Haintz.Media

HAINTZ

.

media

Ohne Auto wären viele Mütter aufgeschmissen

Bild:
Quelle:

teilen:

MEHR AUS DER KATEGORIE

140423-MAILAB
Brüssel hat die Abstimmung über das Verbrennerverbot zwar erst einmal verschoben. Sollte es aber kommen, würde sich der Alltag in Deutschland radikal verändern – es gäbe weniger Wohlstand und weniger Selbstbestimmung.
ZUSAMMENGEFASST

Patriarchalisch und sexistisch ist er natürlich auch, der Individualverkehr. War eigentlich zu erwarten. Schließlich hätten ihn weiße mittelalte gesunde Männer erdacht, und Frauen nutzten das Auto vor allem, weil sie sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlten, so die Autorin Katja Diehl, die laut eigener Aussage unter anderem Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Sachen Mobilität berät und jüngst mit der Aussage „Wir nehmen den Deutschen den Traum vom eigenen Auto und vom Eigenheim“ für Furore sorgte.

„Jede Stadt, die versucht, den Autoverkehr zurückzudrängen, denkt automatisch auch geschlechtergerecht“, heißt es entsprechend in der ZEIT unter der Überschrift „Die männliche Stadt“. Ich habe daraufhin bei uns zu Hause mal kurz die Geschlechterfrage gestellt und mit meinem Mann unsere Wege verglichen, die wir mit dem Auto zurücklegen.

Für jeden Bürger ein begrenztes CO₂-Budget? Das wäre Klimaschutz in totalitär

Dies ist ein großes Zitat. Das etwas länger ist.

Elijah Tee 11.03.2023

Gestern beispielsweise, da ist er morgens zur Arbeit gefahren und kam abends zurück. Ich habe nach einer Präsentation für einen Mandanten, die ich in der Tat aus dem Homeoffice gehalten hatte, die Kleine mit dem Auto aus dem Kindergarten abgeholt. Eigentlich mache ich das zu Fuß, aber ich musste direkt weiter, die Große am Gymnasium einladen, damit wir dann pünktlich beim Allergologen zur Hyposensibilisierungsspritze erscheinen konnten.

Danach kauften wir für die Kleine neue Halbschuhe, sammelten auf dem Rückweg die Mittlere bei einer Freundin ein und gingen dann noch schnell einkaufen. Als ich die beiden vollen Taschen zu den zwei Schulranzen, dem Kindergartenrucksack und der Schuhtüte in den Kofferraum hievte, war ich leider wieder weit davon entfernt, die patriarchalen Machtstrukturen kritisch zu reflektieren, die mich in diese Rolle zwingen, sondern war einfach nur dankbar, von einem selbst bestimmten Ort zu einer selbst bestimmten Zeit bei von den Kindern bestimmter Musik („Radio Teddy“) genau bis vor unsere Haustür fahren zu dürfen.

Ohne Auto wäre ich komplett aufgeschmissen

Ohne Auto würde mein Mann seinen Alltag noch irgendwie organisieren können, er verließe lediglich noch früher das Haus und käme noch später nach Hause. Ich hingegen, als berufstätige Mutter, die wie viele andere Mütter auch den nachmittäglichen Alltag mit Kindern managt (ja, auch dies selbst so bestimmt!), wäre komplett aufgeschmissen. Und wir wohnen in der Großstadt.

Und so verfolge ich mit großer Sympathie den Versuch von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), das europaweite Verbrennerverbot ab 2035 in letzter Sekunde doch noch zu kippen. Als merkwürdig still hatte ich unsere deutsche Reaktion bisher empfunden, immerhin sind wir nach wie vor das europäische Land, in dem die Automobilindustrie den mit Abstand bedeutendsten Industriezweig darstellt.

Als „entscheidenden Meilenstein“ hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen, deren Hang zu großen disruptiven Entscheidungen, deren Umsetzung andere ausbaden müssen, legendär ist, den Beschluss im Oktober gefeiert. Da bin ich bei ihr. Ich halte den Beschluss, sollte er tatsächlich so kommen, auch für einen Meilenstein, der unser tägliches Leben in Deutschland radikal ändern wird. Hin zu weniger Wohlstand und Selbstbestimmung.

