Die Polizei wird alleingelassen
Ich weiß, dass es im Nachhinein immer einfach ist, eine Situation zu analysieren. Polizisten im Einsatz müssen regelmäßig in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen, während sich Anwälte, Staatsanwälte und Richter für die Beurteilung einer polizeilichen Maßnahme in einem etwaigen Strafverfahren viel Zeit nehmen können.
Ich bin hauptberuflich Rechtsanwalt, mir ist all das bewusst. Dennoch muss die Frage gestellt werden was in Mannheim passiert wäre, wenn die deutsche Polizei Rückendeckung aus der Politik, den Medien und auch der Gesellschaft hätte, in Extremsituationen richtig zu handeln, so wie dies in anderen Ländern durchaus üblich ist. All das kann man trainieren, aber der politische Wille dazu fehlt.
Rechtliche Lage beim Schusswaffengebrauch
§ 68 des Polizeigesetzes (Baden-Württemberg) regelt den Schusswaffengebrauch gegenüber Personen. Die Voraussetzungen für einen Schusswaffengebrauch lagen in der obigen Situation, siehe Beitragsbild, vor. Die Ausführung einer (weiteren) rechtswidrigen Tat, Messerangriff auf den knienden Polizisten Rouven L. (=Verbrechen, § 12 Abs. 1 Strafgesetzbuch) stand unmittelbar bevor.
Diese bevorstehende Tat war zumindest als versuchter Totschlag zu würdigen, wahrscheinlicher ist aber Mord mit dem Mordmerkmal Heimtücke, da der inzwischen für tot erklärte Polizist Rouven L. den Angriff von hinten nicht wahrnehmen konnte und damit wohl auch nicht rechnen musste, jedenfalls nicht damit gerechnet hat.
Mir ist natürlich bewusst, dass ein Verteidiger hier nur auf eine versuchte gefährliche Körperverletzung mit einer Waffe plädieren würde, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch, was lediglich ein Vergehen wäre. Aufgrund des vorangegangenen Tatgeschehens sehe ich hier einen Mord, zumindest aber einen Totschlag.
Auch ein finaler Rettungsschuss wäre in dieser Situation gerechtfertigt gewesen. Wenngleich in der konkreten Situation keineswegs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Tötung des Messerstechers Suleiman A. die Folge gewesen wäre. Der Täter Suleiman A. ist laut Medienberichten gebürtiger Afghane und kam 2014 nach Deutschland.
„(2) Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.“
§ 68 Abs. 2 Polizeigesetz Baden-Württemberg
(Finaler) Rettungsschuss kommt zu spät
Der Attentäter von Mannheim steht im obigen Beitragsbild mit einem Messer in der Hand hinter dem zwischenzeitlich verstorbenen Polizisten. Der Täter wird von dem Polizisten, der kurze Zeit später auch geschossen hat, anvisiert. Der Polizist hatte in diesem Moment die letzte Möglichkeit, einen Schuss „zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ (§ 68 Abs. 2 Polizeigesetz BW) abzugeben und seinen Kollegen zu retten.
Allerspätestens in diesem Moment hätte der Polizist mit der Waffe im Anschlag schießen müssen. Ja, die Schussposition ist suboptimal und hinter dem Täter stand ein grob fahrlässiger Kameramann im Schussfeld, wie „Outdoor Chiemgau / Mr. Blackout – Krisenschutz“ zutreffend auf seinem YouTube-Kanal analysiert hat.
Dennoch, das war die letzte Gelegenheit für einen Schuss bzw. notfalls auch einen finalen Rettungsschuss auf den Täter. Und in diesem Moment hilft es nicht mehr, bei einem fanatischen Messerstecher darauf zu hoffen, dass er das Messer weglegt, wenn man ihn dazu auffordert. In diesem Augenblick hätte der Polizist schießen müssen.
Der Polizist, der geschossen hat, war offenkundig der am besten ausgebildete von allen beteiligten Polizisten, aber auch er hat wegen m. E. irrsinnigen Dienstanweisungen gezögert, was seinen Kollegen am Ende leider das Leben gekostet haben dürfte, jedenfalls dann, wenn er den Täter (wirkungsvoll) getroffen hätte, was in dieser Situation keine Selbstverständlichkeit ist. Die anderen Polizisten ziehen ihre Waffe gar nicht oder erst viel zu spät, das ist polizeiliches Versagen.
