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Rohstoffe statt Lebensraum: Der neue Krieg gegen Russland – offizielle Narrative

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Seit Jahren eskaliert die Konfrontation zwischen dem Westen und Russland. Geht es tatsächlich nur um Demokratie und Sicherheit oder steckt eine langfristige Strategie dahinter, Russlands Rohstoffreichtum zu kontrollieren? Ein analytischer Blick hinter die Kulissen der Geopolitik in zwei Teilen.
Zusammengefasst

Ein Beitrag von Dejan Lazić

Die Interessenslage

Europa erlebt in den letzten Jahren eine dramatische Verschärfung der Spannungen mit Russland. Vordergründig gehtes um Werte und Sicherheit, tatsächlich dürften handfeste wirtschaftliche Interessen dahinterstecken. Die These, dass der Westen (EU/USA) strategisch ein Interesse daran haben könnte, Russland zu destabilisieren, um sich langfristig den Zugriff auf Russlands enorme Rohstoffvorkommen zu sichern, klingt provokant. Doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sich historische Kontinuitäten und Parallelen, geopolitische Kalküle und handfeste Widersprüche in der westlichen Politik, die ein solches Motiv als wahrscheinlich erscheinen lassen.

Im diesem ersten Teil („offizielle Narrative“) blicken wir hinter die Fassaden offizieller Narrative. Wir beleuchten, wie Russland militärisch unter Druck gesetzt wird – von der NATO-Erweiterung über Aufrüstung bis hin zu Sanktionen und dem Ukraine-Konflikt – und ziehen Vergleiche zur Strategie des Kalten Krieges gegenüber der Sowjetunion. 

Im folgenden zweiten Teil stehen Deutschland und Europa im Fokus: Welche Rolle spielen deutsche und europäische Interessen in diesem Machtpoker? Gleichzeitig beziehen wir internationale, nicht westlich dominierte Perspektiven mit ein – von russischen und chinesischen Medien bis hin zu Stimmen aus dem globalen Süden. Am Ende steht eine kritische Auswertung: Wie plausibel ist die Vermutung, dass es dem Westen weniger um Demokratie und Sicherheit und mehr um Russlands Ressourcen geht? Und welche sicherheitspolitischen Dilemmata ergeben sich daraus?

Rohstoffsicherung als militärische Strategie

Die Sicherung von Rohstoffquellen und Handelswegen ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg tief in der sicherheitspolitischen Strategie westlicher Staaten und Militärallianzen verankert. Bereits im »Weißbuch der Bundeswehr 2006« wird betont, dass Deutschland in hohem Maße von gesicherter Rohstoffzufuhr und sicheren globalen Transportwegen abhängig ist. Störungen dieser Ströme könnten gravierende Auswirkungen auf Wirtschaft und sozialen Frieden haben. Diese Perspektive wird in den »Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011« weitergeführt, die explizit Engpässe bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen als sicherheitsrelevante Risiken benennen. Das »Weißbuch 2016« unterstreicht erneut die Bedeutung sicherer maritimer Versorgungswege für die exportorientierte deutsche Wirtschaft.

Auch die NATO hat die Sicherung lebenswichtiger Ressourcen in ihrem »Strategischen Konzept von 2010« verankert. Darin wird die Fähigkeit der Allianz betont, zur Energiesicherheit beizutragen, einschließlich des Schutzes kritischer Energieinfrastruktur und der Transitwege. Die »Allied Joint Docrtine AJP-01« von 2017 prognostiziert anhaltende Konflikte um Ressourcen, insbesondere um Energieträger wie Öl und Gas, und hebt hervor, dass deren geographische Verteilung und Transportwege sicherheitspolitische Herausforderungen darstellen.

Diese strategische Ausrichtung auf Rohstoffsicherung wirft kritische Fragen auf. Während öffentlich häufig humanitäre und demokratische Motive für Auslandseinsätze genannt werden, sprechen offizielle Dokumente unmissverständlich von wirtschaftlichen Interessen. Dass NATO und Bundeswehr letztlich auch die Aufgabe haben, die Ressourcenzufuhr westlicher Industrieländer zu gewährleisten, ist in der breiten öffentlichen Debatte bislang kaum thematisiert worden. Diese fehlende Transparenz und Diskussion um die wahren Motive militärischer Strategien wirft ein Schlaglicht auf die Doppelbödigkeit westlicher Sicherheitspolitik und erfordert dringend eine kritischere Auseinandersetzung.

