Der neue Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, doch er steht nicht fest. Man hat sich rasch auf zahlreiche Maßnahmen verständigt, die die Freiheitsrechte der Bürger einschränken, doch ausgerechnet jene Punkte, die eine spürbare Entlastung für die Bevölkerung bringen könnten, bleiben vor allem eines: ungewiss.
Denn jede Maßnahme, von der Steuererleichterung bis zur Mütterrente, ist an eine Bedingung geknüpft: Geld muss da sein. Seite 51 spricht eine klare Sprache:
„Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.“
»Koalitionsvertrag Union & SPD / BILD«
SPD-Chef Lars Klingbeil bestätigt: „Alles heißt alles.“ Es bleibt der Eindruck eines Vertragswerks, das sich nur umsetzen lässt, wenn der Wind günstig weht und das heißt: Wenn die Kassen wider Erwarten gefüllt sind.
Politische Wünsch-dir-was-Ökonomie
Die Betonung liegt auf wider Erwarten, denn das wirtschaftliche Umfeld ist alles andere als freundlich. Was passiert, wenn die Konjunktur doch wieder anspringt? Dann greift der Plan der CDU: Statt Gerechtigkeit oder sozialer Sicherheit gibt es ein Prioritätsprogramm mit einem einzigen Ziel – Wirtschaftswachstum.
Christian Haase, CDU-Chefhaushälter, formuliert es in einem Interview mit BILD offen:
„Vorfahrt für Wachstum und Beschäftigung ist in der aktuellen schlechten Wirtschaftssituation wichtig. […] Finanzielle Spielräume sollten daher zuerst für wirtschaftliche Impulse genutzt werden, die eine Wachstumsdynamik entfachen und zu mehr Beschäftigung führen.“
»Christian Haase / BILD«
Übersetzt: Wenn der Staat Geld übrig hat, fließt es in Projekte, die neue Jobs schaffen sollen, zumindest auf dem Papier.
Sozialpolitik auf der Streichliste
Alles andere fällt durchs Raster. Besonders die Sozialpolitik. CDU-Haushälter Andreas Mattfeldt will jeden Euro, der nicht in Wirtschaftsankurbelung fließt, in die Haushaltskonsolidierung lenken. Soziale Projekte? Nicht mit ihm. Wörtlich zu BILD:
„Um Gottes Willen. Da ist jede Grenze längst überschritten.“
»Andreas Mattfeldt / BILD«
Seine Angst vor sozialen Ausgaben ist offenbar größer als jede Sorge um die Lebensrealität der Menschen mit kleinen Einkommen.
Steuererleichterung als Nebelkerze
Im Koalitionsvertrag heißt es: Eine Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen sei geplant. Wann genau, wie genau, mit welchem Volumen? Kein Wort dazu.

Und ob es überhaupt dazu kommt, steht ebenfalls nicht fest. CDU-Chef Friedrich Merz stellt klar:
„Wir hätten das in der Koalition mit den Sozialdemokraten gerne von Anfang an verabredet. Darüber hat es einen Dissens gegeben. Deswegen haben wir es offengelassen.“
»Friedrich Merz / WeLT«
Das Ergebnis: Eine Steuererleichterung auf Abruf – oder besser gesagt, ein Placebo für den Wahlkampf.
SPD-Forderungen als Staffage
Die SPD hat sich in den Koalitionsverhandlungen ambitioniert gegeben: Ein Mindestlohn von 15 Euro bis 2026, Steuererhöhungen für Reiche – klingt nach Umverteilung.
Für die Mindestlohnforderung liefert man nur ein mathematisches Zielbild. Eine rechtliche Verpflichtung gibt es nicht. Merz stellt klar:
„Das haben wir so nicht verabredet. […] Wir haben verabredet, dass wir davon ausgehen, dass die Mindestlohnkommission in diese Richtung denkt. Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben.“
»Friedrich Merz / Frankfurter Rundschau«
Die Verantwortung schiebt er an die Mindestlohnkommission weiter, eine elegante Methode, wieder einmal nichts zu entscheiden.
Konsens ohne Konsequenz
Dieser Vertrag ist ein politisches Dokument der doppelten Böden. Man spricht von Steuerentlastung, aber nur, wenn die Kasse es hergibt. Man verspricht soziale Verbesserungen, aber nur, wenn es niemanden stört. Und man verweist auf Expertengremien, wenn man selbst keine Verantwortung übernehmen will. Ergebnis: Ein Regierungsprogramm, das alles verspricht und nichts garantiert.
Friedrich Merz hält es derzeit für durchaus plausibel, dass Beschäftigte am Ende seiner Amtszeit netto schlechter dastehen könnten, bedingt durch höhere Sozialabgaben und ausbleibende Steuererleichterungen. Dennoch sieht er die Regierung in der Pflicht, genau dieses Szenario abzuwenden und durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Bürger am Ende der Legislaturperiode tatsächlich spürbar besser dastehen als jetzt.
„Es wird unsere Aufgabe sein, diese Befürchtung zu zerstreuen und das Richtige zu tun, damit am Ende dieser Wahlperiode die Menschen sagen: Es geht uns besser als zu Beginn.“
»Friedrich Merz / WeLT«
Zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit
Die Realität ist ernüchternd. Die Einkommensteuer soll gesenkt werden, vielleicht. Der Mindestlohn soll steigen, eventuell. Die Entlastung von Familien, das Elterngeld, die Mütterrente: Alles unter Vorbehalt. Wer heute wenig hat, kann sich auf morgen also nicht verlassen. Julian Reichelt fasst es zusammen:
Die neue Regierung aus CDU und SPD will weniger streiten. Dazu ein Update:
— Julian Reichelt (@jreichelt) April 13, 2025
– Senkung der Einkommenssteuer ist "nicht fix"
– Mindestlohn auf 15 Euro ist "nicht verabredet"
– Unklar, ob Milliarden aus dem Klimafonds dem Gesamthaushalt zur Verfügung stehen
– Zurückweisung von allen…
Politisches Fazit: Flexibel im Versprechen, rigide in der Umsetzung
Am Ende bleibt ein Vertrag, der vor allem eines enthält: Den politischen Reflex, jede echte Entlastung für die Bürger im Land zu vermeiden. Wenn Geld da ist, fließt es vorzugsweise in wirtschaftspolitische Maßnahmen mit ungewissem Nutzen. Für sozialpolitische Projekte fehlt der Wille. Da stellt sich die berechtigte Frage, wohin das milliardenschwere Paket eigentlich fließt, insbesondere, da am Ende die Bürgerinnen und Bürger dafür aufkommen müssen. Für sie selbst scheint es jedenfalls keinen erkennbaren Mehrwert zu bringen.
Der neue Koalitionsvertrag ist kein Plan für ein gerechteres Land, sondern ein Dokument politischer Machtabsicherung, das jetzt schon eine Farce ist, bevor er überhaupt begonnen hat.