Aufgrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung und der anhaltenden Belastungen stiegen die Insolvenzzahlen in Deutschland weiter an. Im ersten Halbjahr 2024 verzeichnete die Creditreform Wirtschaftsforschung 11.000 Unternehmensinsolvenzen, was einem Zuwachs von knapp 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (8.470 Fälle) entspricht. Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung äußert, dass die Insolvenzen in Deutschland im ersten Halbjahr 2024 den höchsten Stand seit fast einem Jahrzehnt erreicht haben und die Unternehmen gegen „die Auswirkungen der Rezession in 2023, anhaltende Krisen und die kraftlose konjunkturelle Entwicklung in diesem Jahr“ kämpfen.
„Das alles zusammengenommen bricht vielen Betrieben das Genick“
Patrik-Ludwig Hantzsch / Creditreform
Gravierend: Nach Einschätzung der Creditreform werden die Insolvenzzahlen im restlichen Jahresverlauf weiter steigen und voraussichtlich erstmals seit der sogenannten Corona-Pandemie das Niveau vor der Krise übersteigen. Laut der aktuellen Creditreform-Studie zeigt sich im Bereich der größeren Unternehmen eine sehr dynamische Zunahme an Insolvenzfällen, die deutlich über dem üblichen Niveau der vergangenen Jahre liegt.
Zunehmender Zahlungsverzug und Liquiditätsprobleme
Viele Firmen kämpfen mit hohen Schulden und sind aufgrund der schwachen Wirtschaftslage kaum in der Lage, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Unternehmensstabilität in Deutschland derzeit so fragil ist wie seit vielen Jahren nicht mehr. Bekannte Großinsolvenzen der jüngsten Zeit umfassen GALERIA Karstadt Kaufhof und FTI-Touristik.
Die Auswirkungen erstrecken sich jedoch über die gesamte Wirtschaft. Creditreform berichtet von einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen in allen Hauptwirtschaftsbereichen: Im Handel um über 20 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe um 21,5 Prozent, im Baugewerbe um 27,5 Prozent und im Dienstleistungssektor sogar um fast 35 Prozent. Letzterer macht mittlerweile fast zwei Drittel der Gesamtinsolvenzen aus.
Auch die Einschätzung von Atradius, dem zweitgrößten Kreditversicherungsunternehmen weltweit, unterstreicht dies. Laut dem Kreditversicherer haben mittlerweile die Hälfte der Unternehmen in Deutschland mit Zahlungsproblemen ihrer Kunden zu kämpfen, was wiederum ihre eigene Stabilität schwächt. Eine aktuelle Umfrage von Atradius zeigt, dass nahezu die Hälfte der 500 befragten Unternehmen aus 15 verschiedenen Branchen Rückgänge bei den Auftragseingängen verzeichnet.
„Konjunkturflaute, Inflation, geopolitische Risiken und hohe Energiekosten sind eine toxische Mischung für die heimische Wirtschaft […] Diese Ergebnisse sind alarmierend. […] Die wirtschaftlichen Unsicherheiten zwingen viele dazu, Maßnahmen zu ergreifen, um Wettbewerbsfähigkeit und finanzielle Stabilität zu erhalten.“
Dr. Thomas Langen/ Senior Regional Director Atradius / Welt
Langen erklärt, dass 40 Prozent dieser Unternehmen auf Effizienzverbesserungen setzen oder Investitionen verschieben bzw. stoppen. Dies könne jedoch die Wettbewerbsfähigkeit weiter beeinträchtigen und neues Geschäft gefährden, wenn sich die Weltwirtschaft ab 2025 und darüber hinaus ausdehnt. Es spreche derzeit nicht viel für eine kurzfristige Rückkehr auf den Erfolgspfad.
„Der Wirtschaftsstandort Deutschland steckt in einem ausgewachsenen Formtief.“
Dr. Thomas Langen/ Senior Regional Director Atradius / Welt
Privatinsolvenzen nehmen ebenfalls zu
Die Insolvenzzahlen bei Verbrauchern sind ebenfalls angestiegen. Mit 35.400 Verbraucherinsolvenzen wurden 6,7 Prozent mehr Fälle registriert als im Vorjahreszeitraum. Dieser Anstieg wird neben der Inflation und der Zinswende auch der Novelle des Verbraucherinsolvenzrechts Ende 2020 zugeschrieben, das Privatpersonen eine schnellere Entschuldung ermöglicht und das Verfahren für Schuldner attraktiver macht.
Die wachsende Zahl von Insolvenzen ist nur ein Teil der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen in Deutschland. Nach Angaben von VID-Chef Niering gäbe es auch viele stille Geschäftsaufgaben außerhalb formeller Insolvenzverfahren in seiner Beratungspraxis.
Diese Entwicklung wird durch den aktuellen Schließungsreport von Creditreform und dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bestätigt. Im Jahr 2023 sind demnach etwa 176.000 Unternehmen vom Markt verschwunden, wobei nur elf Prozent dieser Schließungen auf Insolvenzen zurückzuführen sind. Besonders Industriebetriebe geben still und leise auf.