In einer Befragung im Bundestag am 5. Juni 2024 drängte Verteidigungsminister Boris Pistorius insbesondere auf verstärkte Unterstützung für die Ukraine. Er warnte: „Ein russischer Sieg käme uns alle teurer am Ende als unsere Unterstützung für die Ukraine heute.“ Er äußerte die Befürchtung, dass Putin nicht an den Grenzen der Ukraine halt machen wird. Zudem plädierte der Sozialdemokrat unerwartet deutlich für die Einführung einer echten Wehrpflicht, um durch Abschreckung extreme Eskalationen zu vermeiden.
„Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein […] Im Ernstfall brauchen wir wehrhafte junge Frauen und Männer, die dieses Land verteidigen können. Wir müssen durchhaltefähig […] sein. Ich bin überzeugt wir brauchen eine neue Form des Wehrdienstes.“
YouTube Phoenix / Boris Pistorius/ Befragung der Bundesregierung | 171. Sitzung des Deutschen Bundestages (Minute 14:39)
Wie NTV berichtet, plant das Verteidigungsministerium, Musterungsfragebögen an junge Erwachsene zu versenden, um einen Überblick über potenzielle Wehrdienstleistende zu erhalten. Darüber hinaus sollen mehr Anreize für den Dienst an der Waffe geschaffen werden. Obwohl Verteidigungsminister Pistorius diese Pläne bereits im Mai vorstellen wollte, werden sie erst nach der Europawahl bekannt gegeben. Dies könnte darauf hindeuten, dass die SPD das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten will. Pistorius räumte kurz vor dem Wahltag ein, dass es kein Wehrpflichtmodell ohne Konfliktpotenzial geben kann und dass ein solcher Wehrdienst nicht frei von Pflichten, gleich welcher Art, sein wird.
Die Pläne des Verteidigungsministers Boris Pistorius stehen und fallen mit den Bereichen Finanzen, Material und Personal. Doch gerade bei der Etatfrage drohen Konflikte mit der eigenen Regierung. Pistorius hat für das kommende Jahr beim Bundesfinanzminister Christian Lindner einen Bedarf von etwa 6,5 bis 7 Milliarden Euro für die Bundeswehr angemeldet. Lindner plant jedoch keinen Etataufwuchs. Der Bund muss für das kommende Jahr etwa 30 Milliarden Euro einsparen. Laut einem Medienbericht der Bild soll Verteidigungsminister Pistorius der SPD-Fraktion gedroht haben, dass er seinen Job nicht machen würde, falls die erforderlichen Finanzmittel nicht bereitgestellt werden. Vor dem Bundestag wies er die Interpretation seiner früheren Äußerung zur roten Linie zurück. Er weigerte sich zu offenbaren, ob es überhaupt eine solche Linie gäbe. Pistorius erklärte, dass er ein Anhänger strategischer Doppeldeutigkeit sei.
FDP und Scholz widersprechen Pistorius’ Wehrpflichtvorhaben
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat klare Einwände gegen die Überlegungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht geäußert. Sie erklärte gegenüber dem RND, dass die Wehrpflicht nicht zur gesamtstaatlichen Widerstandsfähigkeit beitragen kann und kurz- bis mittelfristig keine Problemlösung darstellt. Sie warnte davor, dass es an jungen Menschen in der Wirtschaft mangeln würde, was sich negativ auf die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit auswirken könnte, und unterstrich, dass eine Wehrpflicht nur im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit für junge Männer und Frauen gleichermaßen in Betracht käme.
„Wir haben keine Kasernen dafür, keine ausreichende Personaldecke für die Ausbildung und weitere Ressourcen für die Wehrpflicht längst abgebaut. Angesichts der hoch spezialisierten Anforderungen der heutigen Zeit würden Wehrdienstleistende der Bundeswehr überdies nur bedingt helfen. Hierfür bedarf es Spezialisten und keiner Grundwehrdienstleistenden.“
Strack-Zimmermann / RND
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hält die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Menschen in Deutschland für unwahrscheinlich. Schon im April machte er in einer Diskussionsrunde mit Zeitungslesern der VRM-Mediengruppe in Mainz deutlich, wie das ZDF berichtet, dass es seiner Ansicht nach keine Rückkehr zu einem „Wehrdienst wie früher“ geben wird. Scholz erklärte, dass Deutschland nicht wieder zu einer Wehrpflichtarmee mit 400.000 Soldaten zurückkehren werde.
In der Diskussion über den Umgang mit Russland wird Kanzler Scholz vorgeworfen, dass er das Konzept der strategischen Ambiguität nicht versteht. Dabei hat er wiederholt bestimmte militärische Maßnahmen Deutschlands zur Unterstützung der Ukraine kategorisch ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu behält sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sogar die Möglichkeit des Einsatzes westlicher Truppen in der Ukraine vor.