Es gibt Momente, die sich ins Gedächtnis brennen, weil sie einem auf epische Weise die Augen öffnen wie mir eine Szene mit Robert de Niro in „Zeit des Erwachens“. Mit neun Jahren kam ich auf die Idee, einen Zehn-Mark-Schein zu kopieren, um einen weiteren 10-Mark-Schein zu erhalten. Erst Jahre später wurde mir klar: Die Europäische Zentralbank macht im Prinzip nichts anderes. Von nun an sah ich Geldpolitik und Geldmenge in einem ganz anderen Licht, während mir die Finanzkrise von 2008, aber auch viele Lehren aus der österreichischen Schule recht gaben.
Ein ähnlicher „Hallo-Wach“-Effekt war der Fall Reitschuster. Bis zu jenem Zeitpunkt war mir neu, dass Journalisten andere Journalisten auf unanständige Art und Weise attackieren, nur weil sie in einer Sachfrage – damals bei Corona – eine andere Position vertreten. Und das nicht irgendwo, sondern auf der heiligen Seite 3 der »Süddeutschen Zeitung«, die dem Medium sogar einmal »ein Buch gewidmet hat«. Die große Bühne der linksliberalen Meinungsmacher, sonst reserviert für tiefgründige Essays oder analytische Langstücke, wurde plötzlich zum Tribunal gegen einen Kollegen.
Die „Süddeutsche“ zeigte damals, dass sie bereit ist, nicht etwa die Regierung ins Visier zu nehmen, was bei Corona auch selten von der Alpenpravda kam, sondern lieber einen Journalisten, der ihr unbequem erschien. So viel zur „vierten Gewalt“, die angeblich unabhängig kontrolliert. Wenn sie will, kann sie ebenso zur Inquisitorin gegen Abweichler mutieren, wie die „Süddeutsche“ spätestens im Jahr 2021 eindrucksvoll bewies.
Die taz selbst kein Vorbild an Seriösität
Auch aktuell wiederholt sich dieses Muster, nur in etwas anderer Gestalt. Der Anlass: Die taz berichtete jüngst über NiUS und dessen Einstieg ins Radiogeschäft. »„Neue rechte Welle“« lautete die metaphorisch beflügelnde Überschrift, die gleich zu Beginn keinen Anlass zu Zweifeln lässt, was sie vom Chefredakteur des freien Mediums halten: „Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sitzt auf einem weißen Sofa und redet menschenverachtendes, migrationsfeindliches Zeug in die Kamera“. Doch das Ad-hominem-Argument gegen Reichelt emanzipiert sich schnell in die üblichen Reflexe linksbesaiteter Journalisten: Gerade etabliert sich ein unlinkes Medium über den Äther, das die Ohren der Republik manipulieren will. Die Botschaft zwischen den Zeilen klingt widerspenstig wie das „Manifest der Kommunistischen Partei“: Man muss sich dieser himmelschreienden Gefahr, die Meinungspluralismus heißt, endlich entgegenstellen.
Spannend hierbei ist, was die taz selbst einräumen muss: Bisher verstieß NiUS lediglich in Einzelfällen gegen Sorgfaltspflichten. Kein systematisches Muster, keine Häufung, keine Skandalserie. Der Vorwurf steht im Raum, der Beweis bleibt aus. „Was ohne Beweise behauptet wird, kann auch ohne Beweise wieder verworfen werden“, meinte einer der großartigsten und wohl gleichzeitig einer der widersprüchlichsten Journalisten, Christopher Hitchens.
Dazu passt, was Rechtsanwalt Carsten Brennecke »auf 𝕏 schrieb«: „Aus meiner langjährigen Erfahrung im presserechtlichen Kampf gegen falsche Berichte und unzulässige Verdachtsberichterstattung kann ich nur sagen: Seit es #Nius gibt, hatten wir deutlich mehr Fälle rechtswidriger Berichterstattung der #TAZ als von @niusde_ vor der Brust. So viel zum angeblichen Qualitätsjournalismus von @tazgezwitscher, den der Spiegel-Redakteur hier unbelegt behauptet.“
Regierungsnähe wegen impliziter Regierungsfinanzierung?
