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Urteil: ‚Merkel diese dumme Schlampe‘ – zweifelhafte Entscheidung zur Reichweite von § 188 StGB

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Das OLG Zweibrücken hat am 30.09.2024 eine zweifelhafte Entscheidung in Bezug auf § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung) getroffen.
Zusammengefasst

Ein Facebook-User aus Kaiserslautern hatte im September 2021 einen Kommentar mit den Worten „Merkel im Ahrtal … daß sich diese dumme Schlampe nicht schämt…“ veröffentlicht.

Das AG Kaiserslautern verurteilte den Mann zu einer Geldstrafe. Dagegen legte er Berufung ein. Diese hatte Erfolg, denn das LG Kaiserslautern stellte das Verfahren gegen ihn, mit der Argumentation ein, dass bei der sog. Politikerbeleidigung nach § 188 StGB neben der Äußerung selbst auch die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Dabei müsse auch die Reichweite der jeweiligen Veröffentlichung berücksichtigt werden.

Das LG Kaiserslautern hingegen sah eine Reichweite, die eine Strafbarkeit rechtfertige, im vorliegenden Fall, als nicht gegeben an, denn der Facebook-Nutzer habe lediglich 417 „Freunde“.
Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Revision ein. Daraufhin hob das OLG Zweibrücken das Urteil des LG Kaiserslautern auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an eine andere Kammer des LG Kaiserslautern zurück, denn es komme einzig auf den Inhalt der Äußerung an und nicht auf sonstige Umstände. Dies würde auch dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, denn dieser habe den Anwendungsbereich des § 188 StGB im Jahre 2021 erheblich ausgeweitet, um Politiker besser vor Beleidigungen schützen zu können. Dabei bezog sich das OLG auf die alte Rechtsprechung des BGH aus den Jahren 1954, 1980 und 1981.

Dem kann aber unter keinen Umständen zugestimmt werden. Bei dieser veralteten Rechtsprechung des BGH geht es um Verleumdungen bzw. üble Nachreden und nicht um Beleidigungen, so dass diese Rechtsprechung nicht ohne Weiteres auf Sachverhalte mit angeblichen Beleidigungen übertragen werden kann.

Das OLG Zweibrücken hat offenbar ebenfalls die Systematik und den Wortlaut des § 188 nicht ausreichend berücksichtigt.

Denn in § 188 Abs. 1 StGB heißt es:

„Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Abs. 3) eine Beleidigung (§ 185 StGB) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beteiligten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe.“

§ 188 Abs. 1 StGB

§ 188 StGB stellt eine Qualifikation der normalen Beleidigung nach § 185 StGB dar. Würde man Gesamtumstände der „Tat“, also der beleidigen Äußerung, nicht miteinbeziehen, würde die Gefahr bestehen, dass das Verhältnis von Grundtatbestand (§ 185 StGB) und Qualifikation (§ 188 StGB) untergraben wird.

Dazu führte das AG Schwetzingen in einem Urteil vom 26.06.2023 aus:

„Es sind nämlich kaum Fälle der §§ 186 und 187 StGB denkbar, die dann nicht zu einer Erfüllung des Qualifikationstatbestandes führen, wenn die Tatsache in Bezug auf eine Person des politischen Lebens geäußert wird. Die meisten Fälle, die die Strafverfolgungsbehörden beschäftigen stammen gerade aus dem Bereich der Internetmedien, sodass es sich fast ausschließlich um Inhalte nach § 11 Abs. 3 StGB handelt. Dies führt zu einer Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Grundtatbestand und Qualifikation.“

AG Schwetzingen Urt. v. 26.6.2023 – 2 Cs 806 Js 336/23

Um das Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation nicht umzukehren, ist also bei § 188 StGB ein „Mehr” zu fordern. Dies übersieht das OLG Zweibrücken jedoch. § 188 StGB spricht von einer Erheblichkeitsschwelle, die die beleidigende Äußerung überschreiten muss. Diese wird mit einer normalen Beleidigung nicht zwangsläufig erreicht.