Offizielle Narrative vs. versteckte Motive

Fragt man westliche Regierungsvertreter, geht es im Ukraine-Konflikt um Prinzipien: die Verteidigung der Souveränität und der internationalen Regeln, den Schutz der Demokratie gegen autoritäre Aggression. Regierungsnarrative zeichnen ein Bild, in dem die NATO ein rein defensives Bündnis ist und Russland ohne provozierenden Anlass die europäische Friedensordnung untergraben habe. So »betont die NATO« gebetsmühlenartig, sie habe nie versucht, Russland zu marginalisieren, sondern im Gegenteil Partnerschaft angeboten. Der Einmarsch in der Ukraine wird als völlig unprovozierter Akt eines expansiven Kreml dargestellt, gegen den man geschlossen und wertegeleitet auftreten müsse.

Doch alternative Gegenperspektiven – sei es aus Moskau, Peking oder kritischen westlichen Stimmen – zweifeln an dieser hehren Selbstdarstellung. Ihnen zufolge könnten hinter der harten Linie des Westens gegenüber Russland durchaus machtpolitische und ökonomische Interessen stehen. »Wladimir Putin« selbst unterstellt dem „kollektiven Westen“ offen feindselige Absichten: Man wolle Russland letztlich „in Teile aufbrechen” und zu einem schwachen, abhängigen Staat degradieren. In Putins Lesart ist der Westen nicht bereit, eine starke, eigenständige Macht wie Russland zu tolerieren – schon gar nicht eine, die immense natürliche Reichtümer kontrolliert. Solche Warnungen mögen westlichen Ohren nach Propaganda klingen. Aber es lohnt ein Blick darauf, was tatsächlich in westlichen Denkfabriken und Strategiezirkeln diskutiert wird. Strategiepapiere aus den USA zeigen durchaus, dass die Idee, Russland gezielt zu schwächen, keineswegs nur russische Paranoia ist.

Ein bemerkenswertes Beispiel liefert ein »Bericht der renommierten RAND Corporation« aus dem Jahr 2019, der verschiedene Optionen skizziert, um Russland zu „überdehnen und aus dem Gleichgewicht zu bringen“. Das Papier identifiziert Russlands größte Schwäche klar: „In jeglicher Konkurrenz mit den USA ist Russlands größte Verwundbarkeit seine Wirtschaft, die vergleichsweise klein und stark von Energieexporten abhängig ist.” Darauf aufbauend empfehlen die Experten eine Reihe von „Kosten auferlegenden“Maßnahmen, um Moskau unter Druck zu setzen. Darunter: die Ausweitung der US-Energieproduktion (was zu niedrigeren Weltmarktpreisen und Einnahmeverlusten für Russland führt), schärfere Handels- und Finanzsanktionen sowie verstärkte militärische Präsenz der NATO nahe Russlands Grenzen. Der Kern: Die wirtschaftliche Substanz Russlands soll geschwächt werden, indem man an den wunden Punkten ansetzt – und die liegen vor allem im Energiesektor. Dieser strategische Fahrplan, lange vor der Eskalation 2022 entworfen, liest sich heute fast wie eine Blaupause dessen, was tatsächlich geschah.

Auch führende Geostrategen offenbaren unverblümt machtpolitische Motive. »George Friedman«, US-Analyst und Gründer der Denkfabrik Stratfor, schrieb bereits 2010, die größte potenzielle Bedrohung für die USA wäre eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland – das müsse „im Keim erstickt” werden. 2015 legte Friedman in einer Rede nach: „Die Aufrechterhaltung eines starken Keils zwischen Deutschland und Russland ist für die Vereinigten Staaten von überwältigendem Interesse.” Mit entwaffnender Offenheit erklärte er, dies sei seit einem Jahrhundert ein Hauptgrund für amerikanische Interventionen in Europa. Aus US-Sicht würde eine Verbindung deutscher Technologie und Kapitalmacht mit russischen Ressourcen und Rohstoffen einen Rivalen schaffen, der die Vorherrschaft der USA gefährden könnte. Washingtons Interesse an einer dauerhaften Trennung dieser beiden Eurasischen Schwergewichte ist somit strategisch – und erklärt, warum etwa die enge Energiepartnerschaft zwischen Berlin und Moskau (Stichwort Nord Stream) US-Geostrategen stets ein Dorn im Auge war.

