Ein Kommentar von »Stefan Wischniowski«.
Correctiv offen islamfeindlich – So oder so ähnlich würde die Schlagzeile lauten, verbünde ein politisch rechts verortetes Medium die an Schulen herrschende Homophobie mit „arabisch-muslimischem Schüleranteil“. Der am 6. Oktober, zwei Jahre nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, veröffentlichte Text von Anette Dowideit auf der Webseite von Correctiv mit dem Titel »„Das heikle Problem mit der Queerfeindlichkeit an Schulen“« thematisiert diese Binsenweisheit des rechten politischen Lagers, deren Gewissheit seit ihrer Gründung Homosexuelle vermehrt der Alternative für Deutschland (AfD) als Wähler oder Mitglieder in die offenen Arme treibt.
Grundlage der nun auch in linken Kreisen durchgesickerten Weisheit ist eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die bereits 2017 veröffentlicht wurde. In dieser wurde mit einer 2013 Teilnehmer umfassenden repräsentativen Telefonbefragung, deren Einstellung zum Sexualverhalten erfasst. Dabei stellte man bei 34,4 % der Migranten eine homophobe Einstellung fest. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund waren es mit 18,8 % deutlich weniger. Die Gruppe der Ostdeutschen, deren Wahlverhalten selbst von Ostbeauftragten nicht toleriert, aber auch nicht geändert werden kann, galt in der Studie als toleranter. Entgegen linker Vorurteile verweist die Studie auf zwei weitere Studien, die zeigen, dass abwertende Einstellungen gegenüber Homosexuellen bei Ostdeutschen etwas geringer ausgeprägt sind als unter den Westdeutschen.
Der Autor der Studie, Ulrich Klocke von der Universität Humboldt zu Berlin, scheint seiner Auswertung nicht zu trauen, wenn er nach deren Veröffentlichung im Februar 2018 auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) behauptet, dass homophobe Einstellungen häufiger bei Personen seien, die rechtspopulistisch orientiert sind bzw. eine Partei wie die Alternative für Deutschland (AfD) präferierten. Diese würde sich gegen Anstrengungen zur Förderung von Gleichwertigkeit aussprechen.
Tatsächlich genießen „Anstrengungen zur Förderung von Gleichwertigkeit sozialer Gruppen“ in einer freiheitlichen Partei keine Präferenz. Und auch die Aussage: „Führungskräfte in der Bundeswehr müssen aktiv eine Kultur der Inklusion schaffen“, die Ulrich Klocke in der Publikation „Prävention von Diskriminierung als Führungsaufgabe bei der Bundeswehr“ 2019 wiedergibt, verstößt durch aufgesetzten Kulturzwang gegen die individuelle Freiheit und gegen freiheitliche Politik.
Was vielen nicht bewusst wird, ist der totalitäre Charakter einer verordneten Toleranz. Die ins Feld geführte „Kultur der Inklusion“ muss, wenn politisch erfolgversprechend, erkennbar und initiierend sein. Man stelle sich einen noch so toleranten Arbeitgeber vor, der bei einem Migrantenanteil von 30 % in der Bevölkerung auf eine rein autochthone Belegschaft zurückgreifen würde. Einen Diversitätspreis könnte dieser nur gewinnen, nachdem er sich erfolgreich um sichtbare „bunte“ Kolleginnen und Kollegen bemüht hätte. Diese asymmetrische Rekrutierung, auch Rassismus oder euphemistisch „positive Diskriminierung“ genannt, erfahren wir unter dem Deckmantel der Diversifikation seit den 60er Jahren in den USA und seit eineinhalb Jahrzehnten auch in Deutschland. Der Staat greift mit Zielvereinbarungen zur Erhöhung des Anteils eingewanderter Beschäftigter sowohl in die Werbung als auch in die Auswahl ein und missachtet dadurch den Grundsatz staatlicher Unvoreingenommenheit. Ein Staat, der die individuelle Gleichheit vor Staat und Gesetz missachtet, verletzt dadurch nicht weniger als die freiheitliche demokratische Grundordnung.
