„Sie geloben Apartheid die Treue, von Ampel bis AfD.“ Was steckt hinter diesem Vers Dieter Hallervordens, der kürzlich zusammen mit Dieter Dehm und Jens Fischer Rodrian das Gedicht „Gaza Gaza“ veröffentlichte und damit deutlich Kritik übte an der vorbehaltlosen Verteidigung israelischen Vorgehens gegen Palästinenser?
Der Apartheids-Begriff
Südafrika war das Land, dessen Geschichte diese Bezeichnung geprägt hat und das bzgl. israelischer Siedlungspolitik nach dem 07. Oktober 2023 zuerst öffentlich von Apartheid sprach. Die Sprecherin des African National Congress (ANC) äußerte sich nach dem Anschlag der Hamas auf Israel wie folgt:
„Es kann nicht länger bestritten werden, dass die Apartheidgeschichte Südafrikas die Realität im besetzten Palästina ist. Die Reaktion der Palästinenser auf die Brutalität des israelischen Siedler-Apartheidregimes überrascht nicht.“
ANC laut NZZ
Maßgeblich beeinflusst wurde die Haltung des afrikanischen Kongresses durch den Sechstagekrieg 1967, bei dem Israel die Kontrolle über den Gazastreifen, Ostjerusalem und das Westjordanland erlangte. Viele afrikanische Regierungen begannen Israel zunehmend als Besatzungsmacht zu betrachten. Nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 brachen die meisten afrikanischen Länder die Beziehungen mit Israel ab. Von der einstigen Solidarität nach Gründung des Staates Israel 1948 blieb kaum etwas übrig.
Der israelische Historiker Ilan Pappé hebt die Verbindung der Kolonialgeschichte des afrikanischen Kontinents mit der Palästinas hervor. Er analysiert die lange Geschichte der Vertreibung detailliert in seinem Werk „Die ethnische Säuberung Palästinas“:
Ethnische Säuberung „ist inzwischen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert, das nach internationalem Recht strafbar ist. […]
Ilan Pappé1
Regionale Kommandeure […] säuberten die [palästinensischen Gebiete] von Dutzenden von Dörfern und Städten. […]
Die Hälfte der in Palästina lebenden Ureinwohner wurde vertrieben, die Hälfte ihrer Dörfer und Städte wurde zerstört, und nur sehr wenige von ihnen konnten jemals zurückkehren. […] Es lässt sich nicht leugnen, dass die ethnische Säuberung von 1948 fast vollständig aus dem globalen Gedächtnis und aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit getilgt worden ist. […]
[Sie] begann Anfang Dezember 1947 mit einer Reihe von jüdischen Angriffen auf palästinensische Dörfer und Stadtviertel […]. Obwohl diese frühen jüdischen Angriffe nur sporadisch stattfanden, waren sie schwerwiegend genug, um den Exodus einer beträchtlichen Anzahl von Menschen (fast 75.000) auszulösen.“ (S. 25, S. 31, S. 34ff., S.47f.)
Übergriffe israelischer Siedler sind seither Alltag im Westjordanland. Laut Ärzte der Welt haben sie seit Herbst 2023 sogar noch zugenommen, worauf diese in einem Beitrag vom 6. November 2023 verweisen und betonen dass „immer öfter massiv gegen humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte“ verstoßen wird.
„121 Palästinenser*innen, darunter 33 Kinder, sind seit dem 7. Oktober von israelischen Streitkräften und Siedler*innen getötet worden. Mehr als 820 Palästinenser*innen sind laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) aus ihrem Zuhause vertrieben worden. Das ist ein besorgniserregender Anstieg der Opferzahlen im Westjordanland. Gleichzeitig wird humanitären Akteur*innen der Zugang zu Betroffenen verwehrt.“
Ärzte der Welt
Deutsche Politik und Israel
Angesichts dieser Historie sollte man annehmen, es sei kategorisch unmöglich, vorbehaltlos israelische Politik zu unterstützen, ungeachtet der Verurteilung des Anschlags vom Oktober 2023.
Das Bild der politischen Landschaft Deutschlands stellt sich allerdings völlig anders dar.
„Von Ampel bis AfD“ sicherte man Netanyahus Regierung uneingeschränkte Solidarität zu. Der Bundeskanzler erklärte die „Sicherheit Israels [zur] Staatsräson„. Was dies in seiner Realisierung in Anbetracht der zunehmenden Eskalation im Nahen Osten noch bedeuten könnte, soll an dieser Stelle zunächst offen gelassen werden.
Vielmehr lohnt es, sich einmal die Reaktionen der politischen Gegner genauer anzuschauen, denn von entsprechend oppositioneller Haltung kann keine Rede sein, nicht, wenn es um die Palästinenser geht.
