Haintz.Media

Bild:
Bauhaus statt Bullshit
Quelle:
Foto: Julian Marius Plutz

Bauhaus statt Bullshit: AfD-Erfolge spiegeln Wessi-Arroganz

Bild:
Quelle:

Beitrag teilen:

Mehr aus der Kategorie:

Markus Haintz
Lena Müller
Hinter Mauern der Moral
Im Osten treffen Realität, AfD-Erfolge und westdeutsche Überheblichkeit aufeinander. Wer genauer hinsieht, entdeckt eine Geschichte voller Substanz, Widerstand und überraschender Modernität.
Zusammengefasst

Je älter ich werde, desto mehr sehe ich von den sogenannten neuen Bundesländern, die ab irgendeinem Zeitpunkt gar nicht mehr neu sind. Andererseits gibt es in Würzburg die „Neue Universität“ am Sanderring, und die ist von 1896. Es kann also noch eine Weile dauern, bis Thüringen, Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt das Label einer frisch gelungenen Landnahme ablegen werden. Gleichzeitig gar nicht neu sind die Vorurteile nicht weniger Wessis, was die mitteldeutschen Bundesländer angeht. Oder anders: Die Vorurteile sind wie die AfD-Wahlergebnisse – so stark wie nie.

Als ich, bevor ich in Stettin angekommen war, eine Nacht in Dessau verbrachte und dies in einer oralen Online-Diskussion zum Besten gab, nämlich wie schön die anhaltische Stadt doch sei, war ich überrascht, welch negative Vorurteile mir gerade von den linken Frau- und Herrschaften entgegengebracht wurden.

Hörte man diesen Leuten zu, dann bekam man unweigerlich den Eindruck, dass im Osten Deutschlands die Machtergreifung kurz bevorstehe und man sich, gerade als ausländisch „Gelesener“ – lesen Sie auch so oft Menschen? –, ob in Meiningen oder in Wörlitz, kurz davor befinde, erschlagen zu werden. Dabei sollten sich so manch eine überhebliche westdeutsche Randfichte einmal die Geschichte, beispielsweise von Dessau, ansehen. Die ist nämlich gar nicht mal so unspannend.

Hier wurde Weltgeschichte geschrieben

Dessau steht sinnbildlich für einen Teil Deutschlands, der historisch wie kulturell weit mehr geleistet hat, als sich der gemeine Wessi aus Marxloh, Eimsbüttel oder Deutz vorzustellen vermag. Es war die Stadt, in der sich das Bauhaus – eine der einflussreichsten Kunst- und Architekturschulen des 20. Jahrhunderts – neu erfand. 1919 in Weimar gegründet, war das Bauhaus der Versuch, Kunst und Handwerk zu vereinen, Gestaltung und Alltag zu versöhnen und, was viele Linke gerne vergessen, ökonomisch zu bauen. Unter Walter Gropius entstand eine Schule, die nicht bloß Möbel oder Häuser entwarf, sondern eine Idee von Leben, Form und Gesellschaft.

Als das politische Klima in Weimar konservativer wurde, zog das Bauhaus 1925 nach Dessau – in eine Stadt, die offener war für den Aufbruch der Moderne. Hier entstanden die klaren Linien, die funktionale Architektur, die heute weltweit als der Inbegriff deutschen Designs gilt. Das Bauhaus in Dessau war eine Antwort auf die Krisen der Zeit: Es wollte nach Krieg und Zusammenbruch eine rationale, humane Welt mit bezahlbarem und gleichzeitig schönem Wohnraum entwerfen. Doch kaum zwei Jahrzehnte später zerstörte die Barbarei des Nationalsozialismus diesen Traum. 1932 wurde das Bauhaus in Dessau geschlossen, später verboten; viele seiner Köpfe gingen ins Exil. Was blieb, war eine Spur geistiger Unabhängigkeit – ein Vermächtnis, das ausgerechnet in Mitteldeutschland wurzelt. Dass heute weltweit von Tokio bis New York das Bauhaus als Synonym für Klarheit, Innovation und ökonomischen Wohnraum gilt, verdankt man nicht München oder Frankfurt, sondern dieser Stadt an der Mulde.

