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Die neue Wehrpflicht
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Die neue Wehrpflicht: Freiwilligkeit als Fassade, Pflicht als Drohkulisse

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2300 Euro netto, Gratis-Führerschein und Versprechen von Hightech-Spielzeug sollen die Jugend locken. Doch die Maske der Freiwilligkeit fällt schnell, wenn am Ende Bußgeld und Pflichtmusterung drohen.
Zusammengefasst

Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz hat mit großem Getöse ein neues Wehrdienstgesetz auf den Weg gebracht. In einer historischen Kabinettssitzung im abhörsicheren „U-Boot“ des Verteidigungsministeriums wurde ein Modell beschlossen, das angeblich die Bundeswehr stärken soll. Doch hinter der Rhetorik von Freiwilligkeit und Verantwortung lauert ein System, das junge Menschen unter Druck setzt, während es die tatsächlichen Sicherheitsprobleme des Landes ignoriert. Wer tatsächlich von diesem Wehrdienst profitiert, bleibt fragwürdig.

Merz predigt Sicherheit, während Deutschlands Straßen unsicher bleiben

Friedrich Merz betonte bei der Pressekonferenz in Berlin, Sicherheit stehe „ganz oben auf der Agenda“. Während die Regierung mit martialischem Pathos die Bedrohung durch Russland beschwört, bleibt allerdings die innere Sicherheit auf deutschen Straßen ein Stiefkind.

»Live: Merz und Pistorius zur geplanten Wehrpflicht / tagesschau / YouTube«

Messerkriminalität, No-Go-Areas und Polizeimangel werden beim Thema Sicherheit nicht zur Sprache gebracht. Stattdessen soll die Jugend für eine angeblich unvermeidliche Konfrontation mit Russland fit gemacht werden. Merz’ Worte, Deutschland müsse ein handlungsfähiger Partner in der Nato sein, klingen nach einer Verbeugung vor internationalen Bündnissen, nicht nach einer Antwort auf die Sorgen der Bürger.

„…ein starkes Signal aus Berlin an die europäischen Verbündeten, dass Deutschland ein handlungsfähiger Partner in der Nato ist.“

»Friedrich Merz / WeLT«

»Der neue Nationale Sicherheitsrat«, den Merz stolz als Errungenschaft nach „nur vier Monaten“ Regierungszeit feiert, wirkt wie ein bürokratisches Feigenblatt, um von der mangelnden Substanz abzulenken.

Freiwilligkeit mit Zwangsoption

Das neue Gesetz setzt zunächst auf Freiwilligkeit, ein cleverer Schachzug, um die Bürger zu beruhigen. Ab 2026 müssen alle 18-jährigen Männer einen Fragebogen ausfüllen, der ihre Eignung und Bereitschaft für den Wehrdienst prüft. Frauen dürfen freiwillig teilnehmen. Ab 2027 wird die Musterung für Männer verpflichtend, etwa 200.000 junge Männer pro Jahr sollen sechs Stunden lang begutachtet werden.

„Ab dem 1. Januar 2026 müssen alle 18-jährigen Männer eines Jahrgangs online einen Fragebogen beantworten (u.a. zu Interessen, Fitness, Fähigkeiten). Für Frauen ist die Beantwortung freiwillig. Wer zur Bundeswehr passt, wird danach zur Musterung geladen.

Ab 1. Juli 2027 wird die Musterung für 18-jährige Männer verpflichtend (ca. 200.000 pro Jahr). Dauer pro Untersuchung: rund 6 Stunden. So will die Bundeswehr wieder einen Überblick darüber bekommen, wen sie im Ernstfall einziehen kann. Wer sich vor Fragebogen oder Musterung drückt, dem droht ein Bußgeld.“

»BILD«

Wer sich weigert, riskiert ein Bußgeld. Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht von einem „Riesenschritt nach vorn“, doch die Freiwilligkeit ist eine Mogelpackung.