In linken Argumentationsblasen gängig, aber widersprüchlich, ist die grobe Verallgemeinerung, dass Homophobie und Islamkritik miteinander „einhergingen“. Solch akrobatische Verrenkungen in der Argumentation lassen auf Mangel an Kenntnis der eigenen Studie, des Logos oder auf ein unreflektiertes Freund-Feind-Schema schließen. Zu folgender Erkenntnis kommt nur, wer die Stigmatisierungen wie Vorurteilscluster zuordnet und gegen jede Differenzierung immun scheint. So wie jede Feststellung der Ungleichheit in der Studie von Ulrich Klocke unter Homophobie subsumiert wird, so wird diese in seinem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) als „Abwertung, Rassismus oder Homophobie“ gebrandmarkt:
„Wer Frauen abwertet, wertet mit recht hoher Wahrscheinlichkeit auch lesbische, schwule und bisexuelle Personen ab. Gleiches gilt etwa auch für Antisemitismus, Rassismus und die Abwertung von Muslimen, die ebenfalls oft mit homophoben Einstellungen einhergehen.“ (»Küpper/Klocke / bpb« (Hervorhebung durch den Verfasser)
Seine Studie teilt Homophobie nach Kriterien der klassischen, affektiven oder modernen Homophobie ein. Als Beispiele für moderne Homophobie zählt Ulrich Klocke die Konnotation homosexueller Männer mit „geistreich, witzig, sauber, gut angezogen und emotional“, da diese Eigenschaften möglicherweise für bestimmte Berufe weniger gefragt seien. Diese Kategorie zeigt jedem Menschen mit mittlerer Lebenserfahrung, dass aus linker Sicht ein Leben ohne Homophobie nicht möglich wäre.
Die in Köln geborene Autorin und stellvertretende Chefredakteurin bei CORRECTIV, Anette Dowideit, wähnt sich dagegen in der politischen Mitte, da ihre Kritik einerseits die verträumte Ignoranz der eigenen linken Blase trifft, welche Tatsachen verwischt und Prävalenz homophober Einstellungen nicht mit Provenienz, Ethnie oder Religion in Korrelation bringt, und ihr andererseits die politisch rechten Narrative, an deren Verbreitung sie nicht unwesentlich teilgenommen hat, zu pauschal und verallgemeinernd jeden Migranten auf die Anklagebank rückten. In dem hier besprochenen »neuesten Artikel« scheut sie jedoch keine pauschalen Korrelationen, wie das Zitat des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes Stefan Düll aus einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung beweist:
„Der Anteil jener Schüler – vorrangig mit muslimischem Hintergrund – nehme zu, die […] ihre Homophobie demonstrativ zur Schau stellten.“
»Stefan Düll / Correctiv«
Die Darlegungen der ehemaligen Leiterin des internationalen Investigativnetzwerks bei Axel Springer erinnern an Poppers Toleranzparadoxon. Die Erkenntnis, dass Toleranz gegenüber der Intoleranz zur Machtübernahme der Intoleranten führe, ist zwar in sich logisch, führt aber dennoch nicht weiter, da jede noch so tolerante Herrschaft aus anderer Perspektive ebenso intolerant wäre. Dennoch ist das Paradoxon geeignet, die Reue und Buße von toleranzbesoffenen Merkelianern für den seit 2015 angerichteten Kulturschaden an der säkularen freiheitlichen Gesellschaft in Deutschland zu befeuern. Nicht nur deshalb sei Sir Karl Raimund Popper Dank geschuldet, sondern auch für seinen pluralistischen Lösungsansatz, der in der politischen und nicht in der ethnischen Vielfalt, Erkenntnis und Abkehr von extremistischen Gesellschaftsveränderungen darlegt.
