Eine Privatklägerin aus Bayern erhebt für die Monate Oktober 2021 bis März 2022 die Einwendung, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfülle seinen Funktionsauftrag nicht in einer Weise, die die Erhebung des Rundfunkbeitrags verfassungsrechtlich rechtfertige. Sie trägt vor, das Programm weise über einen längeren Zeitraum hinweg Defizite in gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt auf und diene faktisch der Verbreitung vorherrschender staatlicher Positionen. HAINTZmedia hatte bereits über ihren Fall berichtet. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen, weil die Vorinstanz die gebotene Prüfung struktureller Programmdefizite nicht vorgenommen hatte und damit Bundesrecht verkannt worden sei. Der Fall stellt einen Präzedenzfall dar, der die Debatte über die Legitimität des Rundfunkbeitrags zumindest neu entfachen könnte.
Ein Urteil, das die Karten neu mischt
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil vom 15. Oktober 2025 das Berufungsurteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben, da es gegen Bundesrecht verstoße. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es dazu:
„Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht, weil es die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 u.a. – verkennt.“
»Pressemitteilung | BVerwG«
Die Leipziger Richter betonen, dass die Beitragspflicht des Rundfunks nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, wenn das Programm die Anforderungen an Vielfalt und Ausgewogenheit erfüllt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte diese Prüfung nicht durchgeführt und sich stattdessen auf die bloße Möglichkeit der Nutzung des Rundfunks gestützt, ohne die tatsächliche Qualität des Programms zu bewerten. Das Bundesverwaltungsgericht verweist den Fall daher zurück an die bayerischen Gerichte, die nun die tatsächliche Erfüllung des Funktionsauftrags prüfen müssen. Hierzu sollen über einen Zeitraum von zwei Jahren wissenschaftliche Studien erstellt werden, um das Programm des Bayerischen Rundfunks systematisch zu evaluieren.
Die hohe Hürde der Verfassungswidrigkeit
Die Klägerin steht vor einer hohen Hürde. Das Bundesverwaltungsgericht stellt klar, dass die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags erst dann infrage steht, wenn das Programm „die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt“.
„Allerdings fehlt es an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Beitragspflicht des § 2 Abs. 1 RBStV, wenn das Gesamtprogrammangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt.“
»Pressemitteilung | BVerwG«
Diese Schwelle ist bewusst hoch angesetzt, um dem gesetzgeberischen Spielraum Rechnung zu tragen. Es reicht nicht aus, einzelne Verstöße oder punktuelle Einseitigkeit nachzuweisen; es muss ein „grobes Missverhältnis zwischen Abgabenlast und Programmqualität“ belegt werden. Die Klägerin muss also durch wissenschaftliche Gutachten „evidente und regelmäßige Defizite“ im Programmangebot nachweisen, um ihre Klage zum Erfolg zu führen. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist nach bisherigem Sachstand eher unwahrscheinlich.
Ein System mit weitem Entscheidungsspielraum
Die Klägerin argumentiert, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr als Gegengewicht zum privaten Rundfunk dient, sondern als Sprachrohr staatlicher Narrative agiert. Dieser Vorwurf wiegt schwer: Er deutet darauf hin, dass die vielbeschworenen Strukturen zur Sicherung von Vielfalt und Unabhängigkeit, wie etwa die Rundfunkräte, in der Praxis versagen. Der Anwalt der Klägerin, Harald von Herget äußerte dazu:
„Es geht auch um die Rundfunkfreiheit, die die Pflicht beinhaltet ein Programm zu liefern, welches uns allen die Demokratie erhält, dass die Meinungsfreiheit geleistet wird, damit die Bevölkerung ihre freie Meinung bilden kann.“
»Harald von Herget | BZ«
Das Bundesverwaltungsgericht weist jedoch darauf hin, dass die gesetzliche Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags bewusst auf Praktikabilität setzt. Der Gesetzgeber hat die Beitragspflicht von einer individuellen Prüfung der Programmausgewogenheit losgelöst, um den Verwaltungsaufwand zu minimieren. Diese pragmatische Entscheidung schützt das System vor Anfechtungen, zumindest vorerst. Die Klägerin kann kein direktes subjektives Recht auf ein ausgewogenes Programm geltend machen, weder aus der Informationsfreiheit noch aus der Rundfunkfreiheit des Grundgesetzes.
