Die Coronazeit ist aus medizinischer und politischer Sicht überwunden. Dennoch sind die Erinnerungen an die Einschränkungen fundamentaler Freiheitsrechte sowie an Erfahrungen von Stigmatisierung und Ausgrenzung für viele Menschen nach wie vor lebendig. Aus diesem Grund besteht ein weit verbreitetes Bedürfnis nach einer umfassenden und transparenten Aufarbeitung der Geschehnisse. Doch wie die ARD und ihre prominentesten Dauergäste nun offenbart haben, bleibt das Thema nichts weiter, als ein Quell der Unterhaltung und vor allem Werkzeug für die politische Positionierung. Was als sogenannte „Corona-Aufarbeitung“ angekündigt war, entpuppte sich im ARD-Abendprogramm mit der jüngsten Ausgabe von HART ABER FAIR samt begleitender Dokumentation als groteskes Schaustück: Eckart von Hirschhausen im moralischen Höhenflug, Karl Lauterbach im Wahlkampfmodus und ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der offenbar keine Schamgrenze mehr kennt.
Eckart von Hirschhausen: PR-Show statt Aufklärung
Eckart von Hirschhausen dominierte die Sendezeit im ARD mit einem Auftakt, der seine Selbstdarstellung in der Dokumentation Hirschhausen und der lange Schatten von Corona bis an die Schmerzgrenze trieb. Dort zeigte sich der ehemalige Komiker und Arzt in verschiedensten Posen: im grünen Kittel, im weißen Hemd, beim Radfahren und Telefonieren – ein wandelndes PR-Plakat, das keine Gelegenheit ausließ, um die moralische Überlegenheit seiner Position zu betonen.
In der Dokumentation verteidigt Hirschhaussen nachdrücklich die Impfkampagne während der Corona-Zeit. Er hat zudem eine weitere Agenda: die sogenannte „Infodemie“. Falschinformationen hätten während der Pandemie Leben gekostet, so Hirschhausen, der dies mit einer persönlichen Anekdote unterstreicht: Ein Bekannter sei ungeimpft gestorben, nachdem er Videos gesehen habe, die ihn von der Impfung abhielten. Es ist eine tragische Geschichte, aber wie repräsentativ ist sie? Hirschhausen nutzt sie, um die Rolle der sozialen Medien als Pandemietreiber zu brandmarken – ein einfacher Feind, der die komplexeren Probleme der Pandemiepolitik bequem verdeckt. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Impfung vor schweren Verläufen schütze, sei „auch aus heutiger Sicht immer noch richtig“, auch wenn der Impfschutz vor Übertragung weniger effektiv war als erwartet, verteidigte er.
Seine pauschalen Urteile lassen keinen Raum für eine Diskussion über die Gründe, warum Menschen den offiziellen Narrativen misstrauten. Stattdessen wurde jeder Zweifel als gefährliche Desinformation abgetan. Kritische Stimmen aus der Frühphase der sog. Pandemie – etwa Wolfgang Wodarg, der schon bei der Schweinegrippe skeptisch gewesen war – blieben schlichtweg unerwähnt.
Sein anschließendes Hauptanliegen bei HART ABER FAIR: Die angebliche Schuld der älteren Generation gegenüber der Jugend. Mit Sätzen wie „Sind wir nicht dieser Generation jetzt etwas schuldig?“ versuchte Hirschhausen, den Älteren ein schlechtes Gewissen einzureden, als hätten sie kollektiv beschlossen, das Leid der Jungen zu ignorieren. Dass seine Darstellung einseitig ist und viele Aspekte der Pandemie – etwa die Isolation der Alten – völlig ausblendet, scheint ihn nicht zu stören. Schlussendlich ging es im Programm des öffentlichen Senders nicht um Aufklärung – es war lediglich eine schlechte Inszenierung.
Die ARD und ihre Eigenwerbung: Aufarbeitung im Blindflug
„Sehr beeindruckend“, lobte Moderator Louis Klamroth die Hirschhausen-Dokumentation zu Beginn der Sendung. Das ist nicht nur Eigenwerbung, sondern auch ein symptomatischer Auftakt für eine Diskussion, die jede Tiefe vermissen ließ. Klaus Stöhr, einer der wenigen Kritiker, prangerte die Regierungsentscheidungen an und kritisierte, dass politisch gegensätzliche Stellungnahmen von Experten häufig ignoriert wurden. Doch seine Stimme ging in der chaotischen und selektiven, schnellen Diskussion unter. Es wurde deutlich, wie wenig Raum für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den komplexen Themen rund um die Pandemie und die damit verbundenen politischen Entscheidungen blieb. Stattdessen dominierte eine oberflächliche Betrachtung, die sich mehr auf schnelle Schlagworte und vereinfachte Narrative konzentrierte, anstatt tiefgehende Analysen und kritische Perspektiven zuzulassen.
