Die Jahrestage der Kapitulationen werden seit 80 Jahren von den Siegermächten als Feiertage, genauer: als Jubeltage, begangen. Spätestens seit der Regierung Schröder hat es sich eingebürgert, dass auch deutsche Politiker sich in dem Glanze der Sieger sonnen möchten und gerne zu solchen Feierlichkeiten anreisen. Damals reiste Schröder an die Normandie zur Feier der Landung der Alliierten.
Heute beglückwünscht Merz die Westalliierten unter bewusster Aussparung der Sowjetunion. Umgekehrt gefallen sich manche aus der Friedensbewegung darin, die Sowjetunion für ihren Sieg über Deutschland zu feiern und einige begeben sich sogar zu deren Feierlichkeiten hin. Beiden ist gemeinsam, dass sie vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse Tagespolitik betreiben, die einen in Richtung der transatlantischen Seilschaften, die anderen in Richtung Verständigung mit Russland.
Bereits an dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie pietätvoll es ist, die damaligen schrecklichen Ereignisse als Panier heutiger Politik zu verwenden. Die Logik dahinter ist alt: Es sind bereits so viele gestorben, also müssen noch mehr sterben, damit die Opfer von damals nicht umsonst gestorben sind. Die teuflische Logik des sich immer weiter drehenden Karussells aus Blut und Eisen fällt dabei den Betreibern dieses Zirkusses gar nicht auf.
Die einen feiern die Alliierten und unterschlagen den ungleich größeren Blutzoll der Sowjetunion. Die anderen feiern die Sowjetunion und unterschlagen den Vernichtungskrieg der Sowjetunion gegen Deutschland, den Stalin und Ilja Ehrenburg den Rotarmisten eingeprügelt hatten, jenen Rotarmisten, die nur nach vorn marschieren durften, denn hinter ihnen warteten die Maschinengewehre der eigenen Leute. Was jene Soldaten dann in Deutschland anrichteten, davon weiß das deutsche Volk noch, auch wenn die heutige Generation es zu verdrängen versucht. Es war ein millionenfaches Abschlachten, Vergewaltigen und Vertreiben.
Noch mehr in Vergessenheit geraten ist, dass die Westalliierten ebenfalls vergewaltigten und dass sowohl die Westalliierten als auch die Sowjetunion die Konzentrationslager der Nationalsozialisten weiter betrieben, in Mitteldeutschland unter der Herrschaft der Sowjets sogar mit einer noch höheren Todesrate als zuvor. Waren die dort Eingesperrten und die von den Briten in Bad Nenndorf und anderswo gefolterten Frauen und Kinder schuldig? War es gut, gerechtfertigt und richtig, diese Bluttaten an ihnen zu verüben? Und ist es angemessen, den Sieg jener Mächte über Deutschland zu feiern, der diese Bluttaten einleitete?
Niemand in Deutschland würde heute auf die Idee kommen, beispielsweise den Sieg über Frankreich von 1940 zu feiern und zu erwarten, dass etwa französische Delegationen dafür nach Berlin reisten. Es würde uns auch nicht einfallen, mitten in Paris etwa ein deutsches Siegesmal errichten zu wollen, wie es die Russen heute noch mitten in Berlin unterhalten. Es gibt einen einzigen Grund, warum gleichwohl derartige Gepflogenheiten bei den Siegern herrschen und bei den Verlierern nicht. Sie haben gewonnen und das deutsche Volk verloren. Was ist also der Sinn einer solchen Siegesfeier?
Es ist ja heute sehr schick und wird von unserer Regierung fast befohlen, dass wir Deutschen von heute die Niederlage von 1945 als Befreiung vom Nationalsozialismus verstehen sollen. Ich glaube, alle vernünftig denkenden Menschen von heute sind sich einig, dass der Nationalsozialismus, so sehr er wie alle Regime ein Kind seiner Zeit war, eben aus einer blutigen Zeit stammte, aus einer Zeit der ideologischen Verblendung und der Unmenschlichkeit. Er war unmenschlich, er war ein Unterdrückungsregime, auch wenn über 90 % der Deutschen sich darin wohl fühlten. Das ist das Paradoxon und der Schmerzpunkt der deutschen Geschichte, dass sich das deutsche Volk damals mit wehenden Fahnen an einen Hoffnungsträger klammerte, der erst die Andersartigen und dann das deutsche Volk selbst – so oder so – in den Untergang führte. Wir haben uns damit auseinanderzusetzen und für uns unsere eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Welches Signal aber ist es, sich an die ebenfalls grausamen Sieger zu heften und mit ihnen auf den Gräbern unserer eigenen Vorfahren zu tanzen? Was sagt das über das eigene Menschenbild, über die eigene Selbstachtung aus und was zugleich darüber, wie jemand, der auf eine solche Art im Nachhinein mit über Leichen geht, wohl heute mit Menschen umgehen wird, wenn er sie nur, weshalb auch immer, als Nazis betrachtet? Was macht es wohl mit einem Menschen, wenn er sich so erziehen lässt, dass er für die Lorbeeren fremder Sieger die eigenen Vorfahren verrät? Wird er anderen Menschen gegenüber, wird er vor allem seinen Feinden gegenüber gnädig sein?