Es sind aber nicht allein die axiomatisch fremden Weltanschauungen, welche den Toleranzreflex hervorrufen, sondern die zu rasanten Veränderungen an ein und demselben Ort. Das Maß der Mitte verschiebt sich im Gleichschritt mit Einwanderung und der damit einhergehenden Minderung des Assimilationsdrucks. Obwohl jede Gesellschaft für sich den Drang zur Mitte durch die Mehrheit verspürt und damit für sich eine gewisse demokratische Ausgewogenheit findet, bestehen auf der Welt völlig unterschiedliche Lebensweisen, deren Inkompatibilität derzeit in Deutschland experimentell nachgewiesen werden soll. Auch muslimische Gesellschaften nehmen für sich, trotz aller Unterschiede mit uns, den Drang zur gesellschaftlichen Mitte in Anspruch, was in folgenden Koranversen zum Ausdruck gelangt:
Und Allah verbat die Verschwendung (Maßlosigkeit), als Er sagte: „…und esst und trinkt, aber seid nicht maßlos! – Er (Allah) liebt nicht die Maßlosen.“
(Al-Araf 7:31)
Und Er beschrieb die Diener des Allerbarmers mit den Worten: „Und diejenigen, die, wenn sie ausgeben, weder maßlos noch knauserig sind, sondern den Mittelweg dazwischen (einhalten).“
(Al-Furqan 25:67)
Was sowohl Ulrich Klocke als auch Anette Dowideit fehlt, ist ein grundlegendes Verständnis für die Relativität, aus der die weltweite Vielfältigkeit entstanden ist. Als Teil einer perfiden Demokratieinversion durch ihr falsches Verständnis demokratischer Wehrhaftigkeit propagieren sie einerseits die massive Veränderung der gesellschaftlichen Mitte durch Einwanderung und zerstören auf der anderen Seite ihre Resilienz mit Hilfe der ökonomischen Stärke des staatlichen Gewaltmonopols. Die Auslenkung der Mitte zum Extrem wurde in der Geschichte mehrfach durch ein Verbot der ausgleichenden Opposition vorbereitet und von den daraus folgenden gesellschaftlichen Verwerfungen durch einen äußeren Krieg abgelenkt oder diese durch totalitäre Strukturen nivelliert. Das dritte mögliche Ventil eines durch rasante Gesellschaftsveränderung hervorgerufenen Umbruchs, ist der Bürgerkrieg. Entsprechend der ökonomischen Gesamtsituation treten die ethnischen und ökonomischen Bruchlinien einer Gesellschaft in diesem unterschiedlich offen zutage.
Die Bruchlinie in der Kontinuität der deutschen Gesellschaft werden Historiker auf das Jahr 2015 datieren. Ein Staat der dauerhaft die Kontrolle seiner Grenzen aufgibt und das Staatsvolk der Willkür preisgibt, hört nicht nur nach der Jellinekschen Trias auf zu existieren, sondern riskiert verfassungswidrig seine Gesamtheit. Weder der jahrzehntelange Konflikt im Nahen Osten, dessen brutale, blutige Realität uns derzeit wieder in Erinnerung rückt, noch die Warnungen in dem Buch »Deutschland schafft sich ab« von Thilo Sarrazin, fünf Jahre vor Merkels Grenzöffnung, konnten uns von dem törichten Weg der Zerstörung abhalten. Zum Jahrestag des Überfalls der Hamas sollte uns die Ursache des Konflikts zwischen Völkern um einen eigenen Staat wachrütteln. Vielleicht ist der sichtbare Aufwachprozess der verschlafenen Linken Anlass für eine vorurteilsfreie Diskussion um die künftige politische Mitte in Deutschland, zwar nicht durch Selbstreflexion ausgelöst, aber durch das Erstarken der Oppositionspartei als letzte Rettung für unser Land erzwungen.