So postete die AfD-Fraktion am 13. Oktober 2023 auf X:
Schnell nutzten einige AfD-Politiker offenkundig die Ereignisse in Nahost, um ihr Hauptwahlkampfthema der Migration in Deutschland deutlicher in den Fokus zu bringen. So Mariana I. Harder-Kühnel in ihrer Bundestagsrede vom November 2023: „Gerade in den letzten Tagen ist klar geworden, die angebliche Verschwörungstheorie von der zunehmenden Islamisierung Deutschlands ist tatsächlich erschreckende Realität. Anders lassen sich die Bilder der Pro-Hamas-Demonstrationen auf deutschen Straßen nicht deuten.“ An einer differenzierten Darstellung der „Free-Palestine-Proteste“ ist man offensichtlich in keiner Weise interessiert, sondern verhält sich vielmehr ähnlich wie Redakteure der Bild-Zeitung oder „Achtung Reichelt“, die eine maßgebliche Hetzkampagne gegen Muslime in Deutschland betreiben. Die Schlagzeile „Islamisten marschieren durch Essen“ verbreitete sich millionenfach über Social-Media-Kanäle und wurde zum Anlass genommen, von diesem salafistischen Aufmarsch pauschal auf jedweden friedlichen Protest für die Wahrung der Menschenrechte und gegen den Massenmord an Palästinensern zu schließen.
Social-Media-Nutzer verleihen ihrem Hass Ausdruck
Dieses Verhalten ist auch insofern bedenklich, als dass viele davon selbst Erfahrungen mit Framing gesammelt hatten und Opfer der Kreation von Feindbildern wie Ungeimpften und „Putinverstehern“ geworden waren. Auch die Pauschalisierung und Verunglimpfung friedlicher Proteste sollte denjenigen besonders bekannt vorkommen. Tatsächlich scheinen aber Angst und alte Feindbilder ein größeres Gewicht zu haben, als die differenzierte Betrachtung der verschiedenen Narrative. Es reicht, wenn das eigene Feindbild bedient wird. Etliche Nutzer fühlten sich legitimiert, ihrem Hass auf Muslime Ausdruck zu verleihen und äußerten sich ganz im Sinne des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, der diese auf die gleiche Stufe mit Tieren stellte: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere„.
Motiviert wurde man hier sicherlich durch Protagonisten wie Julian Reichelt, der jegliches Ereignis, das mit Migranten in Deutschland in Verbindung gebracht werden kann, nutzt, um die Kampagne fortzuführen. Seine Beiträge entbehren häufig jeglicher Seriosität.
Screenshot von Nius.de
Auch die Influencerin Anabel Schunke verbreitet menschenverachtende Posts, indem sie sich über das Leid der Bevölkerung im Gazastreifen lustig macht.
Screenshot X-Profil von Anabel Schunke
Bei ihr, wie bei so vielen derer, die sich uneingeschränkt auf die Seite israelischer Politik stellen, zeigt sich nur allzu deutlich die Verbindung mit Migrationspolitik, bzw. einer offenkundigen Aversion gegen Muslime.
Screenshot Instagram-Profil von Anabel Schunke
Konstruktive Debatte?
Tragen die Erwähnten durch dieses Verhalten zu einer differenzierten Debatte über die durchaus zu kritisierende Migrationspolitik in Deutschland bei, oder könnten auch sie letztlich nichts anderes tun, als einer bestimmten Agenda zu folgen? Dient es einem Land und dem Frieden im Inneren, wenn zunehmend neue Fronten geschaffen werden, oder ist auch dies nichts anderes als die Fortführung des „Teile-und-Herrsche“-Prinzips?
Ein jeder derer, die sich bzgl. der Nahost-Thematik (wieder) der Regierungslinie entsprechend verhalten, sollte sich diese Frage einmal ernsthaft stellen.
- Pappé, Ilan: Die ethnische Säuberung Palästinas, 2006 ↩︎
2 Antworten
Danke für diesen Artikel! Mir macht der Islam auch Sorge, aber was hier an Hass gegen Muslime abgeht, das ist ja jenseits von gut und böse. Das ist ja mörderischer Hass und erinnert mich ebenfalls sehr an die Entmenschlichung der „Ungeimpften“ und generell Corona-Kritiker, denen man immer und überall nur Böses unterstellte und sie zum Feind Nummer eins erklärte.
Danke für dein Feedback. Das, was du schreibst, ist genau der Punkt, den ich damit ansprechen wollte. Vielleicht denkt ja der eine oder andere, der diese Dinge wie beschrieben handhabt, auch mal darüber nach, inwieweit dieser Hass zielführend ist.