In Regensburgs prunkvollem Schloss St. Emmeram entfaltet sich ein Vorfall, der die Grenzen zwischen Kunst, Politik und persönlicher Freiheit aufmisst. »Vicky Leandros«, die 72-jährige Sängerin mit Hits wie „Après toi“, „Theo, wir fahr´n nach Lodz“ und „Ich liebe das Leben“, absolviert trotz ihres Alters gelegentlich Auftritte.
Bei den »Schlossfestspielen der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis« sollte sie am 21. Juli auftreten. Unter den Gästen: Alice Weidel, Vorsitzende der AfD und ihrer Bundestagsfraktion. Doch Leandros erfährt in der Nacht zuvor von Weidels Einladung und interveniert telefonisch bei der Gastgeberin. Die Folge: Weidel wird ausgeladen. Berichte der »BILD-Zeitung« und der »Münchner Abendzeitung« (AZ) zeichnen ein Bild von Konflikten, die tiefer gehen als bloße Gästelisten.
Ausgrenzung statt Einladung
Leandros macht unmissverständlich klar, dass Weidel bei ihrem Konzert unerwünscht ist. Sie begründet dies mit ihren Werten: Sie stehe für Vielfalt, Toleranz, Menschenwürde, Menschenrechte und Internationalität. Als Kind mit fünf Jahren aus Athen nach Deutschland gekommen, sei sie mit offenen Armen aufgenommen worden. So lebe sie auch, mit Respekt vor jedem Menschen, den sie so leben lasse, wie es ihn glücklich mache. Dennoch habe sie mit Weidel, einer demokratisch gewählten Politikerin, nichts gemeinsam. Leandros betont, sie wolle ihr Konzert nicht politisieren lassen.
„Ich stehe für Vielfalt, Toleranz, Menschenwürde, Menschenrechte und Internationalität. Ich bin mit fünf Jahren aus Athen nach Deutschland gekommen und wurde mit offenen Armen aufgenommen. So lebe ich auch. Ich habe Respekt vor jedem Menschen und lasse ihn so leben, wie es ihn glücklich macht.“
»Vicky Leandros / AZ«
Hier stößt man auf Widersprüche. Vielfalt umfasst nicht nur nationale Herkünfte, sondern auch politische Meinungen. Toleranz erweist sich erst in der Akzeptanz des Unliebsamen. Respekt vor der Menschenwürde anderer schließt öffentliche Ausgrenzungen aus.
„Wer tolerant ist, hält sich selbst für besser („Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin wie dieser da. Aber in meiner großen Güte dulde ich ihn neben mir“). Tolerare heißt nur „erdulden“ oder „ertragen“. Wie wäre es stattdessen mit Akzeptanz oder sogar Respekt vor dem Andersartigen?“
»Peter Hohl (*1941), deutscher Journalist und Verleger, Redakteur, Moderator und Aphoristiker«
Leandros‘ Migration verlief unter günstigen Bedingungen, ihr Vater war ein erfolgreicher Sänger und Produzent in Deutschland und Griechenland, weit entfernt von den Formen, die die AfD ablehnt. Offene Arme gelten bei ihr offenbar nur für Genehme; andere werden ausgeschlossen. Sie respektiert nicht jeden, denn Weidel darf nicht teilnehmen. Durch das Gespräch mit der Presse und politische Begründungen politisiert Leandros selbst den Abend. Die Anwesenheit Weidels hätte den Auftritt nicht mehr politisiert als die eines Robert Habeck oder Friedrich Merz. Konsequenz würde bedeuten, alle mit abweichenden Ansichten nach Gesinnungsprüfung auszuladen, ein Ansatz, der Gedankentiefe vermissen lässt.
Gloria von Thurn und Taxis‘ Rolle
»Gloria von Thurn und Taxis«, die Unternehmerin und Fürstin, hatte Weidel zunächst eingeladen und verteidigt dies gegenüber Antenne Bayern:
„Sie müssen auch den ein oder anderen Exoten mit einladen, weil das macht die Sache interessanter. […] Alice Weidel ist eine sehr attraktive, eloquente Frau. Und wenn die Gäste sich mit jemandem unterhalten können, der draußen als Monster beschimpft wird, und dann sehen die, da kommt eine sehr hübsche, eloquente Frau, die auch noch was von Wirtschaft versteht und mit der man sich unterhalten kann, dann sind die alle höchst erfreut. Also es kommt immer auch auf den Erstkontakt an. Es soll ja der Erstkontakt verhindert werden, weil der Gegner weiß ganz genau, wenn man das Monster aus der Nähe kennenlernt, merkt man, dass es gar kein Monster ist, und genau das soll ja verhindert werden.“
»Gloria von Thurn und Taxis / AZ«
Doch nach Leandros‘ Forderung zieht sie die Einladung zurück. Dies wirkt inkonsistent, denn 2023 riefen 100 Vertreter der Regensburger Kulturszene in einem offenen Brief zum »Boykott der Schlossfestspiele« auf. Begründung:
„Wir bitten Sie als Leser*in deshalb darum, den Schlossfestspielen 2023 in Regensburg fernzubleiben. Lassen Sie es nicht zu, dass Kunst und Musik für die politische Propaganda der Schirmherrin missbraucht werden. Treten wir ihrem Hass Hand in Hand entgegen und zeigen ihr, dass es dafür in Regensburg und in den Künsten keinen Platz gibt.“
»Offener Brief / Regensburg Digital«
Damals wehrte sie sich mit Verweis auf freie Meinungsäußerung. Nun scheint diese Freiheit selektiv: Nur Fürstinnen steht sie zu, während Oppositionspolitiker als Exoten abgetan werden. Hätte die Fürstin exotisches Verhalten gesucht, hätte sie »Heidi Reichinnek« von der Linken einladen können, doch dann wäre der Fokus vielleicht nicht auf der Sängerin geblieben.
