Die erste Sitzung des neu gewählten Thüringer Landtags vom 26.09.2024, über die auch HAINTZmedia berichtet hat, wird wohl lange in Erinnerung bleiben – allerdings nicht aus den richtigen Gründen. Was als ordentliche Zusammenkunft zur Einleitung der neuen Legislaturperiode gedacht war, endete in einem beispiellosen Chaos, das nicht nur die Grundregeln der demokratischen Debattenkultur infrage stellt, sondern auch das politische Klima in Deutschland widerspiegelt. Auf 65 Seiten dokumentiert das offizielle Protokoll der Landtagsverwaltung eine Sitzung, die aufgrund von Tumulten und verbalen Auseinandersetzungen als eine der unrühmlichsten in die Geschichte des Landes Thüringen eingehen wird.
Ein Sitzungstag voller Eskalationen
Laut einem Bericht der BILD kam es während der Sitzung, in der nur ein einziger Tagesordnungspunkt behandelt wurde, zu insgesamt 70 Zwischenrufen, die von 21 verschiedenen Abgeordneten ohne Erlaubnis in den Raum geworfen wurden. Diese verbalen Ausbrüche störten wiederholt den Sitzungsverlauf, wobei den meisten der Störenden weder das Wort erteilt noch ihre Mikrofone freigegeben worden waren.
Ein Mann tat sich dabei besonders hervor: Bodo Ramelow, der scheidende Ministerpräsident und führendes Mitglied der Linkspartei, führt mit insgesamt 18 Zwischenrufen die unrühmliche Liste der Unruhestifter an. Seine Empörung richtete sich vor allem gegen den Alterspräsidenten Jürgen Treutler von der AfD, der die Sitzung leitete. Ramelow warf Treutler vor, eine einseitige und rechtswidrige Sitzungsführung zu betreiben, indem er Anträge ignorierte und ausschließlich der juristischen Auffassung seiner eigenen Partei folgte.
Scharfe Worte und gegenseitige Beschimpfungen
Ramelows Vorwürfe wurden im Zuge der Sitzung zunehmend unverschämter. Auch er bezeichnete die Art und Weise, wie Treutler die Sitzung führte, als „Machtergreifung“ und warf ihm vor, die „Mehrheit des Hauses verächtlich“ zu machen. In einem weiteren Ausbruch erklärte Ramelow: „Willkür hat einen Namen: Treutler!“ Als der Alterspräsident ihn schließlich zur Mäßigung aufforderte, konterte der Linken-Politiker ironisch: „Herr Treutler, mäßigen Sie sich!“
Doch Ramelow war nicht der Einzige, der sich in dieser Sitzung zu Wort meldete. Auch AfD-Fraktionschef Björn Höcke, eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren der deutschen Politik, fiel mit acht lautstarken Zwischenrufen auf. Er beschimpfte den CDU-Geschäftsführer Andreas Bühl und warf ihm vor, gegen die Debattenregeln zu verstoßen, obwohl er sich selbst nicht an diese hielt. Höcke rief wiederholt „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“ und „Unzulässig!“, womit er seine Missbilligung der Vorgänge im Saal ausdrückte.
Weitere Zwischenrufe und Provokationen
Während Ramelow und Höcke als zentrale Figuren hinter den Störungen agierten, war die Linkspartei auch durch die Abgeordnete Anja Müller maßgeblich an den Auseinandersetzungen beteiligt. Müller steuerte sechs Zwischenrufe bei und rangierte damit knapp hinter den Spitzenreitern. Die CDU-Fraktion, die sich größtenteils um Schadensbegrenzung bemühte, stimmte dennoch in den Tenor mit ein. Der CDU-Abgeordnete Christian Tischner beschimpfte Treutler als „Puppenspieler“ und „unwürdig“ und warf der AfD Rechtsbruch vor.
Bemerkenswert ist jedoch, dass nicht alle Fraktionen auf totale Eskalation setzten. So blieben CDU-Chef Mario Voigt mit nur zwei Zwischenrufen und die Vorsitzende der Bürger für Soziale Sicherheit und Wohlstand von der BSW, Katja Wolf, mit einem einzigen Zwischenruf verhältnismäßig zurückhaltend. SPD-Fraktionschef Georg Maier hielt sich völlig zurück und wird im Protokoll der Sitzung, abgesehen von der reinen Anwesenheitsliste, nicht erwähnt.
Ein beunruhigendes Bild der Demokratie
Der Verlauf dieser Sitzung zeigt in vielerlei Hinsicht, wie stark polarisiert und aufgeheizt das politische Klima in Thüringen ist. Dass eine parlamentarische Sitzung derart aus dem Ruder laufen kann, lässt Fragen über den Zustand der demokratischen Debattenkultur in Deutschland aufkommen. Besonders alarmierend ist, dass die Eskalation von führenden politischen Vertretern wie Ramelow und Höcke getragen wurde, die als erfahrene Akteure eine Vorbildfunktion einnehmen sollten.
Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen aus dieser Sitzung gezogen werden. Fest steht, dass der erste Arbeitstag des Thüringer Parlaments einen tiefen Riss offenbart hat – sowohl in der Art, wie miteinander gesprochen wird, als auch in der grundsätzlichen Akzeptanz demokratischer Prozesse.
Diese Sitzung wird nicht nur als Moment der Eskalation in Erinnerung bleiben, sondern als ein Symptom für die tieferen politischen Spannungen, die in Thüringen, also im demokratischen Deutschland gären.