„Es ist nicht irgendein Gesetz, es ist ein Riesen-Schritt nach vorne. Es muss nachhaltig und langfristig sein. Das Mindset bei jungen Männern und Frauen soll sich ändern.“

»Boris Pistorius / WeLT«

Sollten die Rekrutierungszahlen allerdings nicht stimmen, hat die Union bereits einen Automatismus für eine verpflichtende Wehrpflicht im Hinterkopf. »Pistorius selbst« räumt ein: Wenn die Zahlen nicht reichen, werde ein Mechanismus in Gang gesetzt.

„Mein Ziel ist es, (dass) das Gesetz, was ich jetzt einbringe, bereits zwei Regelungen enthält, die dann nur noch aktiviert werden müssen, wenn die Zahlen nicht reichen.“

»Boris Pistorius / DIE ZEIT«

Übersetzung: Freiwilligkeit, solange es passt, danach wird zwangsrekrutiert.

Anreize oder Bestechung?

Um die Jugend zu motivieren, will die Regierung mit finanziellen und praktischen „Anreizen“ locken. Der Sold soll künftig bei 2300 Euro netto liegen, dazu kommen kostenfreie Unterkunft und Krankenversicherung. Drohnenausbildung und „Qualifikationsmodule“ sollen den Dienst modern und attraktiv machen.

„Wir integrieren die Drohnenausbildung. Wir binden alle in aktive Gruppen ein. Wir verbessern die Bezahlung. Der Sold liegt künftig bei 2300 Euro netto.“

»Boris Pistorius / WeLT«

FDP-Chef Christian Dürr, der die Rückkehr zur alten Wehrpflicht als Rückschritt in die 1980er Jahre kritisiert, schlägt sogar einen kostenlosen Führerschein für Freiwillige vor.

„Dazu gehört, dass mehr Anreize geschaffen werden, wie etwa die Übernahme der Führerscheinkosten für jeden, der sich freiwillig zum Wehrdienst meldet.“

»Christian Dürr / n-tv«

Doch was klingt wie ein großzügiges Angebot, ist in Wahrheit ein verzweifelter Versuch, Nachwuchs »für eine Bundeswehr« zu gewinnen, die mit 182.000 Soldaten weit unter den von der Nato geforderten 260.000 liegt. Die Pläne starten mit 15.000 neuen Wehrdienstleistenden im Jahr 2026, sollen bis 2035 weiter steigen und langfristig eine Reserve von 260.000 Soldaten schaffen.

„Boris Pistorius strebt an, die Zahl bis 2035 auf mindestens 260.000 Zeit- und Berufssoldaten aufzustocken, was bislang – beispielsweise durch Werbeaktionen – nicht geglückt ist.“

»tagesschau«

Aber warum sollte sich die Jugend für eine Institution begeistern und sich für eine Politik stark machen, die ihre Interessen seit Jahrzehnten ignoriert und die seit Jahren mit Skandalen, maroder Ausrüstung und mangelnder Wertschätzung kämpft?

Integration oder Propaganda?

CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter bringt einen besonders fragwürdigen Vorschlag ins Spiel: Der Wehrdienst könnte Zuwanderern die deutsche Staatsbürgerschaft ermöglichen.

»Roderich Kiesewetter / WeLT«

Was als Integrationsmaßnahme verkauft wird, riecht nach einem zynischen Tauschgeschäft: Dienst an der Waffe gegen einen Pass. Gleichzeitig fordert Dürr, die Bundeswehr solle in Schulen werben, damit „jeder Schüler vor seinem Abschluss“ über die Karrieremöglichkeiten informiert ist.

„Jeder Schüler sollte vor seinem Abschluss über die Angebote der Bundeswehr als Arbeitgeber informiert worden sein.“

»Christian Dürr / n-tv«

Das klingt weniger nach Aufklärung als nach gezielter Anwerbung vulnerabler Jugendlicher, die sich Führerschein oder Staatsbürgerschaft sonst nicht leisten können. Die Bundeswehr als Sozialprogramm? Ein Armutszeugnis für eine Regierung, die echte Integrations- und Bildungspolitik versäumt.