LESEN SIE AUCH

Die Entscheidung in Brüssel stellt die Autoindustrie in Deutschland vor neue Herausforderungen

FOLGEN DES AUSSTIEGES

Was das Ende des Verbrenners für Sie als Verbraucher bedeutet

Denn ich glaube nicht daran, dass wir innerhalb der nächsten zwölf Jahre 45 Millionen Verbrenner, die derzeit auf unseren Straßen unterwegs sind, durch 45 Millionen E-Fahrzeuge ersetzen werden. Es mag sein, dass findige Ingenieure sowohl das Problem der hohen Kosten als auch der fehlenden Ladeinfrastruktur in den Griff bekommen. Bezüglich technischer Innovationen bin ich immer gerne zu Optimismus bereit.

Es bleibt aber die zentrale Frage, die eben im Kern eine politische ist: Woher soll der Strom für die Millionen neuer Fahrzeuge denn kommen? Die Energieart, die Deutschland bisher mit günstigem, sicheren und CO₂-freien Strom versorgt hat, die Kernenergie, schalten wir im April mal eben endgültig ab. Angesichts der Tatsache, dass wir auch bei Heizungen und in der Industrie immer mehr auf Strom setzen, ein geradezu wahnsinniger Akt.

„An dem Abschalten festzuhalten, das ist wie Sabotage“

00:00

09:02

Mit seiner Richtlinienkompetenz spricht Bundeskanzler Olaf Scholz ein Machtwort und lässt drei Atomkraftwerke bis zum nächsten Jahr weiterlaufen. „Ich würde es für höchst fahrlässig halten, die Dinger abzuschalten“, sagt WELT-Herausgeber Stefan Aust.

Quelle: WELT

Es ist daher völlig ungeklärt, woher bei Dunkelflauten, also an Tagen, wie es sie in diesem Winter oft gab, wenn weder der Wind nennenswert weht, noch die Sonne scheint, der Strom kommen soll. Und die Bundesregierung scheint dies auch nicht zu wissen, sie baut für diesen Fall lieber auf ihre Art vor.

Nach einem aktuellen Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums will sie das Energiewirtschaftsgesetz so ändern, dass in Engpass-Situationen Netzbetreibern künftig erlaubt ist, die Stromversorgung von Wärmepumpen, privaten E-Autos und Batteriespeichern zu drosseln – und zwar zeitlich unbegrenzt.

Zwar vernehme ich vom Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, es gehe nicht um Abschaltung, sondern nur um ein „Dimmen“, weiterhin solle es möglich sein, in drei Stunden ein E-Auto so aufzuladen, dass es 50 Kilometer weit fahren könne. Mein Vertrauen in solche Beteuerungen ist allerdings begrenzt. Steigt man einmal in die Rationierung ein – und um nichts anderes geht es hier –, lassen sich Parameter beliebig verändern. Schnell sind es dann fünf Stunden für 30 Kilometer – wenn überhaupt.

LESEN SIE AUCH

Die Heizungsbauer fürchten um die Attraktivität der strombetriebenen Wärmepumpen

GEPLANTE STROM-RATIONIERUNG

Jetzt wächst die Abschalt-Angst um E-Auto und Wärmepumpe

Denn das eigentliche Ziel der meisten Aktivisten einer „Verkehrswende“ ist meines Erachtens offenkundig: Es geht darum, das Auto generell massiv zurückzudrängen. Dies kann man über den Preis, über Verknappung von Straßen, Parkplätzen oder Treibstoff, oder über Verbote machen. So oder so bedeutet es, dass sich große Teile der Bevölkerung, im Zweifel die weniger wohlhabenden, vom Individualverkehr verabschieden und in kollektive Systeme zwingen lassen müssen. Das Verbot des Verbrenners ist hierfür ein entscheidender Schritt.

