Am Vormittag des 11. Juli 2025 kam es im Deutschen Bundestag zu einem unerwarteten Stillstand. Die geplante Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern wurde unterbrochen, nachdem die Union (CDU/CSU) die Absetzung der Abstimmung über die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung verlangte.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verkündete die Pause, da die SPD eine sofortige Unterbrechung beantragt hatte. Ursprünglich sollte um 10:10 Uhr die Wahl des von der Union vorgeschlagenen Kandidaten Günter Spinner beginnen. Nun beraten die Fraktionen in separaten Sondersitzungen über das weitere Vorgehen, während die Sitzung gegen 11 Uhr fortgesetzt werden soll.
»Bundestag LIVE / Phoenix YouTube / Minute 1:49:43«
Union zieht die Notbremse: Plagiatsvorwürfe als Vorwand?
Die Union begründet ihren Widerstand gegen Brosius-Gersdorf mit sogenannten »Plagiatsvorwürfen«, die laut Fraktionskreisen die fachliche Expertise der Professorin infrage stellen.
„In der Sondersitzung der CDU/CSU-Fraktion am Freitagmorgen sagte Fraktionschef Jens Spahn (45), es gebe große Zweifel. Plagiatsjäger hätten in ihrer Doktorarbeit ‚23 Verdachtsstellen auf Kollusion und Quellenplagiate‘ gefunden.“
»BILD«
Kanzler Friedrich Merz und CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn sollen die SPD-Fraktion am Morgen über ihre Entscheidung informiert haben, die Wahl der umstrittenen Kandidatin zu blockieren. Sollte die SPD nicht zustimmen, droht die Union mit Enthaltung. Dies wäre ein Schritt, der die Koalition an den Rand eines öffentlichen Zerwürfnisses bringen könnte.
SPD und Grüne in Aufruhr
Die SPD reagierte prompt und berief für 10:30 Uhr eine Sondersitzung ihrer Bundestagsfraktion ein, um die Lage zu bewerten. Auch die Grünen kamen zu einer kurzfristigen Fraktionsberatung zusammen. Die Unterbrechung der Sitzung vor der Wahl Spinners sei intern bereits erwartet worden. In beiden Lagern herrscht spürbare Nervosität. Kritik kommt auch aus den Reihen der Grünen: Britta Haßelmann warf der Unionsführung Versagen im Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht vor.
Mit dem Bundesverfassungsgericht spielt man kein Roulette. Was für ein Versagen von Jens Spahn. Und auch von Friedrich Merz.#Bundesverfassungsgericht https://t.co/yxE5QWY4Sr
— Britta Haßelmann (@BriHasselmann) July 11, 2025
Die angespannten Abstimmungen verdeutlichen, wie sehr der Richtungsstreit die Koalition belastet.
Zweidrittelmehrheit in Gefahr
Ein zentraler Streitpunkt bleibt ungelöst: Reicht eine einfache Mehrheit der Regierung, um die Tagesordnung zu ändern, oder ist auch hier die für die Richterwahl erforderliche Zweidrittelmehrheit notwendig? ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer wies darauf hin, dass diese Frage noch ungeklärt ist.
„Sollte die SPD diesem Absetzen der Wahl nicht zustimmen, (…) dann will sich die Union heute hier bei dieser Wahl enthalten, was natürlich auch ein Eklat in der Koalition wäre.“
»Andrea Maurer / ZDF«
Ohne Zustimmung der SPD zur Absetzung der Wahl Brosius-Gersdorfs droht ein beispielloser Eklat. Die Union lehnt zudem jegliche Gespräche mit der Linken über die Richterwahl ab, was die Suche nach einer Mehrheit zusätzlich erschwert. Die Abhängigkeit von Stimmen aus anderen Fraktionen, etwa der Grünen, macht die Verhandlungen zu einem politischen Drahtseilakt.
Ein Parlament in der Zerreißprobe
Die Unterbrechung der Bundestagssitzung ist mehr als ein organisatorischer Zwischenfall. Sie offenbart die tiefen Gräben innerhalb der Koalition und die Herausforderungen einer polarisierten politischen Landschaft. Während das Parlament zuvor noch den 30. Jahrestag des Völkermords von Srebrenica ehrte, zeigt der aktuelle Konflikt, wie schnell Einigkeit in Streit umschlagen kann.