Kritik von allen Seiten

Die Pläne stoßen auf breiten Widerstand. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisiert, das Gesetz mache Deutschland nicht verteidigungsfähig, da es weder konkrete Zielzahlen noch Fristen enthalte.

„Auf der Basis dieses Gesetzentwurfs wird Deutschland nicht verteidigungsfähig werden. […] Es fehlt an jeder Zahl und an jeder Frist, was wann zu erreichen ist, so dass Maßnahmen ergriffen werden können, wenn man die Ziele verfehlt.“

»Norbert Röttgen / tagesschau«

Das schwedische Modell, das im Koalitionsvertrag als Vorbild genannt wurde, sieht eine verpflichtende Wehrpflicht vor, wenn die Freiwilligenzahlen nicht reichen. Dies ist ein Ansatz, den die SPD scheut. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge nennt das Gesetz einen „vermurksten Kompromiss“ und eine Misstrauenserklärung gegenüber der Jugend.

»Katharina Dröge / ARD Mediathek«

Der »Reservistenverband und der Bundeswehrverband beklagen«, dass die Pläne weder die aktiven Truppen noch die Reserve ausreichend stärken. Selbst Anti-Kriegs-Aktivisten wie »Rheinmetall Entwaffnen« protestieren und machen klar:

„Wir wollen mit den Kriegen der Herrschenden nichts zu tun haben und sind nicht bereit, für ein Land zu sterben, das uns sämtliche soziale Infrastruktur immer mehr wegkürzt.“

»Rheinmetall Entwaffnen / LZ«

Die wahre Herausforderung: Eine Armee ohne Vertrauen

Die Bundeswehr braucht dringend zusätzliche Soldaten, um ihre Nato-Verpflichtungen zu erfüllen. Anstatt die Strukturen der Armee zu reformieren, die Ausrüstung zu modernisieren oder die Arbeitsbedingungen zu verbessern, setzt die Regierung allerdings auf fragwürdige Anreize und die Drohung mit Zwang. Pistorius’ Vision einer „starken Armee, die Kriege verhindert“, klingt heroisch, aber die Realität ist ernüchternd:

„Eine starke Armee, personell und materiell, ist das effektivste Mittel, um Kriege zu verhindern.“

»Boris Pistorius / evangelisch«

Kasernen sind marode, die Ausbildungskapazitäten begrenzt, und die Jugend zeigt wenig Interesse an einer Verteidigung fiktiver Gefahren. Die Regierung ignoriert, dass Vertrauen in die Bundeswehr nicht mit höherem Sold oder Gratis-Führerscheinen erkauft werden kann, sondern mit einer glaubwürdigen Sicherheitspolitik, die die Bürger ernst nimmt. Einer Umfrage zufolge wären im Ernstfall lediglich »nur 16% bereit«, ohne Zögern für Deutschland zu den Waffen zu greifen – der niedrigste Wert in Europa.

Wessen Sicherheit, wessen Agenda?

Die neue Wehrdienstgesetzgebung ist ein politisches Manöver, das mehr Fragen als Antworten liefert. Anstatt die drängenden Probleme der inneren Sicherheit anzugehen, wird eine Bedrohungsszenerie mit Russland beschworen, um die Jugend in Uniformen zu stecken. Die Freiwilligkeit ist eine Farce, die Musterung ein erster Schritt zur Pflicht, und die Anreize wirken wie Bestechung. Die Regierung unter Merz und Pistorius mag von einem „Herbst der Reformen“ sprechen, doch was sie liefert, ist noch Schlimmer, als man befürchtet hatte: Kontrolle anstelle von Vertrauen, Zwang anstelle von Überzeugung. Die Jugend verdient eine Politik, die ihre Zukunft schützt, nicht eine, die sie für geopolitische Machtspiele opfert.

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Janine Beicht

Janine Beicht ist gelernte Kommunikationsdesignerin, arbeitet aber seit 2020 im Gesundheits- und Sozialwesen. Als Aktivistin engagiert sie sich besonders auf dem Gebiet der Psychologie unter dem Aspekt der jeweiligen politischen Machtinteressen.

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