Während Bundeskanzler Olaf Scholz bei Waffenlieferungen an die Ukraine zunächst meist etwas vorsichtiger agierte als einige Mitglieder der Grünen und der FDP es gerne gesehen hätten, schlägt Oppositionsführer Friedrich Merz einen deutlich heftigeren Ton an. Der CDU-Vorsitzende, der nun seine Positionen in den Wahlkampf trägt, äußert sich affirmativ bzgl. der Bereitstellung der umstrittenen Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine. Dies könnte die militärische Unterstützung durch Deutschland für Kiew erheblich verstärken.
Mit der Ankündigung von Neuwahlen, ausgelöst durch die Vertrauensfrage des Kanzlers, verschieben sich die Kräfteverhältnisse. Merz nutzt dies, um Druck auf Scholz und die SPD zu erhöhen und fordert zugleich eine klare Antwort auf die fortgesetzten russischen Angriffe. Während Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel im Oktober bekräftigte, dass die Eskalationsrisiken einer solchen Lieferung für Deutschland zu hoch seien, hält Merz diesen Kurs für unzureichend.
In seiner Rede bei der Regierungserklärung zum Europäischen Rat konstatierte er:
„Dass die Ukraine gegen Putin mit einer Hand auf dem Rücken kämpfen muss, das geht so nicht weiter und wenn Putin das nicht akzeptiert, dann muss der nächste Schritt erfolgen und ihm gesagt werden, wenn er nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, dann müssen aus der Bundesrepublik Deutschland auch Taurus Marschflugkörper geliefert werden.“
Friedrich Merz
In einem Interview mit dem Magazin Stern verleiht Merz diesen Worten noch einmal Ausdruck. Er stellt damit den Konflikt auf eine neue Stufe. Seine Äußerungen kommen erneut einem Ultimatum an Kremlchef Wladimir Putin gleich. Merz argumentiert, dass Deutschland nicht zögern dürfe, Kiew alle erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, ohne selbst aktiv in den Krieg einzutreten.
In seinen Aussagen stellt Merz klar, dass er als möglicher Kanzler durchaus bereit wäre, im Einklang mit europäischen und transatlantischen Partnern auch ein persönliches Gespräch mit Putin zu führen, ein Punkt, den er mit Scholz teilt, jedoch mit anderer Zielsetzung: Der CDU-Chef will bei Verhandlungen jede Illusion vermeiden und vor allem Druck aufbauen, wie der Merkur berichtet. Eine militärische Stärkung der Ukraine soll den Handlungsspielraum des Kremls weiter einengen.
Neue Situation durch US-Wahlergebnis
Die geopolitische Landschaft verändert sich zudem durch den politischen Kurswechsel in den USA, wo der kürzlich wiedergewählte Donald Trump die bisherige Waffenunterstützung für die Ukraine möglicherweise zurückfahren könnte.
SPD-Außenpolitiker Nils Schmid erklärt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, Deutschland dürfe „die Ukraine [unabhängig der amerikanischen Haltung] auf keinen Fall hängen lassen.” Aus finanzieller Sicht sei man gut vorbereitet, erklärt er. Es gibt den G7-Beschluss über 50 Milliarden Euro an Hilfen für die Ukraine, ergänzt durch eingefrorene russische Staatsgelder. Sollte dieses Geld erschöpft sein, müssten entweder ähnliche Maßnahmen erneut beschlossen werden oder Europa müsste seine strengen Schuldenregelungen lockern, um die militärische Unterstützung der Ukraine weiter zu finanzieren.
Das bedeute auch, Deutschland und die EU würden dann Waffen aus den USA kaufen, um sie an die Ukraine weiterzureichen. Dafür kann sich der SPD-Politiker auch die Lockerung der Schuldenbremse vorstellen. Die Ukraine könne den Krieg seiner Ansicht nach auch ohne die Unterstützung der USA weiterführen.