Solche Äußerungen legen offen, dass hinter dem moralischen Sendungsbewusstsein des Westens kalte Machtkalküle stehen. Natürlich lässt sich argumentieren, dass eine Politik, die Russland schwächen will, lediglich eine Reaktion auf Russlands eigenes aggressives Verhalten ist. Doch die Kausalität ist hier umstritten und zum Teil ein Henne-Ei-Problem. War die NATO-Erweiterung und westliche Einflussnahme im postsowjetischen Raum eine defensive Maßnahme gegen einen latent bedrohlichen Staat? Oder sah sich Moskau erst durch diese Expansion in die Enge getrieben und reagierte aggressiv? Bereits lange vor 2022 »warnten einige westliche Realpolitiker«, man dürfe Russlands Sicherheitsinteressen nicht ignorieren – »John Mearsheimer« etwa prognostizierte 2014, die Ukraine-Politik des Westens würde unweigerlich zum Konflikt führen. Chinesische Medien wie die Global Times sekundierten, der Westen habe nach 1991 im Siegestaumel versucht, seinen Einfluss immer weiter bis an Russlands Kern heranzutragen, NATO und EU nach Osten auszudehnen und Regimewechsel in Moskaus Umfeld voranzutreiben. Aus dieser Sicht provozierte die westliche Triumphmentalität die Eskalation geradezu – und womöglich bewusst.

Kalter Krieg 2.0: Militärischer Druck auf Moskau

Ein zentraler Aspekt der These ist die militärische Einkreisung und Druckausübung gegenüber Russland, die an den Kalten Krieg erinnert. Tatsächlich ist die Parallele unverkennbar: Wie einst die Sowjetunion sieht sich heute Russland einer massiven Übermacht an der eigenen Peripherie gegenüber. Die NATO hat sich seit 1999 in mehreren Wellen bis an Russlands Grenzen ausgedehnt. Entgegen früheren Andeutungen, solche Erweiterungen seien nicht geplant (Stichwort „not one inch eastward“), traten mittlerweile alle ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten sowie die drei baltischen Republiken dem Bündnis bei. Moskau fühlte sich davon »existenziell bedroht«, während der Westen es als souveräne Entscheidung dieser Länder verbuchte. Der klassische Sicherheitsdilemma-Effekt trat ein: Was der Westen als legitime Defensive ansah, wirkte auf Russland wie Offensive.

Seit 2014 hat die NATO ihre Ostflanke noch weiter aufgerüstet. Es wurden multinationale Battlegroups in Polen und im Baltikum stationiert, Manöver intensiviert und jüngst Finnland in Rekordzeit als Mitglied aufgenommen. Russland ist nun entlang einer riesigen Front mit NATO-Staaten oder -Partnern konfrontiert. Die Stationierung westlicher Truppen und Raketensysteme in unmittelbarer Nähe weckt in Moskau Erinnerungen an die Bedrohungslage der 1980er, als Pershing-II-Raketen in Westeuropa aufgestellt wurden. Entsprechend schrill fielen die Warnungen aus: Jede weitere Waffenlieferung, etwa deutsche Marschflugkörper vom Typ Taurus, werde man als direkte Kriegsbeteiligung werten, »drohte das russiche Außenministerium« im Herbst 2024. Das Säbelrasseln auf beiden Seiten verstärkt die Dynamik einer Konfrontation, die keiner offen will, die aber offenbar einkalkuliert wird.

Militärisch ist Russland dem Westen bei konventionellen Streitkräften haushoch unterlegen, was dessen Gefühl der Einkreisung nur verstärkt – und gleichzeitig den westlichen Druck umso riskanter macht, da Moskau im Ernstfall nur noch die nukleare Karte bliebe. »Zahlen aus dem Jahr 2021« verdeutlichen das Ungleichgewicht eindrücklich: Russland gab etwa 66 Milliarden Dollar für sein Militär aus, die europäischen NATO-Staaten zusammen jedoch mehr als das Vierfache und die USA noch einmal weit mehr – insgesamt mobilisierten die Vereinigten Staaten allein über 800 Milliarden, also das Elffache des russischen Budgets. NATO-Streitkräfte verfügen über ein Vielfaches an modernen Waffensystemen und globaler Projektionsfähigkeit. Schon im Kalten Krieg lag die sowjetische Wirtschaftskraft hinter der westlichen, doch heute ist der Abstand noch gravierender. Daraus erklärt sich die westliche Annahme, man könne Russland in einem Rüstungswettlauf zermürben: Wenn Moskau versucht mitzuhalten, überlastet es seine begrenzten Ressourcen – so wie die UdSSR in den 1980ern an der kombinierten Last von Wettrüsten und Krieg in Afghanistan wirtschaftlich zerbrach. Genau diesen Vergleich ziehen viele Analysten: Die Ukraine könnte für Russland zum „Afghanistan 2.0“ werden – ein blutiges Schlamassel, in dem Moskau Jahr für Jahr seine Truppen und Kassen ausbluten sieht, während der Westen (diesmal in Form von Waffenlieferungen an Kiew) den Konflikt am Köcheln hält.