Das AG Schwetzingen stellte folgende Kontrollüberlegung auf:

„Es ist daher nach Auffassung des Gerichts darauf abzustellen, ob die Gefahr besteht, dass ein vernünftiger, durchschnittlicher Bürger durch die Äußerung ernsthaft an der Integrität oder Lauterkeit der politischen Person zweifeln oder das politische Wirken der Person in Frage stellen würde. […]
Die Kontrollüberlegung soll den Tatbestand daher nicht von seiner Ausgestaltung zu einem konkreten Gefährdungsdelikt umgestalten, sondern eben auch das Merkmal der „Erheblichkeit“ im Sinne der Vorschrift abbilden.“

AG Schwetzingen

Der Entscheidung des AG Schwetzingen ist voll zuzustimmen. Mit der Entscheidung des OLG Zweibrücken wird jedoch die Systematik der Beleidigungsdelikte völlig umgekehrt. Auch übersieht das OLG die Erheblichkeitsschwelle des § 188 StGB. Hätte der Gesetzgeber eine Vorschrift eigens für Politikerbeleidigungen schaffen wollen, dann hätte er zumindest die Erheblichkeitsschwelle nicht in die Vorschrift aufgenommen. Es ging offenbar darum unter § 188 StGB nur extreme Äußerungen zu fassen, die tatsächlich das politische Wirken eines Politikers beeinträchtigen könnten.

Durch die Erheblichkeitsschwelle kann eine Strafbarkeit nach § 188 StGB nur vorliegen, wenn auch tatsächlich festgestellt wird, dass die Äußerung bspw. aufgrund einer sehr großen Reichweite und aufgrund der Äußerung selbst, geeignet ist das öffentliche Wirken des Politikers zu beeinträchtigen. Es ist aber kaum eine Äußerung denkbar, die das tatsächlich schaffen könnte.

Auch das OLG Celle hat in einer Entscheidung in Juli 2024 (OLG Celle, Beschluss vom 23.07.2024 – 1 ORs 19/24) zu § 188 StGB ausgeführt, dass die Gesamtumstände der Äußerung berücksichtigt werden müssen.

Es führte aus: „Die Offenheit des gesetzlichen Tatbestandes macht indes konkrete Feststellungen zu den denkbaren Auswirkungen der Äußerung und deren Bewertung durch das Tatgericht nicht entbehrlich. Denn § 188 StGB sanktioniert gerade nicht jede nach §§ 185-187 StGB strafbare Tat gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person mit einer gegenüber dem Regelstrafrahmen höheren Strafe, sondern greift als Qualifikation nur unter der zusätzlichen Voraussetzung ein, dass sich die Tat zur erheblichen Erschwerung der Tätigkeit der öffentlichen Person eignet. Gerade in dem zusätzlichen Erfordernis der Erheblichkeit einer solchen Erschwerung wird deutlich, dass diesem Erfordernis eine tatbestandsbegrenzende Funktion zukommt und dass die Anwendung des § 188 StGB eine Bewertung der Schwere der möglichen Tatfolgen erfordert.“

Die Entscheidungen der beiden Oberlandesgerichte widersprechen sich. Wobei das OLG Celle nicht mit veralteter Rechtsprechung des BGH argumentiert, die auf Beleidigungen gar nicht anwendbar sein dürfte, sondern selbst Überlegungen dahingehend anstellt, unter welchen Voraussetzungen eine Strafbarkeit nach § 188 StGB möglich ist.

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Viktoria Dannenmaier

Viktoria Dannenmaier ist Rechtsanwältin bei Haintz Legal und fungiert ab und an als Gastautorin für HAINTZ.media, wo sie von den Fällen berichtet, die sie für die Kanzlei vor Gericht betreut.

Eine Antwort

  1. Ob hier die andere Kammer des LG Kaiserslautern im Sinne der ersten Kammer entscheiden wird, ist zweifelhaft, da sie wahrscheinlich nicht wieder vor dem OLG landen will. Wenn die Entscheidung im Sinne des OLG erfolgt, dürften die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels überschaubar sein. Das nennt sich dann Rechtsstaat.

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