Und damit sind wir bei dem Phänomen, dass wir es heute immer wieder erleben, dass der politische Gegner von allen Seiten als Nazi beschimpft wird. Das heißt, der Gegner wird entmenschlicht. Er wird als Menschenmörder bezeichnet und damit zum Abschuss freigegeben. Das gibt es nicht nur auf Seiten der jetzt Herrschenden, sondern genauso auf der Seite der Opposition. Darum schließt sich der Kreis, wenn Teile der Opposition heute mit denen feiern, die damals im Blutrausch Deutschland in Schutt und Asche legten und nach dem Krieg mehr Deutsche umbrachten als noch im Krieg.
Ist es nicht so, dass gerade wir in der Friedensbewegung dazu angetreten sind, die Gewaltspirale zu durchbrechen? Wäre es dann nicht angezeigt, sich nicht an Siegesfeiern der anderen zu beteiligen? Mit der Teilnahme dokumentiert man nichts anderes als die eigene Servilität. Wäre es nicht besser, sich über den Gräbern in aller Stille die Hand zu reichen, statt mit wehenden Blutfahnen?
Es ist zu erwarten, nicht zu verhindern und wir müssen akzeptieren, dass die Sieger ihre Feiertage haben. Das gehört zu ihrer nationalen Selbstbestimmung. Sie bestimmen selbst, wie sie ihre eigene Geschichte betrachten und woher sie ihren Mut für die Zukunft schöpfen. Wenn die Russen ihren damaligen Sieg als Gründungsmythos einer neuen Selbstbehauptung betrachten möchten, ist es ihr gutes Recht. Wenn wir uns bei dem Anblick, an unsere toten Großeltern denkend, unwohl fühlen, dann müssen wir das ebenso ertragen, wie es andere Völker nichts angeht, wie wir unsere Geschichte begehen. Der Respekt vor der Eigenheit des anderen ist die Grundlage für jede aufrechte Begegnung. Mögen also jene feiern und wir trauern! Mögen wir uns über den Gräbern die Hand reichen! Wenn die anderen an jenem Tage aber ihre Siegesfahnen schwenken müssen, dann versöhnen wir uns eben am 10. Mai!
Eine Antwort
Das aktuell Dringlichere zuerst:
F. Merz lügt uns bzw. das ganze EU-Europa mit den Taurus-Lieferungen in einen Atom- oder zumindest Weltkrieg hinein [1]. Denn er diffamierte Russland im April wieder als Aggressor, obwohl ihm die völkerrechtlich relevanten Widerlegungen von Schachtschneider, Ganser, Bittner, Rupp mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollständig oder zumindest ausreichend teilweise bekannt sind.
Auch Trump hat Herrn Putin in einer für Diplomaten ausreichend klaren Sprache in den letzten Wochen entlastet und damit die aggressive NATO-Osterweiterung der letzten Jahrzehnte indirekt kritisiert (Quelle u. a. RT Deutsch). Offensichtlich kann aber auch der nicht auf’s Maul gefallene T. nicht so frei sprechen, wie er möchte [2]. Beweis:
rtde.org/international/244439-trump-viele-wissen-wer-nord/
Zum Rückblick auf die Kapitulation gibt es interessante Kommentare bei
https://sciencefiles.org/2025/05/08/kapitulation-2/
[1] rtde.org/europa/244582-wird-taurus-nun-heimlich-geliefert-merz-waffenlieferungen-ukraine-schweigen/
[2] kanzlei-ralf-ludwig.de/tiefer-staat/