Tatsächlich sprechen westliche Offizielle teils erstaunlich offen aus, dass die Schwächung Russlands ein Ziel ist. »US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte« im April 2022 nach einem Besuch in Kiew unverblümt: „Wir wollen Russland in dem Maße geschwächt sehen, dass es nicht mehr in der Lage ist, solche Dinge zu tun, wie es sie beim Einmarsch in die Ukraine getan hat.“. Diese Aussage – Russland solle militärisch so weit geschwächt werden, dass es lange keine Bedrohung mehr darstellen kann – markierte einen Wandel der Rhetorik. Bis dahin hatte Washington betont, es gehe lediglich um die Unterstützung der Ukraine; nun definierte man die eigenen Kriegsziele breiter. Die Botschaft: Der Krieg wird genutzt, um Russlands militärisches Potential auf Jahre hinaus zu degradieren. In London klang es ähnlich: der britische »Verteidigungsminister Ben Wallace rühmte sich«, ein Viertel von Russlands militärischer Kampfkraft sei bereits vernichtet. Offizielle Dementis, man betreibe keinen Regime-Change in Moskau, wirken in diesem Licht wenig überzeugend – zumal US-Präsident Biden in einer emotionalen »Rede in Warschau« ausrief: „Um Gottes Willen, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben!“ (Eine Äußerung, die das Weiße Haus eilends relativierte.)

Aus Sicht des Westens mag all dies der legitimen Verteidigung gegen einen Aggressor dienen, der gerade ein Nachbarland überfallen hat. Doch man kann die gleiche Entwicklung auch als bewusste Eskalationsstrategie interpretieren: Russland in einen kostspieligen Krieg verwickeln, es mit Sanktionen und Aufrüstung in die Knie zwingen – und so möglicherweise politische Veränderungen oder gar einen Zusammenbruch herbeiführen.

Wirtschaftskrieg und Rohstoff-Poker

Neben der militärischen Konfrontation tobt mit zunehmender Vehemenz ein wirtschaftlicher Krieg, der ebenfalls Parallelen zur Kalten Kriegsführung aufweist. Sanktionen gegen Russland gibt es seit 2014, doch 2022 haben EU und USA ihr schärfstes Sanktionsarsenal gezückt: Von Finanzsanktionen (Ausschluss Russlands aus SWIFT, Einfrieren russischer Staatsreserven) über Exportkontrollen (etwa für High-Tech wie Halbleiter) bis hin zu umfassenden Embargos auf Kohle, Öl und Gas. Es ist der Versuch, eine große Volkswirtschaft von 140 Millionen Einwohnern vom westlich geprägten Weltmarkt abzuschneiden – beispiellos gegenüber einer Atommacht.

Ökonomisch trifft dieser Druckpunkt Russland ins Mark: Die Einnahmen aus dem Export von Öl, Gas und anderen Rohstoffen sind der Lebensnerv der russischen Wirtschaft. Genau hier setzt der Westen an. Schon im Kalten Krieg hatte Washington mit Saudi-Arabien kooperiert, um durch erhöhte Ölproduktion den Preis zu drücken und Moskau die Petrodollars zu entziehen. Heute geschieht Vergleichbares: Die USA steigerten ihre eigene Fördermenge an Öl und Gas in den letzten Jahren drastisch und wurden 2019 erstmals Netto-Exporteur. Laut »RAND-Studie« zählt „eine Ausweitung der US-Energieproduktion“ zu den vielversprechendsten Optionen, um Russland zu schaden. Gleichzeitig versucht man, Drittstaaten vom Kauf russischer Energie abzubringen. Die EU verbannte die meisten russischen Ölimporte und strebt an, auch ihre restlichen Gaseinkäufe zu beenden (ironischerweise stiegen dafür die deutlich teureren LNG-Importe aus den USA sprunghaft an). Vor dem Krieg bezog die EU »40 % ihres Erdgases« aus Russland – eine strategische Abhängigkeit, die nun mit aller Macht aufgeknackt wurde. Binnen anderthalb Jahren sank dieser Anteil auf unter 15 %, während amerikanisches Flüssiggas in europäischen Häfen anlandete. US-Senator John McCain hatte Russland einmal höhnisch als „eine Tankstelle, die sich als Staat ausgibt” »bezeichnet«. Dahinter stand das Kalkül, dass Europas Versorgung auch ohne Russland gesichert werden könne – und Moskau damit seiner größten Einnahmequelle beraubt würde. Genau das versucht man jetzt: Russland soll zum wirtschaftlichen Ausbluten gebracht werden, indem man es seiner Rohstoff-Kunden beraubt und gleichzeitig den Preis drückt (etwa durch Preisobergrenzen für russisches Öl).