Dies wird auch ganz offen gesagt: Maßnahmen seien, „unerlässlich, die eine individuelle Pkw-Nutzung unattraktiver machen“, hieß es 2020 etwa in einem Gutachten des Sachverständigenrats der Bundesregierung für Umweltfragen. Durch Steuern, Abgaben, CO₂-Gebühren und den Rückbau von Parkplätzen müsse man „klimaneutrale Alternativen insbesondere außerhalb des motorisierten Individualverkehrs fördern“, schlagen Claus Doll und Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut in ihrem Statement für das EU-Parlament zum Verbrenner-Verbot vor.

LESEN SIE AUCH

WELT-Redakteur Daniel Zwick

VERKEHRSWENDE

E-Autos werden auch in Zukunft nur ein Eliten-Projekt sein

„Die erste Regel der Verkehrswende ist: Wege nicht zurückzulegen“, bringt es auch Katja Diehl auf den Punkt – unter der bemerkenswerten Überschrift „Warum unser System sehr viele ins Auto zwingt: Eine Episode über das sexistische, ableistische, rassistische Verkehrssystem“.

Konsequent daher auch die Ablehnung in diesen Kreisen von synthetisch hergestellten E-Fuels, die eine CO₂-neutrale Nutzung von Verbrennermotoren weiter möglich machen könnten und für die Volker Wissing gerade auf europäischer Ebene kämpft. Sie seien ineffizient, man benötige in der Herstellung deutlich mehr Energie, um einen Kilometer mit E-Fuels zurückzulegen als für einen Kilometer mit einem E-Auto.

Das mag nach heutigem Stand der Technik so sein, erklärt aber nicht den verbissenen Kampf gegen diese Kraftstoffe im Straßenverkehr. Denn bliebe es so, hätten Verbrenner mit E-Fuels auch nach 2035 keine Chance gegen E-Autos, der Markt würde es richten. Entwickelt sich die Technik aber weiter und würden E-Fuels doch konkurrenzfähig, könnten sie dazu beitragen, den motorisierten Individualverkehr zu erhalten. Und genau deshalb tobt um diese scheinbar so technische Frage ein solcher Kulturkampf.

LESEN SIE AUCH

Martin Eberhard und Elon Musk verbindet eine gemeinsame Geschichte in der Anfangszeit von Tesla

MITGRÜNDER MARTIN EBERHARD

Die Abrechnung des wahren „Mr. Tesla“

Ich klebte zu sehr am Althergebrachten, ich solle mich doch mal auf Visionen einer Mobilitätswende einlassen, wurde mir neulich in einer Diskussion entgegengehalten.

Ich habe eine Vision. Nämlich die vom autonomen Fahren. Würde ein Auto wirklich genau zu dem Zeitpunkt bei uns auf dem Hof stehen, zu dem ich es mit einer App bestellt habe, und zwar ausgerüstet mit zwei Kindersitzen, dann würde jemand wie ich, der sein letztes Auto primär nach den Merkmalen „Vier Türen“ und „Sitzheizung“ ausgewählt hat, auf den individuellen Besitz eines Autos gerne verzichten.

Car-Sharing Modelle würden so tatsächlich wesentlich attraktiver. Außerdem könnte die digitalisierte und vernetzte Verarbeitung aller verfügbaren Informationen über die Verkehrs- und Parksituation dazu führen, dass die vorhandenen Ressourcen deutlich effizienter und damit auch klimafreundlicher genutzt werden können.

Es wäre aber immer noch Individualverkehr. Und entsprechend höre ich von dieser Vision von all den Aktivisten einer Verkehrswende kaum etwas.

Kristina Schröder war von 2002 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2009 bis 2013 Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Heute ist sie u.a. als Unternehmensberaterin tätig und als stellvertretende Vorsitzende von REPUBLIK21, Denkfabrik für neue bürgerliche Politik. Sie gehört der CDU an und ist Mutter von drei Töchtern.

teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert