrohung für die staatliche Ordnung zu brandmarken. Dieser Begriff wird vor allem vom sogenannten Verfassungsschutz und anderen staatlichen Institutionen verwendet, um eine breite Palette von Akteuren zu stigmatisieren – von friedlichen Demonstranten über investigative Journalisten bis hin zu Plattformbetreibern wie Pavel Durov. Das Ministerium des Innern und für Sport in Rheinland-Pfalz beschreibt beispielsweise, dass sogenannte „Delegitimierer“ Demonstrationen und Proteste nutzen, um gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ zu hetzen. Doch diese Darstellung ist nicht nur pauschal und undifferenziert, sondern auch ein klarer Versuch, jegliche Form von Opposition und Kritik zu kriminalisieren.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht in der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ zunehmend eine Bedrohung für die demokratische Grundordnung. Doch die eigentliche Bedrohung geht von einer Regierung aus, die Kritik pauschal als staatsfeindlich bezeichnet und dadurch die Grundrechte der Bürger untergräbt. Wenn jede Form von Opposition als Delegitimierung betrachtet wird, bleibt kein Raum mehr für einen offenen, demokratischen Diskurs.
Die Notwendigkeit der Kritik und der öffentlichen Debatte
Kritik ist kein Angriff auf den Staat, sondern ein Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Eine Regierung, die Kritik nicht nur toleriert, sondern als notwendiges Korrektiv schätzt, stärkt die Demokratie. Wenn jedoch jede Form der Kritik als „Delegitimierung des Staates“ diffamiert wird, schwächt dies nicht nur das Vertrauen in die Regierung, sondern auch die Demokratie selbst. Die Forderung nach Bürgertribunalen zur Aufarbeitung des Corona-Unrechts ist keine „Delegitimierung des Staates“, sondern ein legitimer Ausdruck des Bedürfnisses nach Gerechtigkeit und Rechenschaft.
Die wahre Bedrohung für die Verfassung kommt nicht von denjenigen, die ihre Stimme gegen die Regierung erheben, sondern von denen, die versuchen, diese Stimmen zum Schweigen zu bringen. Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ wird somit von der Regierung politisch instrumentalisiert, um kritische Stimmen zu unterdrücken.
Die Verteidigung der Demokratie beginnt mit der Verteidigung der Grundrechte
Wenn die Regierung versucht, sich durch die Diffamierung von Kritikern und die Kontrolle über öffentliche Diskurse über das Grundgesetz zu erheben, dann muss die Gesellschaft umso entschlossener für ihre Rechte eintreten. Das Grundgesetz garantiert jedem Bürger das Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und politische Teilhabe. Diese Rechte sind das Fundament einer Demokratie und müssen aktiv verteidigt werden.
Demonstrierende Bürger, Journalisten und Regierungskritiker sind keine Feinde des Staates, sondern seine schärfsten Wächter. Sie sind es, die sicherstellen, dass die Regierung ihre Macht nicht missbraucht, dass Demokratie lebendig bleibt und dass die Gesellschaft sich weiterentwickeln kann. Die wahre Gefahr für unsere Gesellschaft kommt nicht von der Kritik an der Regierung, sondern von der Unterdrückung dieser Kritik.
Bürgertribunale in einer demokratischen Gesellschaft
Bürgertribunale könnten in einer demokratischen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen, indem sie als eine Form der zivilgesellschaftlichen Kontrolle auftreten. Sie könnten eine Plattform bieten, um das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen und die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Durch die Einbeziehung von Bürgern in Prozesse zur Aufklärung von staatlichem Fehlverhalten könnte das Gefühl der Teilhabe und der direkten Demokratie gestärkt werden.
Diese Tribunale sollten jedoch nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung zu bestehenden demokratischen Institutionen verstanden werden, die darauf abzielen, die Demokratie durch Transparenz und Bürgerbeteiligung zu stärken. Es ist wichtig, dass solche Initiativen nicht voreilig als staatsfeindlich abgetan werden, sondern als Ausdruck eines lebendigen demokratischen Diskurses, der die Grundrechte der Bürger schützt und verteidigt.