„Die Wirtschaftskraft allein der EU und Großbritanniens ist so groß, dass wir in der Lage sind, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Das muss es uns wert sein.“
Nils Schmid
Deutschland zeigt also nach wie vor die Bereitschaft, den Krieg gegen Russland zu intensivieren. Die USA waren bisher der größte Lieferant von Waffen an die Ukraine. Der neu gewählte Präsident Donald Trump hat allerdings immer wieder durchblicken lassen, dass er die Waffenlieferungen nicht in dem Maße fortführen würde, wie sie unter Joe Biden stattfanden.
Trump hat in seiner ersten Amtszeit die Deutschen und andere Verbündete dahin getrimmt, dass sie zwei Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für das Militär aufbringen. In Nato-Kreisen heißt es längst, dass das nicht mehr reicht. Inzwischen ist die Rede von bis zu drei Prozent. Das wären nach heutiger Rechnung für Deutschland gut 120 Milliarden Euro pro Jahr. Derzeit sind 53,25 Milliarden für 2025 geplant.
Allerdings erhöhte Donald Trump auch das „Pentagon-Budget für das Jahr 2019 erstmals auf 716 Milliarden Dollar, „das größte und umfassendste Militärbudget [in der] Geschichte” der USA, wie er selbst sagte. (Ganser, Daniele: Imperium USA, S. 31)
Trump wird die internationale Politik im Ukrainekrieg maßgeblich beeinflussen, denn Washington ist nach wie vor der bedeutendste Waffenlieferant der Ukraine. Kaum war er gewählt, berichtete das Wall Street Journal über Trumps Versprechen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Seine außenpolitischen Berater, die ihm nahe stehen, haben mehrere Entwürfe für einen Friedensplan vorgelegt, der darauf abzielt, die Frontlinie dauerhaft einzufrieren. Russland reagierte am Freitag, 8. November bereits darauf.
Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow erklärte, Präsident Putin sei weiterhin bereit, Gespräche über die Ukraine zu führen. Dabei betonte er jedoch, dass Russlands Ziele in der Region feststünden. Die Interessen Russlands sowie der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine müssten gewahrt bleiben.
Laut WSJ sieht ein Vorschlag vor, dass die Ukraine für mindestens 20 Jahre auf einen NATO-Beitritt verzichtet. Im Gegenzug würde Washington weiterhin schwere Waffen zur Verteidigung gegen die russische Aggression liefern. Auch eine entmilitarisierte Zone entlang der Frontlinie wird dabei erwogen.
Tendenziell sehe es danach aus, dass die USA sich zunehmend aus dem Krieg heraushalten wollen und Europa diesen weitestgehend übernehmen müsse.
Sollte sich die Bundesregierung für diesen Kurs entscheiden, könnte der deutsche Militärhaushalt weiter ansteigen. Mit der Forderung nach einer gestärkten Bundeswehr und der möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht wird die Bedeutung militärischer Schlagkraft im deutschen Diskurs seit dem Beginn des Ukraine-Krieges zunehmend betont.
Mögliches Szenario nach Neuwahlen Schwarz/Grün
Deutschland steht parallel vor den vorgezogenen Neuwahlen. Ein denkbares Ergebnis könnte eine schwarz-grüne Regierungskoalition unter Führung von Friedrich Merz sein. Unter ihm würde wahrscheinlich eine noch härtere Linie gegen Russland gefahren, insbesondere, falls ein Friedensschluss zwischen Kiew und Moskau scheitert. Scholz’ bisherige Zurückhaltung bei Taurus-Lieferungen wäre nicht der Kurs dieser möglichen neuen Regierung.
Mit Blick auf den verteidigungspolitischen Wandel zeigt sich der hohe Stellenwert, den NATO und USA weiterhin einfordern, eine Entwicklung, die dem ursprünglichen Ziel des NATO-Architekten General Hastings Lionel Ismay nahekommt: Europa von sowjetischem Einfluss zu befreien, die USA im Verbund zu halten und deutsche Macht zu kontrollieren: “To keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down”