Die Fürstin, regelmäßig bei Julian Reichelt als Systemkritikerin »auf YouTube« zu sehen, zeigt hier wenig Rückgrat. Leandros hätte sich angesichts solcher Äußerungen der Fürstin selbst ausladen können, hätte aber auf ihr Honorar verzichten müssen. Die Doppelmoral bleibt nicht unbemerkt: Auf 𝕏 häufen sich kritische Kommentare, die das Einknicken der Fürstin und die selektive Anwendung von Toleranz scharf ins Visier nehmen.

Gegenstimmen: AfD-Reaktionen auf die Ausgrenzung
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Carina Schießl aus Regensburg, die vor Ort war, äußert sich in einer Pressemitteilung und einem Video auf 𝕏 scharf. Sie beschreibt düstere Zeiten, in denen die Vorsitzende der größten Oppositionspartei von kulturellen Veranstaltungen ausgeschlossen werde. Kurz zuvor sei Weidel im Staatsfunk niedergebrüllt worden, nun dürfe sie sich nicht mehr frei im kulturellen Raum bewegen. Leandros habe nicht nur ihre Gastgeberin blamiert, sondern wirke wie ein abgehalftertes, längst verglühtes Schlagersternchen, das mit Gratismut Aufmerksamkeit suche. Das Ziel, die AfD auszuschließen, sei verfehlt: Schießl selbst sei anwesend gewesen, um ihre Fraktionsvorsitzende zu vertreten, und lasse sich nicht vorschreiben, wo sie zu sein habe. Sollen sie sie doch abführen.
Pressemitteilung
— Carina Schießl (MdB) (@Carina_Schiessl) July 21, 2025
Zu dem Eklat um die Ausladung der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel anlässlich des Vicky-Leandros-Konzerts in Regensburg äußert sich
die Regensburger AfD-Abgeordnete Carina Schießl wie folgt:
„Wir leben in düsteren Zeiten, wenn die Vorsitzende der größten… pic.twitter.com/tQzv1sVRCy
Trotz alledem tritt Leandros also vor einer AfD-Abgeordneten auf. Weidel selbst hat sich bisher nicht geäußert. Im Vorjahr löste die Einladung des AfD-Politikers Maximilian Krah bei den Festspielen Diskussionen aus.

»Ulrich van Suntum«, ein »deutscher« Volkswirt und ehemaliger Professor für Volkswirtschaftslehre in Bochum und Münster, findet es bizarr, dass bezahlte Künstler nun bestimmen, wer im Publikum sein darf. Er hätte Leandros umgehend ausgeladen und erwartet mehr Rückgrat von Thurn und Taxis, zumal sie sich als Systemkritikerin positioniert.
Bizarr: Jetzt bestimmen schon bezahlte Künstler, wer bei ihren Auftritten im Publikum sein darf. Ich hätte umgehend diese Vicky Leandros wieder ausgeladen. Von Frau Thurn und Taxis hätte ich mehr Rückgrat erwartet. https://t.co/uhUAMqB50D
— Ulrich van Suntum (@Pietbull47) July 22, 2025
Die Öffentlichkeit reagiert verständnislos auf diese Form der Doppelmoral: Unter dem Deckmantel von Vielfalt Menschen auszuschließen, widerspricht echter Weltoffenheit. Wahre Toleranz bedeutet, sich nicht auf eine vermeintlich richtige Seite zu stellen und andere zu verbannen. Leandros opfert ihren Rest an Würde für Beifall von Haltungsstarken.
Freiheit in einer moralisierten Gesellschaft
Arthur Schopenhauer warnte einst: Der alleinige Zweck des Staates sei, die Einzelnen voreinander und das Ganze vor äußeren Feinden zu schützen.
„Der Staat ist […] nichts anderes, als das Mittel, wodurch viele Menschen sich vereinigen, um sich unter der Leitung eines Rechts zu einem friedlichen Dasein zu verhelfen, indem sie sich gegen die Angriffe von außen und die Gewalttätigkeiten im Innern schützen.“
»Arthur Schopenhauer / Die Welt als Wille und Vorstellung, Band II, Kapitel 44»
Einige deutsche Philosophaster wollten ihn zu einer Moralitäts-, Erziehungs- und Erbauungsanstalt verdrehen, um persönliche Freiheit und individuelle Entwicklung aufzuheben und den Menschen zum bloßen Rädchen in einer Staats- und Religionsmaschine zu machen.
In politischen Kreisen und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk strebt man anscheinend genau das an, eine Welt, in der Herrschaftsmeinung unantastbar wirkt, während Opposition ausgeschlossen wird. Die Fürstin spielt mit, Künstler wie Leandros diktieren Zutritt. Dieser Vorfall unterstreicht, wie etablierte Narrative politische Vielfalt ersticken, statt sie zu fördern. Am Ende inszeniert sich Leandros in ihrer eigenen Komfortzone, auf Kosten jener Freiheit, die sie vorgibt zu verteidigen.