Die ersten Ergebnisse dieses Sanktions- und Energiepokers sind ambivalent. Russland konnte 2022/23 seinen Öl- und Gasexport zwar zum Teil nach Asien umlenken, musste aber hohe Preisnachlässe gewähren. Gleichzeitig stiegen weltweit die Energiepreise, was insbesondere Europa selbst schwer belastete. Hier zeigt sich ein innerer Widerspruch der westlichen Politik: Im Bestreben, Russland zu schaden, nimmt man erhebliche eigene ökonomische Nachteile in Kauf – von Rekordinflation bis zu Wettbewerbsproblemen energieintensiver Industrien in Deutschland. Kritiker sprechen von einem „Eigentor“, Befürworter halten dagegen, Freiheit habe ihren Preis. Dennoch stellt sich die Frage: Warum verfolgen EU-Staaten Maßnahmen, die kurzfristig vor allem ihnen selbst schaden? Könnte die Antwort sein, dass man längerfristig tatsächlich auf einen endgültigen Zugriff auf Ressourcen spekuliert – nämlich dann, wenn Russland geschwächt oder destabilisiert ist?

Ein Blick auf die »Rohstofflandschaft Russlands« verdeutlicht die potenziellen Interessen: Das flächenmäßig größte Land der Erde verfügt über die weltweit größten Gasreserven, die zweitgrößten Kohlereserven und mit die größten Ölvorkommen. Dazu enorme Ressourcen an strategisch wichtigen Metallen (Nickel, Palladium, Platin, Aluminium) und mineralischen Rohstoffen (Phosphate, seltene Erden). In einer Welt, in der der Wettbewerb um kritische Materialien zunimmt (für Batterien, Halbleiter, Rüstung etc.), ist Russland eine wahre Schatzkammer. Bisher kontrolliert der russische Staat diese Reichtümer über Staatskonzerne wie Gazprom, Rosneft, Rusal usw. – sehr zum Ärger mancher westlicher Konzerne, die in den 1990ern hofften, sich ein großes Stück vom Kuchen zu sichern. Damals, unter Boris Jelzin, drängten westliche Berater Russland zur »Schocktherapie-Privatisierung«, was einen Ausverkauf ganzer Industrien an Oligarchen einleitete. Es entstand eine neue »Klasse Superreicher«, während Millionen Russen verarmten. Doch anstatt Russland als Partner aufzubauen, setzte der Westen weiter auf strategische Dominanz, u. a. durch die »NATO-Osterweiterung«. Putin stoppte schließlich viele dieser Privatisierungen, brachte Öl- und Gasexport wieder unter staatliche Kontrolle und verstaatlichte faktisch Konzerne wie Yukos. Westliche Energie-Multis, die in den 2000ern in Russland aktiv waren (BP, Shell, Exxon), wurden in Joint Ventures an der kurzen Leine gehalten – und nach 2022 ganz hinausgeworfen.

Eine Destabilisierung Russlands könnte diese Lage fundamental ändern. Sollte Russland ernsthaft ins Wanken geraten – sei es durch einen verlorenen Krieg, innere Konflikte oder wirtschaftlichen Kollaps – würden westliche Unternehmen und Regierungen zweifellos versuchen, ihren Einfluss zurückzugewinnen. Ein „Regimewechsel“ in Moskau, sei er intern oder extern induziert, könnte Türen öffnen für Privatisierungen und Investitionen, die derzeit undenkbar sind. Einige Hardliner gehen noch weiter: Sie denken offen über die Aufsplitterung der Russischen Föderation nach. So argumentiert der »US-Strategieexperte Janusz Bugajski« in seinem Buch Failed State: A Guide to Russia’s Rupture, dass ein Zerfall Russlands letztlich positiv für die Welt wäre – ein verkleinertes Russland hätte „reduzierte Fähigkeiten, Nachbarn anzugreifen”.