„Vielmehr strebten die Landesgesetzgeber mit dem Übergang von der Gebührenpflicht zur Beitragspflicht an, ein Erhebungs- und Vollzugsdefizit zu verhindern und den Verwaltungsaufwand für die Erhebung in einem Massenverfahren zu verringern. Deshalb haben sie sich bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Erhebung leiten lassen.“
»Pressemitteilung | BVerwG«
Programmprüfung statt Steuerung
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk beruft sich auf seinen verfassungsrechtlichen Auftrag, Vielfalt zu sichern und Orientierungshilfe zu bieten. Das Bundesverwaltungsgericht gibt der Klägerin insofern Recht, dass die bayerischen Gerichte nun prüfen müssen, ob über einen Zeitraum von nicht unter zwei Jahren systematische Defizite vorliegen.
„Bietet das klägerische Vorbringen – in aller Regel durch wissenschaftliche Gutachten unterlegt – hinreichende Anhaltspunkte für evidente und regelmäßige Defizite, hat ein Verwaltungsgericht dem nachzugehen. […] Der Verwaltungsgerichtshof ist auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung dieser Frage nicht nachgegangen. Da dem Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz eine Sachverhaltsaufklärung hierzu verwehrt ist, war der Rechtsstreit an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Allerdings erscheint es nach dem bisherigen tatsächlichen Vorbringen derzeit überaus zweifelhaft, ob die Klägerin eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wird erreichen können.“
»Pressemitteilung | BVerwG«
Die Prüfung der Programmqualität über einen Zeitraum von nicht unter zwei Jahren ist bemerkenswert: Sie ermöglicht es den Gerichten, zu überprüfen, ob das Gesamtprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an Vielfalt und Ausgewogenheit erfüllt. Damit wird sichergestellt, dass die Beitragspflicht nicht isoliert von der tatsächlichen Erfüllung des Funktionsauftrags beurteilt wird.
In den Blick zu nehmen ist eine längere Zeitspanne von nicht unter zwei Jahren, die mit dem in dem angefochtenen Bescheid abgerechneten Zeitraum endet. Bietet das klägerische Vorbringen – in aller Regel durch wissenschaftliche Gutachten unterlegt – hinreichende Anhaltspunkte für evidente und regelmäßige Defizite, hat ein Verwaltungsgericht dem nachzugehen.
»Pressemitteilung | BVerwG«
Gleichzeitig bleibt die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten bestehen. Diese Freiheit räumt den Sendern einen weiten Entscheidungsspielraum ein, wie sie die Vorgaben des Funktionsauftrags inhaltlich umsetzen, und dient der eigenverantwortlichen Sicherstellung dieses Auftrages. Die gerichtliche Überprüfung betrifft daher nicht die inhaltlichen Entscheidungen der Rundfunkanstalten selbst, sondern prüft lediglich, ob über den vorgesehenen Zeitraum hinweg systematische Defizite hinsichtlich der Programmvielfalt vorliegen.
Selbst wenn solche Defizite festgestellt würden, liegt die Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung des Programms weiterhin bei den Anstalten. Die gerichtliche Kontrolle dient somit nicht der inhaltlichen Steuerung des Programms, sondern der Sicherstellung, dass die Beitragspflicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt bleibt.
Beitragspflicht bleibt, Programmprüfung wird konkretisiert
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stellt klar, dass die Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkbeitragspflicht nur dann infrage steht, wenn über einen längeren Zeitraum evidente und regelmäßige Defizite in der Programmvielfalt festgestellt werden (BVG, Pressemitteilung Nr. 80/2025). Der Rechtsstreit wird an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen, der prüfen muss, ob solche strukturellen Defizite vorliegen.
Für die Klägerin bedeutet dies, dass ihr Anliegen einer gerichtlichen Prüfung unterzogen wird, ohne dass bereits jetzt eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Rundfunkbeitrags getroffen wird. Zugleich macht das Urteil deutlich, dass die Rundfunkanstalten bei der Ausgestaltung ihres Programms einen weiten Entscheidungsspielraum haben und die Programmfreiheit gewahrt bleibt. Die gerichtliche Kontrolle dient somit primär dazu, die Beitragspflicht mit den Anforderungen an Vielfalt und Ausgewogenheit des Programms abzugleichen, nicht die inhaltliche Gestaltung des Programms zu steuern.
Nach dem bisherigen Sachvortrag und der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts erscheint es eher unwahrscheinlich, dass der Fall am Ende dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Vielmehr deutet das Urteil zwischen den Zeilen an, dass die Beitragspflicht grundsätzlich als verfassungsgemäß angesehen wird und es vor allem um die sorgfältige Prüfung einzelner juristischer Feinheiten geht.