Man könnte sagen: Dessau ist ein Gegenbeispiel zu all den Vorurteilen, die man über den Osten pflegt. Hier wurde Weltgeschichte geschrieben. Wer die Glasfassaden des Bauhauses betrachtet, sieht eben nicht das westdeutsche Vorurteil des grauen Ostens, sondern Licht und Offenheit. Dass dieser Ort in der deutschen Gegenwart oft nur als Provinz wahrgenommen wird, ist mehr als ein Missverständnis – es ist eine Verdrängung. Denn das Bauhaus war, historisch betrachtet, eine der ersten Bewegungen, die eine Einheit von Denken und Handeln, von Gesellschaft und Gestaltung anstrebten. Und das ausgerechnet im Osten, lange bevor man ihn so nannte.

Legt eure westdeutsche Herrenreiterattitüde ab

Als ich das in der Runde mit ein paar wohlstandsverbrämten Linken diskutierte, merkte ich, wie viele Westdeutsche verächtlich in den Osten schauen. Das sind für den gemeinen Ossi nun keine Breaking News, aber ich glaube, das hat mit dem Erfolg der AfD zugenommen. Diese Verachtung hat viele Gesichter: mal moralisch, mal ironisch, mal bemitleidend. Man spricht über die Menschen im Osten, als handle es sich um ein soziologisches Projekt, das man aus sicherer Entfernung beobachtet. Doch wer wirklich verstehen will, warum dort vieles anders läuft, müsste sich einmal lösen von der Vorstellung, dass der Westen die Norm und der Osten die Abweichung sei. Vielleicht liegt die eigentliche Irritation darin, dass sich der Osten – trotz oder gerade wegen der Brüche, trotz oder gerade wegen der Verluste – ein Stück Selbstverständlichkeit bewahrt hat, das andernorts verloren ging.

Der Blick vom Westen auf den Osten erzählt deshalb weniger über den Osten als über diejenigen, die ihn werfen. Der Erfolg der AfD dort ist hierbei keine Erkrankung, die nur von westdeutschen Gesellschaftspsychistern geheilt werden kann, sondern eine logische Konsequenz einer westdeutschen Herrenreiterattitüde, die beim Wort „Stadtbild“ epileptische Anfälle bekommt, während das Stadtbild in Dessau, Heilbad Heiligenstadt oder Lutherstadt Wittenberg klarer ist. Die Ossis wollen keine Sonnenallee, sie wollen ihre Johannisstraße gern so belassen, wie sie war und wie sie ist. 

Wahrscheinlich wäre es an der Zeit, weniger über die Menschen im Osten zu sprechen – und mehr mit ihnen. Denn wer das Bauhaus von Dessau besucht, die Weite der Uckermark erlebt oder in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt in ein ehrliches Gespräch gerät, erkennt: Das ist kein „anderes“ Deutschland. Es ist das Land, das wir alle gern wieder hätten – aufrecht, klar, unaufgeregt, aber mit Sinn für Form und Sinn für Verstand. Und vielleicht beginnt genau dort die eigentliche Moderne: nicht im moralischen Hochmut, sondern in der Fähigkeit, Schönheit und Wirklichkeit zugleich zu erkennen. Die Tatsache, dass diese Zeilen ein gelernter Franke, der gerade in Stettin weilt, schreiben muss, sagt doch schon alles. Liebe Wessis, legt eure Herrenreiterattitüde ab, erkennt die Lebensrealität an, denn nur weil in Sachsen-Anhalt oder Brandenburg viel lieber die AfD als die Grünen gewählt wird, ist es kein schlechterer Landstrich. 

Beitrag teilen:

Unterstützen Sie uns!

Helfen Sie mit, freien Journalismus zu erhalten

5

10

25

50

No posts found
Picture of Julian Marius Plutz

Julian Marius Plutz

Julian Marius Plutz ist 1987 geboren und Publizist, u.a. für Ansage, Weltwoche, Sandwirt und die Jüdische Rundschau. Zu seinen Themenschwerpunkten gehören neben dem politischen Zeitgeschehen: Ökonomik, jüdisches Leben und die LGBTQ-Ideologie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

No posts found

Buch-Empfehlung

indoktrinierte-gehirn