Man muss sich das einmal vorstellen: Eine Zeitung, die andere Medien, ohne einen Beleg vorzubringen, an die Wand stellt, bekommt ausgerechnet von einem ausgewiesenen Presserechtler bescheinigt, selbst häufiger gegen die Regeln verstoßen zu haben. Die Metapher mit dem Glashaus und den Steinen sollten sich die metapherverliebten Autoren vielleicht einmal verinnerlichen.
Damit sind wir beim Kern des Problems: Journalisten führen Fehden gegen unliebsame Kollegen, während die eigentliche Aufgabe auf der Strecke bleibt. Denn der Sinn des Journalismus ist nicht, andere Journalisten zu bekämpfen. Er liegt darin, Macht zu kontrollieren. Eigentlich. Doch Medien wie die taz haben sich längst, ohne es zu merken, zur willfährigen Verlängerung der Staatsdoktrin gemacht. Ob Corona, Ukraine, Massenmigration, EZB-Kopiergeld oder der heilige Krieg gegen rechts, also alles, was nicht links ist. Das ist längst kein Journalismus mehr. Das ist genossenschaftlich finanzierte Regierungs-PR.
Die große Tragik ist dabei: Während die „Süddeutsche“ und die taz ihre Kollegen attackieren, bleibt die Regierung völlig unbehelligt. Man könnte meinen, dass dies kein Zufall ist, wenn man denn an Zufälle glaubt. Doch es ist zu befürchten, dass hinter dem Journalismus-Mimikry dieser Medien System steckt. Nicht etwa, dass eine kleine Elite die Strippen wie Puppenspieler im Hintergrund zieht. Das System ist eher implizit, jedoch nicht weniger perfide und manipulativ. So schreiben sie wohlwollend und regierungskonform über die oben genannten Themen. So investierte die Bundesregierung während Corona »295 Millionen Euro« in die Werbung für die sogenannte Impfung, und nicht wenige Medien kamen in den Genuss, eine große Anzeige „für den kleinen Piks“ vom Staat finanziert zu bekommen.
Journalismus wird zum Selbstzweck
Vom Prinzip her wäre alles gar nicht so kompliziert. Journalisten dieser Republik sollten sich nicht in Schützengräben gegenüberliegen oder sich käuflich geben, sondern wenigstens in Hinblick auf Kritik an den Herrschenden einig sein, wie auch immer sie im Detail aussehen mag. Der Beruf des Journalisten lebt von Unabhängigkeit, von Skepsis, von der Bereitschaft, auch bzw. gerade unangenehme Wahrheiten auszusprechen. All das geht verloren, wenn man den Kampfplatz verwechselt: Statt Regierungskritik werden interne Fehden angezettelt. An diesem unwürdigen Schauspiel beteiligt sich, frei nach einer Bierwerbung, nicht immer, aber immer öfter, die taz aus Berlin.
Die Gesellschaft braucht Journalismus. Aber sie braucht ihn nicht als Zirkus, in dem Journalisten andere Journalisten vorführen, sondern als Instanz, die den Finger in die Wunden der Macht legt. Die Mächtigen – und besonders das aktuelle Personal – haben es verdient, befragt, kritisiert und notfalls gegrillt zu werden. Wenn Journalismus mehr sein will als Entertainment zum Selbstzweck, muss er zu seiner Kernaufgabe zurückkehren. Wer das vergisst, verkommt zum Bühnenschauspieler im Stück „Wir unter uns“, während draußen die eigentliche Geschichte geschrieben wird. Vielleicht fehlt es dem einen oder anderen Kollegen an einem ähnlichen „Hallo-Wach“-Erlebnis wie Robert de Niro als Komapatient oder wie mir im Fall von Kopiergeld und Kollegen bekämpfenden Journalisten.