Bürgertribunale jenseits des politischen Kalküls
Ein weiterer Aspekt, der die Debatte um Bürgertribunale vorantreiben könnte, sind die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. In diesen Bundesländern besteht die Möglichkeit, dass sowohl das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als auch die Alternative für Deutschland (AfD) Mehrheiten in den Landtagen gewinnen. Selbst wenn diese beiden Parteien nicht koalieren oder gemeinsam eine Regierung bilden, könnten sie dennoch durch ihre Mehrheiten im Parlament die Aufarbeitung des Corona-Unrechts auf Landesebene aktiv fördern. Beide Parteien haben deutlich gemacht, dass sie die Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen als zentrales Anliegen betrachten. Durch entsprechende Landesgesetze könnten sie die Einrichtung von Bürgertribunalen unterstützen, um eine tiefgehende Untersuchung der politischen Entscheidungen während der Pandemie zu gewährleisten und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Dabei sollte auch politisches Kalkül mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen in den Hintergrund treten. Die Notwendigkeit einer umfassenden und transparenten Aufarbeitung ist wichtiger als kurzfristige politische Vorteile oder ideologische Differenzen. Die Aufarbeitung dient dem Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat und stärkt die demokratischen Prozesse. Es wäre ein starkes Signal an die gesamte Bundesrepublik, dass der Wille zur Gerechtigkeit und zur Klärung von Verantwortung über parteipolitischen Überlegungen steht. Eine solche Haltung würde nicht nur die Glaubwürdigkeit der beteiligten Parteien stärken, sondern auch den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern, indem sie zeigt, dass es über Parteigrenzen hinweg eine gemeinsame Verantwortung für die Zukunft des Landes gibt.Formularbeginn
Es bleibt abzuwarten, wie sich die sogenannte „Brandmauer“ zur AfD, die von den übrigen Parteien und deren inszenierte „Zivilgesellschaft gegen Rechts“ vehement verteidigt wird, auf diese mögliche Zusammenarbeit in den Landesparlamenten auswirken wird. Der Druck, diese Brandmauer aufrechtzuerhalten, könnte den Handlungsspielraum für die Initiierung solcher Bürgertribunale erheblich einschränken und die politische Landschaft weiter polarisieren.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wider. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.
Dejan Lazić, Sozialökonom und Wirtschaftsjurist, Hochschuldozent für Staats- u. Migrationsrecht (2002-2022), CEO einer internationalen Rechts- und Wirtschaftsberatungsgesellschaft. Veröffentlichungen u.a. bei nachdenkseiten.de und norberthaering.de.
Eine Antwort
Danke, für diesen enorm wichtigen Basis- und Fundamentbeitrag, weil er verdeutlicht, daß das Pandemie-Unrecht im Corona-Zusammenhang „nur“ ein Einzelfall ist im Rahmen eines grundsätzlichen, alle Lebensbereiche durchdringenden Systemproblems. [1]
Relativierung: Eine Monarchie kann wesentlich gesünder, gerechter, besser und freier sein als das, was wir derzeit haben. Es hängt ganz von der Charakter- und Führungsqualität der Führungspersönlichkeit ab und wie schnell und einfach diese/r Volksführer/in vom Volk bei Bedarf ausgetauscht werden kann.
Verstärker zum Artikel:
Karl A. Schachtschneider, 8. Mai 2024 in
https://www.kaschachtschneider.de/demokratiefoerderungsgesetz-kritik/
Und geringfügig älter:
https://sezession.de/51825/schachtschneider-parteienstaat-ist-verfallserscheinung-der-republik
Der Informatiker Hadmut Danisch fand eine sehr schöne Formulierung als Ersatz für „moderne, real existierende Sklaverei“; vermutlich, weil er keine Lust auf eine Strafanzeige wegen Staatsverunglimpfunghat:
Danisch . de/blog/2023/03/15/deutschland-laengst-mehr-krebsgeschwuer-als-staat/
[1] Multithematisch-multimodular nenne ich es dort, wo es gar nicht um Corona-Unrecht geht, sondern ein scheinbar völlig anderes Thema, das „ewige Flüchtli-Thema“ mit Einbürgerungsrekord und Messerrekord 2024. Weil auch dort alles für die Verhinderung einer relevanten, über Symptommurks hinausgehenden Aufarbeitung der schon vor 2015 gestarteten Überfremdung getan wird!
https://haintz.media/artikel/recht/vier-jahre-ausgesorgt/#comment-411
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