In westlichen Think-Tank-Kreisen mehren sich seit Kriegsbeginn 2022 tatsächlich die Stimmen, die ein »Auseinanderbrechen Russlands« zumindest diskutieren. Zwar warnen andere Analysten vor dem Chaos, das ein plötzlicher Zerfall – quasi ein „Libyen mit Nuklearwaffen“ – auslösen könnte. Doch dass solche Überlegungen überhaupt angestellt werden, zeigt eine bemerkenswerte Radikalisierung der Denkmuster: Vom ursprünglichen Ziel, Putin aus der Ukraine zurückzudrängen, hin zur Vorstellung, Russland als solches könne man dauerhaft schwächen oder sogar fragmentieren.

Der „Drang nach Osten“

Hier schimmert für manche Kritiker eine unheimliche Parallele zur Geschichte durch: Im Grunde der moderne „Drang nach Osten“ – nicht territorial in Form von Eroberungen von Lebensraum, aber in Form von ökonomischer und politischer Durchdringung. Russlands Rohstoffe – ob in Sibirien, der Arktis oder den Steppen Zentralrusslands – sind verlockend. Öffnet sich das Machtvakuum, wären westliche Konzerne und westliches Kapital sofort zur Stelle, so die Vermutung. Der Kreml spielt  genau mit dieser Angst: Der Westen wolle Russland „wie einst Afrika“ kolonialisieren und ausplündern. 

Interessanterweise wird auch in Bezug auf »die Ukraine« selbst immer offener über den Ausverkauf der Ressourcen gesprochen. Die Ukraine ist reich an Bodenschätzen wie Eisen, Titan, Lithium und hat fruchtbare Böden – ebenfalls ein geopolitischer Faktor. Ein »großer Teil dieser Reichtümer« liegt allerdings in den von Russland besetzten Gebieten (insbesondere im Donbass und in Saporischschja). Ukrainische Regierungsvertreter beziffern den Wert der in russisch kontrollierten Territorien liegenden kritischen Rohstoffe auf »rund 350 Milliarden US-Dollar«. Die USA wiederum haben bereits im Februar 2025 mit Kiew einen „Critical Minerals Deal” ausgehandelt, der Washington »Vorzugszugang« zu ukrainischen Mineralien sichern soll – als Teil des Wiederaufbaus und quasi als Gegenleistung für westliche Unterstützung. In diesem Abkommen ist vorgesehen, einen Fonds einzurichten, in den Erlöse aus ukrainischen Rohstoffverkäufen fließen, bis zu einer Summe von 500 Mrd. Dollar, wovon die Hälfte an die USA geht. Kritiker nannten dies unverhohlen einen Akt von „Piraterie“ – doch es zeigt sich: Wenn es um viel Geld und Ressourcen geht, werden auch im Westen Werte flexibel interpretiert. Zwar betrifft das direkt „nur“ die Ukraine, doch es demonstriert ein Prinzip: Wirtschaftliche Verwertung folgt auf militärische und finanzielle Engagements.

Es ist offensichtlich, dass sich hinter der vermeintlichen Verteidigung demokratischer Werte und der regelbasierten Weltordnung handfeste strategische und wirtschaftliche Kalküle verbergen. Während der Westen offiziell Geschlossenheit und Werteorientierung betont, zeigen kritische und nicht-westliche Perspektiven eine deutlich differenziertere Sichtweise auf den Konflikt. Im zweiten Teil der Analyse widmen wir uns daher dann der Rolle Deutschlands und Europas in diesem geopolitischen Spannungsfeld, untersuchen Widersprüche in der westlichen Politik und werfen einen Blick auf globale Perspektiven, die häufig von westlichen Medien ignoriert oder nur oberflächlich behandelt werden. Die Kernfrage bleibt: Wem nützt dieser Konflikt wirklich?_____________________________________________________________________________________

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht zwingend die Ansichten der Redaktion von HAINTZmedia wider. Rechte und inhaltliche Verantwortung liegen beim Autor.

Dejan Lazić, Sozialökonom und Wirtschaftsjurist, Hochschuldozent für Staats- u. Migrationsrecht (2002-2022), CEO einer internationalen Rechts- und Wirtschaftsberatungsgesellschaft. Als Gründungsmitglied des BSW machte er sich vor allem als scharfsinniger parteiinterner Kritiker einen Namen: Ein „BSW-Rebell“ mit Prinzipien.

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