Lauterbach: Der Gesundheitsminister, der nicht loslassen kann
Nach Hirschhausen war es an Karl Lauterbach, seine Rhetorik in den Ring zu werfen. Lauterbach, der sich als Mann der Stunde inszenierte, begann erwartungsgemäß mit einem Schulterklopfen: „Wir sind besser durch die Pandemie gekommen als viele europäische Länder mit ähnlicher Altersstruktur.“ Das soll vermutlich beruhigen – oder zumindest davon ablenken, dass die Nebenwirkungen seiner Maßnahmen nicht einmal systematisch erfasst wurden. Der Höhepunkt der Absurdität kam, als Lauterbach behauptete, die Impfung hätte Long Covid verhindert – nur, um im nächsten Moment zu warnen, dass auch Geimpfte bei wiederholten Infektionen gefährdet seien. Diese rhetorischen Pirouetten blieben weitgehend unwidersprochen.
Natürlich räumte Lauterbach auch kleine Fehler ein, wie das monatelange Schließen der Schulen, allerdings mit der gleichen Oberflächlichkeit, mit der er einst genau diese Maßnahmen verteidigte. Dass die Wirtschaft – „die Produktion“ – Vorrang hatte, scheint ihn nun plötzlich zu stören. Am Ende dominierte das gewohnte Narrativ: Die Maßnahmen waren hart, aber notwendig – Fehler, die gemacht wurden, sind bedauerliche Ausnahmen.
Schuld an allem ist aber sowieso die FDP. Lauterbach nutzte wiederholt die Bühne, um sich als Opfer der Ampel-Koalition zu inszenieren und die Liberalen als Sündenböcke darzustellen. „Ein beispielloser Verrat“, schimpfte er und wünschte der FDP bei der nächsten Bundestagswahl eine Bruchlandung unter der Fünf-Prozent-Hürde. Wahlkampfgetöse in Reinform – im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu einem völlig anderen Thema – natürlich auf Kosten der Beitragszahler.
Die Opfer der Pandemie: Einseitig, selektiv, unvollständig
Der “kritische Teil“ der Sendung drehte sich überwiegend um die Leiden der Jugend. Psychologin Melanie Eckert berichtete von über 160.000 Beratungen bei ihrem „Krisenchat“ und schilderte bewegende Einzelschicksale. Eine Mutter führte die Kamera ins Kinderzimmer ihrer Tochter, die zu schwach ist, um aufzustehen. Tragische Geschichten, zweifellos – aber sie vermitteln ein verzerrtes Bild. Denn während die Jugendlichen im Mittelpunkt standen, wurden die Alten weitgehend vergessen.
Heribert Prantl, Journalist der Süddeutschen Zeitung, wagte es immerhin, auf die entwürdigenden Zustände in Pflegeheimen hinzuweisen, wo Menschen allein sterben mussten. Lauterbachs Antwort darauf: „Ich weiß, dass das zum Teil schwierig war.“ Prantl kontert scharf: „Das war nicht schwierig, das war elend.“ Doch diese Wahrheit störte die glattgebügelte Inszenierung des Ministers und der ARD-Debatte, die die Pandemie lieber als Generationenkonflikt verkaufen wollte.
Die unsichtbaren Betroffenen der Pandemie
In der Debatte rund um die sogenannte Pandemie blieb ein bemerkenswerter Teil der Betroffenen nahezu unsichtbar: jene, die nicht nur unter den allgemeinen Grundrechtseinschränkungen litten, sondern auch eine besondere Form der sozialen und institutionellen Marginalisierung erfuhren. Dies betraf insbesondere Menschen, die sich entschieden, sich nicht impfen zu lassen, oder jene, die es wagten, politische Entscheidungen kritisch zu hinterfragen – ein kaum zu verzeihender Tabubruch in einer Zeit, die scheinbar von absolutem Konsens geprägt sein sollte.
Ihre Abweichung von der normativen Erwartung wurde nicht nur sanktioniert, sondern führte zu einer Dynamik, die an orchestrierte Ausgrenzung erinnerte. Diffamierungskampagnen in den Medien und Parlamenten, teils aggressiv vorgebrachte Anfeindungen im sozialen Umfeld, die Exklusion durch 2G-Regelungen, eine oft unverhältnismäßige Polizeigewalt und eine subtile, aber allgegenwärtige soziale Isolation waren für viele von ihnen keine Ausnahme, sondern der Alltag. Dass diese Mechanismen der Stigmatisierung von einer Gesellschaft ausgingen, die sich sonst gern mit Begriffen wie „Toleranz“ und „Solidarität“ schmückt, verleiht der Situation eine gewisse ironische Tragik.
Eine vertane Chance, die Komfortzone der Macht zu verlassen
Die angekündigte „Aufarbeitung“ der Corona-Pandemie im ARD ist ein erneutes Paradebeispiel dafür, wie wenig Interesse an echter Reflexion besteht. Statt die Grundrechtseingriffe und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen systematisch zu analysieren, wurde die Diskussion zur Bühne für moralische Belehrungen, politische Schuldzuweisungen und persönliche Anekdoten. Kritische Fragen, wie sie Heribert Prantl und Klaus Stöhr andeuteten, gingen im Lärm der Selbstdarsteller unter.
Vielleicht ist dies die eigentliche Lehre der Pandemie: Während die Gesellschaft unter den Maßnahmen litt, profitierten vor allem jene, die sie durchsetzten. Und so bleibt die ARD ihrer Linie treu – die Vergangenheit wird nicht kritisch hinterfragt, sondern zum Erfolgsmärchen umgeschrieben. Ein „beispielloser Verrat“? Vielleicht eher ein ekelerrender Offenbarungseid.