Schuld ist die Politik
Ich mache dem Polizisten, der geschossen hat, keinen persönlichen Vorwurf, er hat in einer Extremsituation das gemacht, was man ihm beigebracht hat. Er wird sich sicher die Frage stellen, was wäre passiert, hätte er schneller abgedrückt. Es tut mir persönlich außerordentlich leid, dass er in diese Situation gebracht wurde, für die sein Kollege mit dem Leben bezahlen musste.
Die deutsche Polizei wird von der Politik im Stich gelassen. Die polizeiliche Ausbildung ist schon lange an die Gegebenheiten auf deutschen Straßen anzupassen. Wer im Vorfeld 10-20 mal mit einem Messer auf Menschen eingestochen hat, der lässt sich nur durch Kugeln kampfunfähig machen, nicht durch Worte. Auch ein Taser hilft hier nicht mehr, den in Baden-Württemberg ohnehin nur Spezialkräfte der Polizei mit sich führen.
In einem anderen Ausbildung- und Rechtssystem hätte der Polizist vorher geschossen, sein Kollege wäre wahrscheinlich unverletzt geblieben und man hätte beiden Polizisten für ihr mutiges Verhalten im Dienste der Gesellschaft einen Orden verliehen. Das ist der Unterschied zwischen z. B. den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland werden die Täter geschützt, in den USA die Opfer und die Bevölkerung.
Attentäter wird vor Stürzenberger versorgt
Die Journalistin Janina Lionello stellte auf X die berechtige Frage, warum das erste Opfer (M. Stürzenberger) und ursprüngliche Ziel des Attentäters während des ganzen von mir auf X hochgeladenen Videos nicht von Sanitätern / Ärzten versorgt wird.
Eben auch aufgrund dieser Frage, die ich auch schon gestellt habe, wurde das ganze Video als Dokument der Zeitgeschichte auf X hochgeladen, obwohl Polizei und Politik vielfach dazu aufgefordert haben, dies nicht zu tun.
Aufruf zur Besonnenheit
Ich bitte jeden darum, die abscheuliche Tat von Mannheim nicht pauschal politisch zu instrumentalisieren. Mich hat heute eine private Nachricht aus Österreich erreicht. Dort wurde ein Afghane allein deshalb (leicht, aber dennoch) angegriffen, weil er Afghane ist. Derartige „Reaktionen“ und Pauschalierungen sind aufs schärfste zu verurteilen.
Ja, die Tat in Mannheim wirft viele Fragen auf die nicht neu sind und unverzüglich beantwortet werden müssen. Über diese Fragen muss sachlich diskutiert werden. Gewalt ist in jedem Fall kein Mittel zur Durchsetzung politischer oder sonstiger Ziele.
Versammlungen und politische Kundgebungen müssen in Deutschland sicher möglich sein. Die Polizei muss in die Lage versetzt werden, dies zu gewährleisten. Jeder hat das Recht seine Meinung frei zu äußern, auch wenn diese anderen nicht passt, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
3 Antworten
der hochriskante Schusswaffeneinsatz wäre überhaupt nicht notwendig gewesen, da der (einzelne) Täter bereits zuvor am Boden fixiert war, und aufgrund eine großen Anzahl Polizisten ein rel. gefahrloser Zugriff ermöglicht war – aber diese Polizisten (bis auf 1) leider untätig blieben..
(siehe eingetragener Kommentar)
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nochmal mein Beileid..
unfassbar, wie die vielen Polizisten nichtmal den (von Unbewaffneten) bereits am Boden fixierten einzelnen Messerstecher festnehmen
(bei der großen Anzahl von Polizisten war auch der „verirrte Störer“ nur nebensächlich)
(der Schusswaffeneinsatz wäre unnötig gewesen – und war hochriskant vor allem wegen der Personenansammlung, u.weil auch nach mehreren Treffern manche Attentäter immer noch weiterstechen)
und dann tatenlos zusehen, wie sogar der eigene Kamerad abgestochen wird
dieser „Einsatz“ wird hoffentl.
in die Lehrbücher eingehen
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dieser Polizist ist ein Held, und hat als einziger genau richtig gehandelt – indem er den „verirrten Störer“ welcher fälschlich auf den Festhalter einschlug, entfernte – und sich weiters auf seine Polizei „Kameraden“ verlassen, welche ihn dann untätig u. feige im Stich liessen..
R.I.P.
ausserdem:
der Schuss kam zwar für Rouven zu spät
– aber immerhin stoppte er den Täter, welcher
ansonst weiter gemordet hätte..
https://apollo-news.net/rouven-l-ein-einsamer-held/