Ein Kommentar von Prof. Dr. Martin Schwab:
„Liebe Community,
im Jahr 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Gera gegen einen Richter am Verwaltungsgericht Gera Anklage wegen Volksverhetzung. Jener Richter hatte in einem Facebook-Post Sinti und Roma als „Rotationseuropäer mit Eigentumszuordnungsschwäche“ bezeichnet.
Am 27.10.2025, also satte zehn Jahre später, entschied das OLG Jena, ebenso schon wie das »LG Gera« als Vorinstanz, dass diese Anklage nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen sei. Der Facebook-Post des Angeschuldigten sei zwar geschmacklos und diffamierend, doch werde weder zum Hass gegen Sinti und Roma angestachelt (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) noch die Menschenwürde der Sinti und Roma angegriffen (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Man darf gespannt sein, wie eine solche Äußerung von deutschen Gerichten bewertet würde, wenn sie nicht dem Munde eines Richterkollegen, sondern dem Munde eines AfD-Politikers entströmt wäre.
Jedenfalls in historischer Sicht ist die Äußerung des Angeschuldigten grob unsensibel. Denn der Angeschuldigte hat sich in die Tradition eines Urteils des BGH vom 7.1.1956 – IV ZR 273/55 gestellt. Darin versagte der BGH der damaligen Klägerin (laut Urteilstatbestand einer „Zigeunerin“) eine Entschädigung, die sie deshalb begehrt hatte, weil sie auf Geheiß des NS-Regimes fünf Jahre in Deportationshaft verbracht hatte. Der BGH wies die Klage weitgehend ab und führte zur Begründung u. a. aus:
„Da die Zigeuner sich in weitem Maße einer Seßhaftmachung und damit der Anpassung an die seßhafte Bevölkerung widersetzt haben, gelten sie als asozial. Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist“.
Es brauchte 60 Jahre, bis diese Entgleisung des BGH aufgearbeitet wurde. Näheres berichtet »LTO vom 21.2.2016«:
Selbst wenn man mit Angehörigen bestimmter Volksgruppen schlechte Erfahrungen gemacht hat, besteht keinerlei Rechtfertigung, alle Angehörigen dieser Volksgruppe pauschal über einen Kamm zu scheren. Wer es … wie der angeschuldigte Richter im hier beschriebenen Fall – doch tut, ruft zum Hass gegen diese Volksgruppe auf. Dann löge wohl doch eine Bestrafung auf der Grundlage des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB nahe.
Ich kann den verfahrensgegenständlichen Facebook-Post aktuell noch nicht belastbar bewerten, weil es immer auf den Gesamtkontext einer Äußerung ankommt und weil ich die Gründe, mit denen das OLG Jena den Tatbestand der Volksverhetzung für nicht erfüllt erachtet hat, nicht im Original kenne. Es hat aber den Anschein, dass das OLG Jena hier den Appellcharakter des besagten Facebook-Posts unterschätzt haben könnte.
Herzliche Grüße
Ihr und Euer
Martin Schwab“
Eine Antwort
Frage zu Artikel:
Wo soll im zitierten Facebook-Post ein Appell verborgen sein?
Da braucht man schon sehr viel übermenschliche Phantasie, um überhaupt an so etwas zu denken:-)